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Aus: Ausgabe vom 03.06.2025, Seite 12 / Thema
Zweiter Weltkrieg

Verzerrte Geschichte

Zum Gedenken an den »Großen Vaterländischen Krieg« in Georgien und im postsowjetischen Raum
Von Gulbaat Rzchiladse
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Seit Jahren ungepflegt – das Denkmal für den unbekannten Soldaten im ehemaligen Park des Sieges in Tbilissi

Der Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 markiert nicht nur den politischen Zerfall eines Staates mit der anschließenden Entstehung anderer Staaten. Er bedeutete auch ideologischen Zerfall. Vieles, was vormals als Selbstverständlichkeit galt, wurde diametral anders interpretiert. Dabei änderte sich auch die Geschichtsrezeption. In den neuen unabhängigen Staaten, die früher die Sowjetunion bildeten, dominierte fortan ein nationalistisches Geschichtsverständnis, bei dem die jeweilige Nation lediglich als Opfer des »Sowjetregimes« dargestellt wird, so als wären diese Länder unter der Sowjetunion nicht politisch, wirtschaftlich, demographisch und kulturell aufgebaut, unterstützt und entwickelt worden.

Bedeutung des Zweiten Weltkriegs

Dies betrifft auch die Deutung des Zweiten Weltkriegs, an dem die Sowjetunion vom 22. Juni 1941, also seit dem Überfall Nazideutschlands, bis Kriegsende, dem 2. September 1945, beteiligt war. Am 8. Mai 1945 um 23.01 Uhr mitteleuropäischer Zeit (in Moskau war zu diesem Zeitpunkt bereits der 9. Mai angebrochen) war die bedingungslose Kapitulation Deutschlands endgültig besiegelt. Dieser Zeitabschnitt des Zweiten Weltkrieges hieß in der Sowjetunion »Großer Vaterländischer Krieg«. Im heutigen Russland gilt diese Bezeichnung unverändert – anders als in vielen ehemaligen Teilrepubliken der Sowjetunion. Die zentralasiatischen Republiken haben eine etwas tolerantere Einstellung zu dieser Bezeichnung als die europäischen, mit der Ausnahme Belorusslands, das identische Bewertungen der Kriegsgeschichte hat wie Russland. In den übrigen Republiken des europäischen Teils der Sowjetunion ist der Begriff des Großen Vaterländischen Krieges längst aus dem offiziellen Schriftverkehr, der Gesetzgebung und auch den Schulbüchern verbannt worden.

Die Frage der Interpretationen des Zweiten Weltkriegs ist in den postsowjetischen Staaten von großer politischer Bedeutung. Denn die Wahrnehmung des Krieges als Großer Vaterländischer Krieg setzt die Tatsache eines gemeinsamen Vaterlandes voraus, für das alle Völker und Republiken der Sowjetunion gekämpft haben; und dies wäre eine ideologische Voraussetzung, die den Integrationsprozess der postsowjetischen Staaten um Russland begünstigen würde. Akteure und Interessengruppen, die gegen die Reintegration des postsowjetischen Raums agieren, befürworten logischerweise nicht, dass sich eine Geschichtsrezeption durchsetzt, die den Integrationsprozess ideologisch vorantreiben würde. Mit anderen Worten: Der Westen ist nicht daran interessiert, dass der Zweite Weltkrieg in den ehemaligen Teilrepubliken der Sowjetunion als der »eigene« vaterländische Krieg verstanden wird, da dies die historische Einigung mit Russland unterstreichen würde.

