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Aus: Ausgabe vom 30.05.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Die Kunstfigur an erster Stelle

Die Doku »Fritz Litzmann, mein Vater und ich«
Von Ronald Kohl
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Rainer Pause hat eine unwiderstehliche Art, seine kunstvolle Frisur zu richten

»Fritz Litzmann, mein Vater und ich« – das erinnert ein bisschen an Horst Tappert, der seine Autobiographie »Derrick und Ich« genannt hat. Bei dem Titel von Aljoscha Pauses Dokumentarfilm verbirgt sich hinter der Reihenfolge (ähnlich wie bei »John, Paul, George und Ringo«) auch eine unumstößliche Hierarchie. An erster Stelle steht die Kunstfigur, der von dem 1947 geborenen Kabarettisten Rainer Pause erfundene und verkörperte rheinländische Vereinsvorsitzende Fritz Litzmann. Dessen Markenzeichen sind das glatt nach hinten gezogene Resthaar, der Frack und die wuchtige Hornbrille. Mich hat er immer an Wilhelm Buschs Lehrer Lämpel erinnert, bevor dem bei einer Explosion der Hausrat um die Ohren flog.

Dem Lehrer Sprengstoff in die Pfeife zu stopfen, war einer der wenigen Streiche, die Aljoscha Pause Ende der 80er Jahre als mehr und mehr abdriftender Abiturient ausgelassen hat. Haltlosigkeit war für ihn keine Frage der Befindlichkeit, sondern die ungeschminkte Beschreibung seines familiären Zustands. Als Gründer des Pantheon-Theaters war der Vater eigentlich nur an Weihnachten zu Hause, so dass auch seine zweite Frau, Aljoschas wirklich lange Zeit selbstlos treusorgende Stiefmutter, irgendwann die Segel strich.

Der Film ist nicht als Aufarbeitung konzipiert. Er ist die gemeinsame Reise von Vater und Sohn in die Vergangenheit. Diese »Koproduktion« funktioniert tadellos; beide sind alte Hasen und lieben es zu arbeiten. Der Haken an der Sache ist nur, dass chronologisch erzählt wird, was bedeutet: starker Auftakt. Und dann: starker Abfall und ein Epilog, bei dem ich mich frage, ob einem gestandenen Kabarettisten nicht auffällt, dass hier ungewollte Satire entsteht. Was mir bei den letzten Bildern jedoch am meisten gegen den Strich ging, ist nicht die Bergbaudenromantik (Vater und Sohn gemeinsam am Hauklotz usw.), es ist die Musik, die dazu gespielt wird: »Die letzte Schlacht gewinnen wir.« Welche Schlacht? Und warum hackt der gelernte Sportreporter Aljoscha Pause in einem Film mit etlichen Längen und Wiederholungen (mehr als zwei Stunden Laufzeit) einfach ein paar Strophen aus einem Kultsong heraus und klebt dann irgendwie die letzten Akkorde hinten dran? Das gehört sich nicht!

Überhaupt habe ich mich schon im ersten Drittel des Films, das ansonsten wirklich fesselnd ist, gewundert, weshalb immer wieder der Scherben-Song »Der Traum ist aus« im Hintergrund dudelt. Denn in dem beschriebenen Zeitraum, der mit privaten Fotos und diversen Archivbildern lebendig gemacht wird, träumte der Bummelstudent Rainer Pause, organisiert im Kommunistischen Studentenbund, noch immer von der Weltrevolution. Man muss ihm lassen, dass er sich dafür den richtigen Ort ausgesucht hat: Bonn. Geboren wurde Pause in Essen. Er ist also nicht gerade in die weite Welt ausgerissen, tat das dann aber doch beizeiten.

Rainer Pause hat eine unwiderstehliche Art, die Ursachen und Umstände dieser Flucht zu beschreiben. Doch nicht nur bei der Schilderung seiner Kindheit ist er einzigartig unterhaltsam. Er ist es auch, wenn er von seiner Entwicklung zum Revoluzzer erzählt und schließlich von der zum »Macher«. Dabei ist er die Gelassenheit, aber auch die Aufrichtigkeit in Person. Vor der Kamera seines Sohnes kann Pause Rampensau und Vater zugleich sein. Nur so scheint es zu gehen.

Als die beiden einen recht ansehnlichen Weihnachtsbaum kaufen, sehen wir sie das Teil gemeinsam quer durch die Stadt schleppen, mal mit Bus und Bahn, mal zu Fuß. Aus dem Off erzählt Pause Junior, dass trotz aller verkorksten Familienverhältnisse Weihnachten immer eine große und tolle Sache gewesen sei. Daraufhin hofft man nun, Opa Pause auf allen vieren mit seinen Enkeln unter der Tanne zu sehen. Der Christbaum erscheint danach auch wirklich bald auf der Leinwand. Nur steht er im Theater und nicht im Wohnzimmer. Mitten auf der Bühne. Behangen mit irgendwelchem LED-Zeugs. Was ich damit sagen will: Es lohnt sich auf jeden Fall, bis zum Schluss durchzuhalten, nicht nur wegen der Scherben. Und wenn ich ehrlich bin: Es war blödsinnig, den Epilog als ungewollt satirisch zu beschreiben. Hier freut sich ganz einfach jemand ungehemmt über familiäres Glück. Das ist nur zu verständlich nach einem so langen gemeinsamen Ritt.

»Fritz Litzmann, mein Vater und ich«, Regie: Aljoscha Pause, BRD 2025, 144 Min., bereits angelaufen

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