Sozialpartnerschaft global
Von Susanne Knütter
Da kommen die Vertreter von Regierungen, Unternehmen und Gewerkschaften aus 187 Staaten zusammen, um gut eine Woche über wichtige Fragen der Arbeitswelt zu beraten, und niemanden scheint es sonderlich zu interessieren. Bis Freitag wollen die Delegierten auf der 113. Internationalen Arbeitskonferenz der gleichnamigen Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO) Themen wie »mögliche neue internationale Normen zum Schutz der Beschäftigten vor biologischen Gefahren in der Arbeitsumgebung, menschenwürdige Arbeit in der Plattformwirtschaft« und Ansätze zur »Förderung des Übergangs von der informellen zur formellen Wirtschaft« diskutieren. Die relativ geringe Beachtung, die ihr zuteil wird, liegt nicht zuletzt an der Struktur und dem Output der Organisation. Als gemeinsames Gremium von Arbeitervertretern, Unternehmen und Regierung ist es auf Dialog ausgerichtet. Es beschließt formal rechtsverbindliche Konventionen und gibt unverbindliche Empfehlungen heraus.
Größere Aufmerksamkeit erhält die ILO zum einen, wenn sie selbst in den Fokus gerät – wie letzte Woche, als ILO-Generalsekretär Gilbert F. Houngbo verkündete, 225 Stellen infolge der gekürzten US-Finanzmittel zu streichen. Zum anderen werden ihre Studien über die Lage des internationalen Arbeitsmarktes und der Beschäftigten weltweit bemerkt und insbesondere von den internationalen Gewerkschaftsbünden aufgegriffen.
So revidierte die ILO vergangene Woche etwa ihre globale Beschäftigungsprognose für das laufende Jahr. Sie rechnet nun mehr mit der Schaffung von 53 Millionen Arbeitsplätzen statt der zuvor geschätzten 60 Millionen. Der Rückgang des weltweiten Beschäftigungswachstums spiegelt die verschlechterten globalen Wirtschaftsaussichten wider. Erwartet wird nun ein BIP-Wachstum von 2,8 Prozent und nicht mehr von 3,2 Prozent.
Diese Schätzungen basieren auf den Wirtschaftswachstumsprognosen des kürzlich veröffentlichten World Economic Outlook des Internationalen Währungsfonds vom April 2025. Darüber hinaus schätzt die ILO, dass fast 84 Millionen Arbeitsplätze in 71 Ländern direkt oder indirekt mit der Verbrauchernachfrage in den USA verbunden sind. Diese Arbeitsplätze – und die von ihnen abhängigen Einkommen – sind aufgrund des Handelskriegs zunehmend von Störungen bedroht. Die meisten dieser Arbeitsplätze – 56 Millionen – befinden sich in der asiatisch-pazifischen Region. Kanada und Mexiko haben mit 17,1 Prozent jedoch den höchsten Anteil an gefährdeten Arbeitsplätzen.
Die ILO wies auch auf »beunruhigende Trends in der Einkommensverteilung« hin. Der Anteil des Arbeitseinkommens – das heißt der Anteil des BIP, der an die Beschäftigten geht – sank weltweit von 53 Prozent im Jahr 2014 auf 52,4 Prozent im Jahr 2024. In Afrika und Nord- und Südamerika waren die Rückgänge am größten. Wäre dieser Anteil unverändert geblieben, wäre das Arbeitseinkommen im Jahr 2024 weltweit um eine Billion US-Dollar oder 290 US-Dollar pro Arbeiter bei konstanter Kaufkraft höher gewesen. »Dieser Rückgang des Anteils der Beschäftigten am Welteinkommen erhöht den Druck auf die Ungleichheit und verdeutlicht die Diskrepanz zwischen Wirtschaftswachstum und Arbeiterentgelt«, hieß es in dem ILO-Bericht vom 28. Mai.
Der Bericht ermittelte außerdem die Auswirkungen der neuen Technologie auf die Arbeitswelt und stellte fest: Die Arbeitsplätze von fast einem von vier Beschäftigten könnten sich durch generative KI verändern. Ein größerer Anteil der Arbeitsplätze in Berufen mit mittlerer Qualifikation ist in gewissem Maße gefährdet. Ein größerer Prozentsatz der Arbeitsplätze in Berufen mit hoher Qualifikation ist stark gefährdet, wobei bestehende Aufgaben potenziell durch KI automatisiert werden könnten.
Die Ergebnisse des Berichts über die Beschäftigungslandschaft seien ernüchternd, erklärte Houngbo. Aber sie könnten auch als »Wegweiser für die Schaffung von menschenwürdigen Arbeitsplätzen dienen«. »Wir können etwas verändern, indem wir den Sozialschutz stärken, in die Entwicklung von Kompetenzen investieren, den sozialen Dialog fördern und integrative Arbeitsmärkte aufbauen, um sicherzustellen, dass der technologische Wandel allen zugute kommt«, sagte der Generaldirektor kurz vor und vermutlich auch mit Blick auf die 113. internationale Arbeitskonferenz.
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