Antistalinismus als Waffe

Der Westen betreibt bekanntlich seit vielen Jahren, spätestens seit dem Zusammenbruch der UdSSR eine aktive propagandistische Politik in fast allen Republiken der ehemaligen Sowjetunion. Das galt bis vor einigen Jahren auch für Russland. Der Ukraine-Krieg hat aber zum Stopp eines direkten Einflusses westlicher Propaganda in der russischen Öffentlichkeit geführt. Diese Propaganda war antistalinistisch geprägt, denn Stalin verkörperte und verkörpert den staatlichen Zentralismus. Die antistalinistische Geschichtsschreibung hatten Michail Gorbatschow und seine Mitstreiter schon Ende der 1980er Jahre in die Wege geleitet. Sie war bis zirka Mitte der 2000er Jahre dominierend. Oberflächlich betrachtet kann sie in der russischen Selbstwahrnehmung als durchaus patriotisch gelten. Denn ihr zufolge gab es ein »gutes« russisches Volk, das gegen den Faschismus kämpfte, und ein »böses« Regime mit Stalin an der Spitze (seine georgische, also nichtrussische Herkunft sollte dabei angeblich eine erhebliche Rolle gespielt haben) – ganz im Sinne Alexander Solschenizyns. Dessen verlogene Abhandlung »Der Archipel Gulag« gilt im Westen als Standardwerk der Geschichte der Sowjetunion und wird allen aufgenötigt (viele »historische Fakten« dieses literarischen und nicht wissenschaftlichen Werks wurden von zeitgenössischen russischen Historikern inzwischen widerlegt). Stalin und Lawrenti Berija (noch ein Georgier) sollen die »Vernichtung« von »Millionen Menschen«, darunter talentierte russische Militärs, angeordnet haben, den Kriegsbeginn »verpasst« haben usw.

Im Kern war die antistalinistische Propaganda gegen das stark ausgeprägte zentralistische russische Staatsdenken gerichtet. Der Bezichtigung Stalins folgte die Bezichtigung russischer Offiziere, die die angeblich verbrecherischen Befehle der sowjetischen Führung vollstreckt hätten, gegen die eigenen Soldaten und das eigene Volk wüteten und auch in Europa (zum Beispiel in Ostpreußen) Greueltaten anrichteten – fast wie die Nazis auf sowjetischem Territorium. Stalin wurde dem Holocausturheber Hitler und der Kommunismus dem Faschismus gleichgesetzt (was im Westen gang und gäbe ist). Somit versuchte die westliche Propaganda, deren Träger nicht nur bezahlte Personen, sondern auch sogenannte nützliche Idioten in Russland waren, den Stellenwert des Großen Vaterländischen Krieges im Bewusstsein der russischen Bevölkerung herabzusetzen. Ein direkter Angriff auf die kollektive Erinnerung an diesen Krieg wäre für den Westen kontraproduktiv, von daher gab es indirekte Versuche, die Erinnerung mit Hilfe eines primitiven Antistalinismus zu untergraben.

Der amtierende russische Staatspräsident Wladimir Putin, der anfangs den Schwerpunkt seiner Außenpolitik in der Annäherung an den Westen gesucht hatte, sah sich gezwungen, die außenpolitischen Prioritäten zu verändern. Dies hatte eine allmähliche Revision der Interpretation des Zweiten Weltkriegs zur Folge. Zwar ist Putin nach wie vor ziemlich vorsichtig mit seinen Äußerungen über Stalin, aber im großen und ganzen ist dieser in Russland längst entkriminalisiert worden. Hierbei muss unbedingt angemerkt werden, dass die Popularität der Figur Stalins unter den Russen, auch unter den Jugendlichen, über die Jahre unabhängig von der staatlichen Propaganda permanent angestiegen ist (seit Mitte der 2000er Jahre, insbesondere seit Beginn des Ukraine-Konflikts ab 2014). Sämtliche aktuelle Umfragen belegen, dass die deutliche Mehrheit der Russen Stalin und seine Politik eher positiv als negativ bewertet. Stalin gilt als ein herausragender Staatsmann, der das Land industrialisiert, vor allem aber zum Sieg über die faschistische Koalition Nazideutschlands und seiner Satellitenstaaten geführt hat.

