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Aus: Ausgabe vom 28.05.2025, Seite 2 / Inland
Prekarisierung studentischer Arbeit

»Wenn alle streiken, wäre es still an der Uni«

Hessen: Gewerkschaft kämpft gegen Ausbeutung studentischer Hilfskräfte. Missstände in Frankfurt besonders groß. Ein Gespräch mit Chenoa Luna Brach
Interview: Gitta Düperthal
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Blick in ein Seminargebäude der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Die Basisgewerkschaft »Unterbau« kritisiert, dass mehr als 2.000 studentische Hilfskräfte der Goethe-Universität Frankfurt unter prekären Bedingungen arbeiten. Was bedeutet das in der Praxis?

Die studentischen Hilfskräfte erhalten einen Stundenlohn von 14,11 Euro, die mit Bachelorabschluss einen Euro mehr. Es gibt auf ein Jahr befristete Arbeitsverträge, oft aber nur für vier oder sechs Monate.

Konnte die Gewerkschaft Verbesserungen erkämpfen?

Vor kurzem haben wir ein Recht auf mindestens zehn Wochenstunden durchgesetzt. In Zeiten steigender Mieten, Lebenshaltungskosten und aktueller Inflation reichen aber die etwa 530 Euro netto pro Monat einfach nicht. Oft wird selbst das umgangen: Manche Studierende haben nur fünf Stunden vereinbart, arbeiten aber tatsächlich mehr. Da frage ich mich: Welchen Stellenwert hat studentische Arbeit für eine Universität, die zwar Forschungsexzellenz betont, aber faire Bezahlung systematisch verweigert?

Wie lautet die Antwort mit Blick auf die Goethe-Universität?

Kanzler Ulrich Breuer und Universitätspräsident Enrico Schleiff wollen keinen Tarifvertrag abschließen. Wir fordern ihn seit Jahren. Ein Unding: In der Leitungsebene erhalten sie ein fünfstelliges Monatsgehalt, für unsere wissenschaftliche Arbeit speist man uns knapp über dem Mindestlohn ab.

Sie beschweren sich auch, weil keine Arbeitsmittel gestellt werden. Woran mangelt es?

Wir betreuen Tutorien, organisieren Veranstaltungen, korrigieren Aufgaben, entlasten Verwaltung und Lehre. Ohne studentische Hilfskräfte läuft an vielen Stellen nichts. Doch das Präsidium sieht sich nicht als zuständig, Arbeitsmittel für uns bereitzustellen. Man verweist auf die einzelnen Institute und die wiederum auf ihre knappen Haushalte. Für uns bedeutet das: keine festen Arbeitsplätze, keine Rechner, keine Softwarezugänge. Wir arbeiten teils im Homeoffice, teils an der Uni. Dort sitzen mitunter acht Kolleginnen und Kollegen in einem Raum mit zwei veralteten PCs. Wir müssen unsere privaten Laptops einsetzen. Ist der kaputt, ist das unser Problem!

Seit wann bestehen diese Missstände?

Das ist keine neue Entwicklung. Dieser Zustand hat sich in den letzten Jahren weiter verfestigt, parallel zur zunehmenden Prekarisierung studentischer Beschäftigung. Wir fordern deshalb ein transparentes Budget für digitale und analoge Arbeitsmittel.

Was sagen Professorinnen oder Dozenten dazu?

Manche setzen einfach voraus, dass wir private Arbeitsgeräte verwenden – als wäre das normal. Andere sind sich des Problems bewusst und genervt von der Situation. Quasi alle scheuen aber den offenen Konflikt mit der Universitätsleitung. Sei es aus Zeitmangel, aus Sorge um das eigene Standing im Institut oder weil sie glauben, dass sich sowieso nichts ändern lässt. In der Verantwortung steht das Präsidium der Goethe-Universität, das die Institute finanziell dafür ausstatten muss. Dort weiß man um das Problem, unternimmt aber nichts, um es zu lösen.

Was würde geschehen, wenn die studentischen Hilfskräfte streiken?

Zur Zeit machen wir eine Bestandsaufnahme der Probleme. Wegen der befristeten Verträge gibt es Angst, »unangenehm aufzufallen« oder den Job nicht verlängert zu bekommen. Manche hoffen, über eine Hilfskraftstelle den Sprung in die wissenschaftliche Karriere zu schaffen. Viele sind aber motiviert und haben Lust, sich einzubringen. Wenn alle streiken, wäre es still an der Uni.

Sind die Missstände an der Frankfurter Goethe-Uni denn besonders heftig?

Schon, aber viele Unis sparen bei ihren studentischen Beschäftigten: Befristungen, schlechte Bezahlung, keine Ausstattung. Wir vernetzen uns bundesweit über die »TVStud«-Kampagne, die einen Tarifvertrag für die studentischen Hilfskräfte fordert.

Worauf arbeiten Sie langfristig hin?

Gerade erleben wir, wie das Präsidium autoritär durchregiert, über unsere Köpfe hinweg entscheidet, ohne echte Beteiligung und Transparenz. Wir wollen diese Strukturen grundlegend verändern. Unser Ziel ist eine Uni, an der nicht ein paar wenige oben bestimmen, sondern alle mitreden und gemeinsam gestalten. Das ist die Zukunft, für die wir kämpfen.

Chenoa Luna Brach ist studentische Beschäftigte und Gewerkschaftssekretärin bei »Unterbau«

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