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Aus: Ausgabe vom 28.05.2025, Seite 8 / Inland
Klassenkampf im Hinterland

»Überall ansetzen, auch in der vermeintlichen Provinz«

Baden-Württemberg: Neue Ortsgruppe von »Organisierte Autonomie« in Schwäbisch Gmünd gegründet. Gespräch mit Mara Estrella
Interview: Hendrik Pachinger
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»Schwäbisch Gmünd für Solidarität & Vielfalt«: Hunderte demonstrieren gegen einen Auftritt des AfD-Landesvorsitzenden Markus Frohnmaier (11.2.2025)

Die bereits in Nürnberg und Stuttgart aktive »Organisierte Autonomie«, kurz OA, hat am 1. Mai die Entstehung einer weiteren Ortsgruppe in Schwäbisch Gmünd bekanntgegeben. Weshalb arbeiten Sie mit einer in Großstädten verankerten Gruppierung zusammen?

Wir standen vor der Frage, wie wir unsere politische Arbeit in Schwäbisch Gmünd strategischer aufstellen können. Die OA war für uns aufgrund ihres verbindlichen, klassenorientierten und basisnahen Organisierungsansatzes sehr überzeugend. Wir wollten nicht isoliert bleiben, sondern Teil einer überregionalen Organisierung werden, die konkrete Kämpfe vor Ort führt und zugleich am Aufbau von Gegenmacht arbeitet, um die bestehenden Verhältnisse zu überwinden. Die OA verbindet alltägliche politische Auseinandersetzungen mit einer langfristigen strategischen Ausrichtung.

Die politischen und materiellen Bedingungen linker Gruppen in der schwäbischen Provinz unterscheiden sich stark von denen in Großstädten. Wie gehen Sie damit um?

In einer Kleinstadt wie Schwäbisch Gmünd fehlen klassische linke Infrastrukturen. Dafür eröffnen sich andere Möglichkeiten. Weil der Raum enger ist, fällt politisches Handeln sofort auf. Das birgt Chancen und Risiken zugleich. Aber das, wofür OA steht, funktioniert überall: egal, ob in Nürnberg, Stuttgart oder Schwäbisch Gmünd. Wir sind auch überzeugt davon, dass wir – frei nach Clara Zetkin – dort kämpfen müssen, wo das Leben ist, dort, wo wir lernen und leben. Denn dort spüren Menschen die alltäglichen Auswirkungen von Ausbeutung, Unterdrückung und Krisen, dort müssen wir also ansetzen und Widerstand organisieren.

Das machen wir auf unterschiedliche Art und Weise: in der Frauenselbstorganisierung, wo Sexismus und Patriarchat thematisiert und bekämpft werden; in Jugendgruppen oder in antifaschistischen Initiativen, die gegen Rassismus, rechte Politik und deren soziale Basis vorgehen. Zentrale Bedeutung kommt gerade in Kleinstädten dem Aufbau von Räumlichkeiten zu. Sie dienen als Anlaufpunkte und Orte politischer Organisierung. Sie machen linke Politik im Alltag erfahrbar und bieten Menschen die Möglichkeit, sich jenseits von Vereinzelung und Ohnmacht kollektiv zu organisieren.

Die neue OA trat direkt mit einer eigenen Demonstration in Erscheinung. Warum haben Sie einen Kongress rechter Abtreibungsgegner als Anlass genommen?

Wir und vor allem die Fraueninitiative Schwäbisch Gmünd wollten sichtbar machen, dass antifeministische und reaktionäre Ideologien hier keinen Platz haben. Der sogenannte »Leben.Würde«-Kongress brachte christlich-fundamentalistische und rechtskonservative Akteure zusammen, die Selbstbestimmung gezielt angreifen. Unsere Demonstration war ein deutliches Zeichen gegen diesen Rollback. Über 300 Menschen folgten dem Aufruf.

Was hat die Fundamentalisten nach Schwäbisch Gmünd geführt?

Konservative Netzwerke fühlen sich in der Provinz sicher, weil sie hier oft ungestört agieren können und einen gewissen Rückhalt aus Kirche und der Lokalpolitik genießen. Der »Lebensschutz«-Diskurs dient dabei oft als Deckmantel für allgemein antifeministische, autoritäre und reaktionäre Politik. So auch bei dem Kongress.

Welches Potential gibt es vor Ort für linken Protest?

Mobilisierung und Beteiligung an der Demo haben gezeigt: Auch in der »Provinz« gibt es viele Menschen, die nicht bereit sind, reaktionären Entwicklungen tatenlos zuzusehen. Bestehende Widersprüche werden in Kleinstädten zwar durch direktere soziale Beziehungen kaschiert, liegen aber genauso vor. Und damit auch das Potential für Protest. Darum ist es wichtig, auch dort präsent zu sein, nicht nur mit punktuellen Interventionen, sondern zwecks langfristigem Aufbau solidarischer Strukturen. Wer die Verhältnisse verändern will, muss überall ansetzen, auch in der vermeintlichen Provinz.

Mara Estrella spricht für die neu gegründete »Organisierte Autonomie Schwäbisch Gmünd«

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