Anlässlich des 80. Jahrestags des Sieges über den Faschismus erhielt der Wolgograder Flughafen den Namen »Stalingrad«. Möglicherweise wird in naher Zukunft auch die ganze Stadt wieder in Stalingrad umbenannt werden – ein Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung. Das ist ein Indiz, wie wichtig vielen Russen der Große Vaterländische Krieg ist und wie sehr sie sich ihrer Geschichte verbunden fühlen.

Russland hat unter Wladimir Putin allmählich eine Gegenpropaganda zu den westlichen Erzählungen entwickelt. – Der Begriff »Propaganda« ist zu einem Scheltwort verkommen, in der politischen Sprache der Gegenwart ist er negativ besetzt (im Gegensatz zu den US-amerikanischen Begriffen »Public Relations« und »Soft Power«), nicht zuletzt wegen Goebbels »Propagandaministerium«. Ich verwende ihn aber neutral in der ursprünglichen Bedeutung des aus dem Lateinischen stammenden Wortes (propagare; ausbreiten, verbreiten). In diesem Sinne ist es kein Verbrechen, wenn ein Staat Propaganda betreibt. Entscheidend ist die Frage, ob Propaganda Fakten verzerrt, Lügen enthält und Manipulationen bezweckt oder aber die Wahrheit fördert. Lügenpropaganda wird von der westlichen Propaganda einseitig Russland unterstellt, ohne Selbstkritik zu üben. Ich meine, dass die russische Propaganda bezüglich des Großen Vaterländischen Krieges einen positiven Charakter hat, mehr Nutzen für Russlands Nachbarn beinhaltet als Schaden, während die westliche Propaganda Tatsachen über die postsowjetischen Gesellschaften verschleiert. Als gutes Beispiel dafür bietet sich mein Heimatland Georgien an.

»Unser gemeinsamer Sieg«

Russland hatte den Löwenanteil am Sieg der Sowjetunion über Nazideutschland und dessen Verbündete, denn es hatte weit mehr menschliche und industrielle Kapazitäten und natürliche Ressourcen als die anderen Teilrepubliken. Das heißt jedoch nicht, dass der Beitrag dieser Republiken geringzuschätzen sei, Russland behauptet sogar, dass der Sieg über den Faschismus »unser gemeinsamer Sieg« gewesen sei. Die Russen ehren im Krieg gefallene Soldaten, nach dem Krieg verstorbene und heute noch lebende Veteranen der Nachbarländer genauso wie die eigenen. Die russische Regierung, Massenmedien sowie einfache Bürger betonen immer wieder, dass die Sowjetunion ein Vielvölkerstaat war, die Rote Armee aus den Vertretern aller Völker der Sowjetunion bestand und folglich der Respekt und die Ehrung allen Nationen zustehe.

Das sind die positiven Postulate oder »Narrative« der russischen Politik. Man kann es als Ausdruck russischer »Soft Power« bewerten, wenn sie institutionalisiert werden. In den 2010er Jahren versuchte Russland tatsächlich, die sich stetig vergrößernde ideologische Kluft zu den anderen ehemaligen Republiken der Sowjetunion zu überbrücken, indem es die historische Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg im Kontext der Völkerfreundschaft wiederbelebte. Im Laufe eines Jahrzehnts, beginnend im Jahr 2010, wurde mit Unterstützung der Präsidialverwaltung in verschiedenen Städten Russlands eine Reihe von Veranstaltungen zum Gedenken an den Sieg über den Faschismus organisiert, zu denen Veteranen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sowohl aus den Regionen des Landes als auch aus anderen ehemaligen Sowjetrepubliken eingeladen waren. Ich selbst habe an zweien davon teilgenommen – 2010 in Tuapse und 2011 in ­Wladikawkas. Die Veranstaltungen, die jährlich in verschiedenen russischen Städten stattfanden, trugen den Titel »Der durch die Einheit errungene Sieg«. Darüber hinaus gibt es viele weitere Initiativen. Eine russische Stiftung, die dem Außenministerium nahesteht, hat beispielsweise ein Buch von mir über den Großen Vaterländischen Krieg finanziert, weil es bislang kein Lehrwerk über den gesamten Zeitraum von 1941 bis 1945 in georgischer Sprache gab. Manche nennen mich deshalb »Propagandist« oder »Russland-Lobbyist«. Ich ertrage diese Vorwürfe mit Gelassenheit, denn solche Projekte sind äußerst positive Schritte, die den Interessen des georgischen Volkes keineswegs zuwiderlaufen. Leider stellt sich der Westen dieser »Soft Power« russischer Politik mit einem ziemlich destruktiven Instrumentarium entgegen.

