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Aus: Ausgabe vom 30.05.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Union will neue Atomkraftwerke

Das Damoklesschwert der Atomkraft

Die Industrie winkt ab, aber Unionsparteien sind ganz vernarrt in Nuklearenergie
Von Wolfgang Pomrehn
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Der eine hat sie, der andere will sie zurück: Bundeskanzler Friedrich Merz mit Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron (r.)

In der Bundesregierung gibt es erhebliches Gerangel um die Energiepolitik. Während die Union mit der Werbung für neue Atomkraftwerke Wahlkampf gemacht hatte, hält Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) davon recht wenig. Strittig ist unter anderem, ob die Atomkraft auf EU-Ebene als nachhaltig klassifiziert werden sollte, was den Kraftwerksbetreibern gewisse finanzielle Vorteile bringen würde. »Äußerungen von einzelnen Mitgliedern der Bundesregierung, es gäbe hier eine neue Offenheit, sind Privatmeinungen«, meinte der SPD-Politiker vergangene Woche gegenüber der Deutschen Presseagentur in Berlin. Die Finanzierung von Atomanlagen aus EU-Mitteln lehne Deutschland ab, erklärte Schneider. »Das gilt auch für Versuche, Atomstrom mit nachhaltiger Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien gleichzusetzen.«

Für die großen Energiekonzerne scheint die Lage ziemlich klar. Eon-Chef Leonhard Birnbaum im Januar im Interview mit dem Handelsblatt: »Es wird in Deutschland kein privates Unternehmen geben, das Geld in neue Kernkraftwerke investiert.« Auch RWE-Chef Markus Krebber lehnt die Rückkehr zur Atomkraft in Deutschland ab. Krebber laut t-online: »Ein Neubau dauert bis zu zehn Jahre oder mehr, Atomkraft hilft nicht bei den aktuellen Engpässen. Aktuelle Kernkraftprojekte in anderen Ländern zeigen: Sie sind oft doppelt so teuer wie geplant und kosten zweistellige Milliardenbeträge. Daher müsste der Staat das wirtschaftliche Risiko übernehmen, wenn er will, dass neue Anlagen gebaut werden.«

Und dennoch kann die Union es nicht lassen. Anfang Mai war Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Paris. In einer gemeinsamen Presseerklärung hieß es im Anschluss, man wolle einen »Neustart in der Energiepolitik (…). Das bedeutet, den Grundsatz der Technologieneutralität umzusetzen, sprich die Gleichbehandlung auf EU-Ebene aller emissionsarmer Energien sicherzustellen (…).« Auch die Atomkraft gilt, sofern es um Treibhausgase geht, als emissionsarm und ist hier gemeint. Merz drängt also gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron darauf, der Atomkraft Privilegien einzuräumen.

Was steckt hinter diesem ökonomisch nicht erklärbaren Verlangen der Union nach neuen Atomkraftwerken? Nicht von der Hand zu weisen ist, dass der Griff nach der Atombombe in konservativen Kreisen in den letzten Jahren verstärkt propagiert wurde. Dies passt konsequenterweise zu den offen zur Schau gestellten Ambitionen, Deutschland zur Führungsmacht in Europa zu machen und die stärkste Streitmacht des Kontinents aufbauen zu wollen. Auch in den 1950er Jahren hatten die westdeutschen Energiekonzerne ursprünglich wenig Interesse an Atomkraftwerken. Erst massive Subventionen und das Drängen der offen für atomare Bewaffnung werbenden Bundesregierungen brachte seinerzeit den Sinneswandel. Hintergrund war und ist heute, dass mit dem Bau von Atomkraftwerken und der Ausbildung des dafür notwendigen Personals zugleich auch wichtige Voraussetzungen für die Herstellung von Atomsprengköpfen geschaffen werden.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (30. Mai 2025 um 08:06 Uhr)
    Zum Foto: Wie er sich da an Merz ran schmeißt. Dem Macron graust offensichtlich vor gar nichts. Und wie er gezwungen ist, aufzublicken. Symbolisiert das die Machtverhältnisse in EU-Europa?
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (29. Mai 2025 um 23:32 Uhr)
    Vermutlich ist es nicht der Griff nach der Atombombe, der konservative Kreise nach Kernkraftwerken verlangen lässt. In abgebrannten Kernbrennstäben ist etwa 1 Prozent Plutonium enthalten, das braucht man »nur« extrahieren (nicht so einfach, aber machbar und es gibt schon genug abgebrannte Brennstäbe). Die gebildeten EnergiewenderInnen von der Kapitalfraktion denken in längeren Zeithorizonten und wollen Fernwärme. Fernwärme aus Abwärme! Die DW (https://www.dw.com/en/czech-researchers-develop-revolutionary-nuclear-heating-plant/a-57072924) schreibt unter dem Titel: »Nuclear heating: A low-cost, greener option?«: »Teplator, a system which uses the radioactive decay heat produced by spent fuel rods from nuclear reactors to heat water.« auf Deutsch (DeepL): Mit dem »Teplator, ein[em] System, das die radioaktive Zerfallswärme von abgebrannten Brennstäben aus Kernreaktoren zur Erwärmung von Wasser nutzt« kann man also die Bude warm machen. Fernwärme statt Endlager!
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (29. Mai 2025 um 22:53 Uhr)
    Deutschland, das Land der Dichter, Denker und Dauerkompromisse, hat mal wieder zugeschlagen – diesmal beim Thema Atomkraft. Erst raus, dann vielleicht doch wieder rein, aber nur ein bisschen, nur europäisch, und am besten bezahlt von anderen. Während der Rest der Welt fleißig neue Reaktoren baut, wärmt sich Deutschland an der Idee, dass man vielleicht irgendwann wieder darüber nachdenken könnte, ob man eventuell darüber reden sollte, Atomkraft unter gewissen Bedingungen nicht mehr ganz so schlimm zu finden – solange sie sich als »emissionsarm« verkleidet. Deutschland schafft es wie kein zweites Land, sich gleichzeitig über zu hohe Energiepreise zu beklagen und trotzdem jede halbwegs günstige Energiequelle mit moralischer Empörung zu bewerfen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Usedom (29. Mai 2025 um 20:06 Uhr)
    Die Lehren von Tschernobyl und Fukushima scheinen vergessen. Vergessen auch, dass unser Land noch nicht einmal ein Endlager für denjenigen atomaren Müll zustandebringt, den es bereits produziert hat, von zukünftigem ganz zu schweigen. Um die Profite einzustreichen, die der Bau neuer Atomkraftwerke zu versprechen scheint, ist manch ein Kapitaleigner bereit, komplett verbrannte Erde zu hinterlassen. Politische Schönredner, die jegliche Probleme dieser Technologie wegdiskutieren, kann er bei den zu verdienenden Riesensummen unschwer aus der Portokasse bezahlen. Praktischer Kapitalismus eben. 300 Prozent Profit machen absolut waghalsig. »Und sei es um die Gefahr des Galgens.«

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