Energiewende mit Gaskraftwerken
Von Wolfgang Pomrehn
Der Strom soll billiger, die Energiewende weitergeführt, die Netze sollen ausgebaut und die Kommunen stärker an den mit Solar- und Windstrom erzeugten Einnahmen beteiligt werden. So die Energieminister und -senatoren von Bund und Ländern in einer Abschlusserklärung nach ihrem Treffen vorige Woche in Rostock. Auf den ersten Blick also alles in Ordnung. Wind, Sonne und Co. liefern inzwischen mehr als 50 Prozent des Stroms, und die Energiewende geht weiter. Vor allem der Ausbau der Solarenergie läuft auf Hochtouren: Vergangenes Jahr kamen 16,9 Gigawatt (GW) hinzu, dieses Jahr bereits weitere 4,9 GW. Allein damit lassen sich rechnerisch vier bis fünf Millionen Haushalte versorgen.
Das Problem ist jedoch, dass Solarstrom eher im Sommer anfällt und nur tagsüber. Er muss also zum Teil gespeichert oder durch andere Erzeuger ergänzt werden. Hier setzt derzeit der Gegenwind an, mit dem die Energiewende immer noch zu kämpfen hat. Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, reichlich neue Gaskraftwerke zu bauen. 20 GW Leistung sollen sie haben. Die neue Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche, die vor kurzem noch die Eon-Tochter Westenergie geleitet hat, soll das umsetzen.
Mit 20 GW Kraftwerksleistung lassen sich sechs bis sieben Millionen durchschnittliche Haushalte versorgen. Würden sie rund um die Uhr laufen, auch erheblich mehr, aber Deutschlands Gaskraftwerke waren 2024 nur zu 15 Prozent ausgelastet, und das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Die Gaskraftwerke sind Lückenbüßer. Auch die neuen sollen, so wird versprochen, nur laufen, wenn Sonne und Wind nicht genug liefern. Andere Lösungen für das Problem der unstetigen Stromproduktion von Windkraft- und Solaranlagen, wie etwa Ausbau der Speicher oder Flexibilisierung des Bedarfs, werden mit dem Ansatz Gaskraftwerke außer acht gelassen.
Auch die Folgen für das Klima sind problematisch. Bei der Verbrennung von Erdgas wird nämlich ebenso wie bei Kohle oder Erdölprodukten Kohlendioxid freigesetzt. Außerdem entweicht bei Förderung und Transport – insbesondere, wenn es sich um Frackinggas aus den USA handelt – Methan, was ein noch erheblich wirksameres Treibhausgas ist. Der in Aussicht gestellte Umstieg auf Wasserstoff steht noch völlig in den Sternen, denn bisher ist nicht absehbar, ob genug davon produziert werden könnte und ob dadurch nicht die Kosten erheblich in die Höhe schnellen würden. Ebenso ist das Abscheiden von Kohlendioxid aus den Kraftwerksabgasen, wie es laut Koalitionsvertrag angestrebt werden soll, erstens energie- und damit kostenintensiv, zweitens technisches Neuland und drittens bisher ohne ausreichende, sichere und gesellschaftlich akzeptierte Lagerstätten. Neue Gaskraftwerke gefährden also das – unzureichende – Ziel, bis 2045 die deutschen Treibhausgasemissionen so weit herunterzufahren, dass ein winziger Rest durch andere Maßnahmen wie Aufforstung oder Vernässung ehemaliger Moore kompensiert werden könnte.
Zudem sind Gaskraftwerke bei nur 15 Prozent Auslastung alles andere als wirtschaftlich, weshalb sie massiv subventioniert werden sollen. Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) hat ausgerechnet, dass 22,2 bis 32,4 Milliarden Euro fließen müssen. Wer diese letztlich zahlt, ist unklar. Im Gespräch ist unter anderem eine Umlage auf den Strompreis, was je nach Laufzeit der Kraftwerke laut FÖS bis zu 1,6 Cent pro Kilowattstunde zusätzliche Kosten für den Verbraucher bedeuten könnte.