Lügende Lehrbücher

Westliche Institutionen, die direkt von ihren jeweiligen Regierungen finanziert werden – beispielsweise USAID, die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Friedrich-Ebert-Stiftung und die Heinrich-Böll-Stiftung in Deutschland, auch George Soros’ Open Society Foundations – haben jahrzehntelang Hunderte Millionen Dollar für den sogenannten Aufbau der Zivilgesellschaft ausgegeben. Manche Projekte sind der Geschichte des Zweiten Weltkriegs mit Schwerpunkt Georgien gewidmet. Westliche Nichtregierungsorganisationen arbeiteten und arbeiten zum Teil bis heute mit Einrichtungen des georgischen Bildungsministeriums zusammen und bestimmen mit über die Programme des Geschichtsunterrichts. Geschichtsbücher für die Schulen und Universitäten sowie andere Sekundärliteratur vermitteln ein verzerrtes Bild von Georgien zu Sowjetzeiten und dem Zweiten Weltkrieg. Der Begriff »Großer Vaterländischer Krieg« ist längst aus ideologischen Gründen tabuisiert, ganz im Sinne westlicher Politiker werden die Verdienste der britisch-amerikanischen Alliierten bei der Niederschlagung des Hitlerregimes betont und die Rolle der Roten Armee vernachlässigt. In den Schulbüchern findet sich gegenüber dem historischen Erbe des Zweiten Weltkriegs eine gleichgültige bis negative Haltung. Der Große Vaterländische Krieg wird sogar als »Erfindung der sowjetischen Ideologie« bezeichnet. Im Schulbuch für die 12. Klasse, das vom Bildungsministerium genehmigt wurde, wird im Kapitel »Georgier im Zweiten Weltkrieg« den 700.000 Georgiern, die in der Roten Armee gekämpft haben, eine Seite gewidmet, hingegen einer Handvoll Georgier, die in der deutschen Wehrmacht gedient haben, zweieinhalb Seiten. Das Hauptaugenmerk liegt auf der »stalinistischen Repressionen«. Im Kontext heißt es: »Georgische Kriegsgefangene und Partisanen, die sich außerhalb des sowjetischen Territoriums befunden hatten, wurden nach ihrer Rückkehr Opfer stalinistischer Repressionen. Die sowjetische Sicherheitsbehörde beschuldigte sie der Kollaboration mit den georgischen Emigranten und den Kräften des Imperialismus und schickte sie in Gulags in Sibirien und Zentralasien.«

Das Lehrbuch enthält Fotos von den Generälen Eisenhower und Montgomery, aber keine Bilder von Schukow, Rokossowski und Konew. Verbreitet wird auch folgende Lüge: »Die sowjetischen Soldaten verhielten sich auf deutschem Gebiet oft wie die Nazis in der Sowjetunion. Ihre militärischen Vorgesetzten gaben ihnen völlige Handlungsfreiheit. Die Soldaten töteten, folterten und beraubten die Zivilbevölkerung. Die Menschen wurden von Panik ergriffen. Die Nazis verteilten Fotos von gefolterten Deutschen unter der Bevölkerung, um eine Kollaboration deutscher Bürger mit sowjetischen Soldaten zu verhindern.« Die Gleichsetzung des Kommunismus mit dem Faschismus entspricht der Mainstreameinstellung im georgischen Staat, die nicht nur in den Lehrbüchern ausgedrückt ist.

