Das Damoklesschwert der Atomkraft
Von Wolfgang Pomrehn
In der Bundesregierung gibt es erhebliches Gerangel um die Energiepolitik. Während die Union mit der Werbung für neue Atomkraftwerke Wahlkampf gemacht hatte, hält Bundesumweltminister Carsten Schneider (SPD) davon recht wenig. Strittig ist unter anderem, ob die Atomkraft auf EU-Ebene als nachhaltig klassifiziert werden sollte, was den Kraftwerksbetreibern gewisse finanzielle Vorteile bringen würde. »Äußerungen von einzelnen Mitgliedern der Bundesregierung, es gäbe hier eine neue Offenheit, sind Privatmeinungen«, meinte der SPD-Politiker vergangene Woche gegenüber der Deutschen Presseagentur in Berlin. Die Finanzierung von Atomanlagen aus EU-Mitteln lehne Deutschland ab, erklärte Schneider. »Das gilt auch für Versuche, Atomstrom mit nachhaltiger Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien gleichzusetzen.«
Für die großen Energiekonzerne scheint die Lage ziemlich klar. Eon-Chef Leonhard Birnbaum im Januar im Interview mit dem Handelsblatt: »Es wird in Deutschland kein privates Unternehmen geben, das Geld in neue Kernkraftwerke investiert.« Auch RWE-Chef Markus Krebber lehnt die Rückkehr zur Atomkraft in Deutschland ab. Krebber laut t-online: »Ein Neubau dauert bis zu zehn Jahre oder mehr, Atomkraft hilft nicht bei den aktuellen Engpässen. Aktuelle Kernkraftprojekte in anderen Ländern zeigen: Sie sind oft doppelt so teuer wie geplant und kosten zweistellige Milliardenbeträge. Daher müsste der Staat das wirtschaftliche Risiko übernehmen, wenn er will, dass neue Anlagen gebaut werden.«
Und dennoch kann die Union es nicht lassen. Anfang Mai war Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Paris. In einer gemeinsamen Presseerklärung hieß es im Anschluss, man wolle einen »Neustart in der Energiepolitik (…). Das bedeutet, den Grundsatz der Technologieneutralität umzusetzen, sprich die Gleichbehandlung auf EU-Ebene aller emissionsarmer Energien sicherzustellen (…).« Auch die Atomkraft gilt, sofern es um Treibhausgase geht, als emissionsarm und ist hier gemeint. Merz drängt also gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron darauf, der Atomkraft Privilegien einzuräumen.
Was steckt hinter diesem ökonomisch nicht erklärbaren Verlangen der Union nach neuen Atomkraftwerken? Nicht von der Hand zu weisen ist, dass der Griff nach der Atombombe in konservativen Kreisen in den letzten Jahren verstärkt propagiert wurde. Dies passt konsequenterweise zu den offen zur Schau gestellten Ambitionen, Deutschland zur Führungsmacht in Europa zu machen und die stärkste Streitmacht des Kontinents aufbauen zu wollen. Auch in den 1950er Jahren hatten die westdeutschen Energiekonzerne ursprünglich wenig Interesse an Atomkraftwerken. Erst massive Subventionen und das Drängen der offen für atomare Bewaffnung werbenden Bundesregierungen brachte seinerzeit den Sinneswandel. Hintergrund war und ist heute, dass mit dem Bau von Atomkraftwerken und der Ausbildung des dafür notwendigen Personals zugleich auch wichtige Voraussetzungen für die Herstellung von Atomsprengköpfen geschaffen werden.
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