Ob sich aber die Pläne der neuen Regierung tatsächlich so schnell wie vorgesehen umsetzen lassen, ist fraglich. Ein Treffen der Wirtschaftsministerin mit der Vizechefin der EU-Kommission, Teresa Ribera, hatte vergangene Woche gezeigt, dass es in Brüssel erhebliche Vorbehalte gibt. Das Vorhaben der Bundesregierung verstößt nach Ansicht der Kommission gegen die EU-Regeln für Beihilfen im Energiesektor. Man sieht offensichtlich eine Wettbewerbsverzerrung. Schon Reiches Vorgänger Robert Habeck hatte in Brüssel für eine abgespeckte Variante der Gaskraftwerkspläne geworben, war dort aber auf wenig Gegenliebe gestoßen. Nur fünf GW wollte die Kommission ihm zugestehen und auch nur dann, wenn fünf weitere GW an neuen Gaskraftwerken spätestens acht Jahre nach Inbetriebnahme auf Wasserstoff umgerüstet werden.
Derweil hält die politische Rechte trotz der hohen Kosten und der Widerstände aus Brüssel am Kraftwerksneubau fest. Bayerns Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern brachte nach dem Rostocker Ministertreffen das Kunststück fertig, für Gaskraftwerke zu werben, weil diese für billigeren Strom sorgen und somit die Akzeptanz der Energiewende sichern würden. Vermeintlich mangelhafte Akzeptanz wird immer gerne bemüht, um Maßnahmen durchzusetzen, die eher den Energiekonzernen nutzen. Dabei zeigen Meinungsumfragen, dass es um sie in der Bevölkerung ganz gut bestellt ist. Eine Befragung im Auftrag der Agentur für Erneuerbare Energien ergab im vergangenen November, dass 57 Prozent der Bevölkerung Anlagen der erneuerbaren Energieträger positiv gegenüberstehen. Besonders Anwohner sind aufgeschlossen. 86 Prozent der Deutschen, in deren Nachbarschaft sich ein Windrad dreht, finden dies völlig in Ordnung. Solardächer erhalten in ihrer Nachbarschaft 82 Prozent Zustimmung und selbst Biogasanlagen noch 56 Prozent. Eine ähnliche Umfrage der Agentur hatte 2017 für Gaskraftwerke nur 20 Prozent Zustimmung bei deren Nachbarn ergeben.
Profitquelle Erdgas
Die Energieversorgung ist ein großes Geschäft. Nicht nur der Verkauf von Benzin und Diesel für den Straßenverkehr, in dem sich vollkommen ineffizient täglich Dutzende Millionen Menschen in ihren individuellen, tonnenschweren Pkw bewegen und dem jährlich mehrere zehntausend Menschen durch Verkehrsunfälle und vor allem aufgrund von Luftverschmutzung und Verkehrslärm zum Opfer fallen. Auch mit der Erzeugung und Verteilung von Erdgas und elektrischer Energie lässt sich sehr viel Geld verdienen. RWE hat 2024 einen Vorsteuergewinn von über fünf Milliarden Euro gemacht und will künftig nur dort investieren, wo sich eine Rendite von mindestens 8,5 Prozent erzielen lässt. Bei Eon waren es sogar neun Milliarden, was dem Vorstand allerdings nicht reicht. Bis 2028 soll der Vorsteuergewinn auf elf Milliarden Euro gesteigert werden. Das so gut laufende Geschäftsmodell der beiden Konzerne beruht wie ehedem vor allem auf Erdgas und – im Falle von RWE – auf Braunkohle, also auf der weiteren Zerstörung von Landschaft, Dörfern und Klima.
Und diese so munter sprudelnde Profitquelle möchte man ungern verlieren. Das erklärt die jüngsten Mahnungen der beiden Konzerne, man möge sich doch bitte mit der Energiewende ein wenig mehr Zeit lassen. Natürlich wird auch ein wenig in erneuerbare Energieträger investiert – vorzugsweise in gigantische Windparks auf See. Auch in die Netze soll viel Geld gesteckt werden, aber nur – siehe oben – wenn das mindestens 8,5 Prozent Rendite bringt. Bezahlen muss diesen staatlich garantierten Monopolgewinn der Verbraucher mit der Stromrechnung, bei der die sogenannten Netzentgelte rund 28 Prozent des Strompreises ausmachen. Doch Schuld an den hohen Stromreisen sei die Energiewende, hören wir allenthalben, und nicht etwa die Tatsache, dass teures Flüssigerdgas aus den USA eingekauft wird und RWE und Co. sich ein möglichst großes Stück vom Kuchen abschneiden wollen. (wop)
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