Verwahrloste Denkmäler

In der Hauptstadt Tbilissi und in manchen anderen Städten Georgiens gibt es einige Militärfriedhöfe aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Im Jahr 1942 während des Vormarschs der Deutschen Wehrmacht im Nördlichen Kaukasus bildete Georgien den unmittelbaren Rückraum der Front, wo auch verletzte Soldaten und Offiziere der Roten Armee in Militärkrankenhäusern behandelt wurden. Nicht alle konnten gerettet werden, und diejenigen, die in diesen Kliniken starben, wurden in der Regel gleich in Georgien beigesetzt. Die Soldatenfriedhöfe sind ungepflegt, viele Grabstätten im Chaos des Zerfalls der Sowjetunion verlorengegangen, weil darüber zivile Tote aus der einheimischen Bevölkerung bestattet wurden (dadurch sparten die Angehörigen Friedhofskosten, zum Teil ging diese Praxis in den 2000er Jahren während der Herrschaft Micheil Saakaschwilis weiter). Heute sind die Grabstätten des Zweiten Weltkrieges vom Staat »vergessen«, nur wenige Aktivisten reinigen sie gelegentlich und versuchen, sie zu bewahren (im Gegensatz dazu wurden einige Friedhöfe deutscher Kriegsgefangener mit deutscher Finanzierung restauriert und werden gepflegt). Es fehlt dabei nicht an staatlichen Geldern, sie sind vorhanden, sondern am politischen Willen, sich der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges anzunehmen, denn das wird vom Westen nicht gefördert (allerdings auch nicht untersagt) und gilt als »kommunistisch«.

In Georgien sind »sowjetische und kommunistische Besatzungssymbole« laut einem Gesetz, das bald nach dem georgisch-russischen Krieg 2008 verabschiedet wurde, verboten. Die heutige Regierung unter Irakli Kobachidse von der Partei Georgischer Traum geht nicht so weit wie die Regierungen der Ukraine, Polens, Tschechiens und der baltischen Länder, die in den vergangenen Jahren auch Grabstätten sowie sämtliche Denkmäler, die an die Sowjetunion oder das Russische Reich auch nur irgendwie erinnern, zerstören ließen. Aber das Hauptdenkmal des Großen Vaterländischen Krieges in der Hauptstadt – das Grab des unbekannten Soldaten – ist seit fast fünf Jahren verwahrlost. Es hätte längst von der Stadtverwaltung restauriert werden können, aber begonnene Arbeiten wurden eingestellt. Das Denkmal und das umliegende Gelände befinden sich in einem verkommenen Zustand, teilweise liegt Bauschutt herum – obwohl der Park, in dem es steht, mehrmals umgestaltet wurde. Der Grund dafür liegt darin, dass die ehemalige Staatspräsidentin Georgiens, Salome Surabischwili (sie hat eine doppelte Staatsbürgerschaft und war früher beim französischen Außenministerium tätig), eine Initiative angestoßen hat, die von prowestlichen NGOs unterstützt wurde. Diese sieht vor, das Denkmal des Großen Vaterländischen Krieges in Monument der »historischen Kriege Georgiens« umzubenennen und dementsprechend umzugestalten. Dadurch soll die Bedeutung des Zweiten Weltkriegs für Georgien endgültig verlorengehen und dessen Geschichte von Russland künstlich abgekoppelt werden.

Die gegenwärtige Regierung Georgiens, die scheinbar mehr Souveränität für unseren Staat anstrebt und sich vom Westen angeblich nichts mehr vorschreiben lassen will, zeigt sich tatsächlich verängstigt und unternimmt nichts: Weder baut sie das Denkmal im Sinne Surabischwilis um, mit »nichtkommunistischen« Symbolen (die Symbolik der Sowjetunion ist ohnehin schon seit 1991 größtenteils demontiert worden), noch setzt sie es instand, damit bloß keine negativen Reaktionen der prowestlichen NGOs (und derjenigen, die hinter diesen stecken) hervorgerufen werden.

Diese Passivität der gegenwärtigen Regierung ist besser als die radikale Bekämpfung der Geschichte durch das radikal prowestliche Vorgängerregime Saakaschwilis, das nicht einmal davor zurückschreckte, ganze Denkmäler in die Luft zu jagen. Das geschah zum Beispiel 2009 in Kutaissi mit dem Denkmal des viel geachteten georgischen Bildhauers Merab Berdsenischwili, das dem Großen Vaterländischen Krieg gewidmet war. Die unprofessionelle Sprengung auf offenem Gelände forderte zwei Todesopfer Unbeteiligter – eine Frau und ihre Tochter. Etwas früher, während des georgisch-russischen Krieges im August 2008, wollte der damalige Innenminister Wano Merabischwili, nach eigenen Angaben im Interview mit der russischen Zeitung Kommersant, das Denkmal Stalins in dessen Heimatstadt Gori durch russische Soldaten sprengen lassen. Merabischwili bot den vorgesetzten Generälen über seinen Vertrauensmann, den Parlamentarier Giwi Targamadse, 50.000 Dollar an, aber sie hätten abgelehnt, beschwerte er sich. Sein Ziel sei es gewesen, das Denkmal von den Russen zerstören zu lassen, damit sich unter den Georgiern, die Stalin verehren (und solche Leute gibt es reichlich), der Hass auf die Nachbarn breit mache. Obwohl Merabischwili seinen teuflischen Plan öffentlich gestanden hat, reagierte die Georgischer-Traum-Regierung, die das Saakaschwili-Regime 2013 ablöste, nicht darauf und hat dem ehemaligen Minister nicht für das geplante Attentat den Prozess gemacht.

»Tag Europas«

Der 9. Mai – der Tag des Sieges über den Faschismus, der auch nach dem Ende der Sowjetära in Georgien fast ununterbrochen offizieller Feiertag war – wurde 2025 noch bescheidener begangen als zuvor. Die Regierung beschränkte sich auf eine schlichte Kranzniederlegung vor einer winzigen Büste des georgischen Helden der Sowjetunion Meliton Kantarija, der am 1. Mai 1945 zusammen mit dem Russen Michail Jegorow die Siegesfahne auf dem Reichstag gehisst hatte. Auch die wenigen noch lebenden, mittlerweile über hundert Jahre alten Veteranen wurden nur kurz begrüßt, und das war’s – keine Musik während der Zeremonie im Park, keine Konzerte, auch keine anderen festlichen Veranstaltungen. Die prowestliche Opposition hingegen feierte den »Tag Europas« – nicht zufällig mit dem Segen des EU-Botschafters in Georgien, Paweł Herczyński. »Ich lade Sie herzlich ein, kommen Sie und erfahren Sie mehr über die europäische Unterstützung Georgiens. Wir wollen den 9. Mai gemeinsam verbringen mit Ihren Familien und Freunden, wir wollen feiern, was uns vereint«, wandte sich der polnische Diplomat an die Bürger Georgiens, ohne auch nur ein einziges Wort über den eigentlichen Grund der Feierlichkeiten, den Sieg über den Faschismus, zu verlieren.

Gulbaat Rzchiladse, Dr. phil., war von 1996 bis 2003 Referent für Internationale Politik beim Präsidialamt Georgiens, von 2001 bis 2004 war er Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung. 2009 gründete Rzchiladse in Tbilissi die unabhängige Denkfabrik »Institut Eurasiens«.

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