Streik liegt in Britanniens Luft
Von Dieter Reinisch
In Britannien geht es bei den Lohnverhandlungen unter der Labour-Regierung genauso weiter wie unter ihrem konservativen Vorgänger zuvor: Die Angebote sind zu niedrig, wiegen nicht oder nur kaum den Reallohnverlust der letzten Jahre auf – ergo: Die Gewerkschaften rüsten zum Arbeitskampf. Wie schon in den vergangenen Jahren gibt es die größten Konflikte zwischen Ärzten, Lehrern und Bahnbediensteten auf der einen Seite und der Regierung auf der anderen. Pädagogen und Medizinern wurden vier Prozent Lohnplus angeboten, für die Gewerkschaftsseite ist das indiskutabel. Am Dienstag beginnt die British Medical Association (BMA) daher mit einer Mitgliederbefragung, ob ein Streikmandat ausgestellt werden soll.
Auf ihrer Homepage schrieb BMA, das Beratungsgremium der Regierung habe eine Gehaltserhöhung für Assistenzärzte »von lediglich vier Prozent plus 750 Pfund Sterling (894 Euro) empfohlen«. Das sei ein Angebot, das »bei der aktuellen Inflationsrate keinen nennenswerten Fortschritt« beim Ausgleich des Reallohnverlusts der letzten zwei Jahrzehnte darstellen würde. In Anspielung auf die intensiven und mehrere Jahre andauernden Arbeitskämpfe im britischen Gesundheitswesen der letzten vier Jahre heißt es: »Wir haben es schon einmal geschafft, wir können es wieder schaffen.«
BMA-Daten zeigen, dass der Reallohnrückgang seit 2008/09 bei 20,9 Prozent liegt: »Anders ausgedrückt: Assistenzärzte arbeiten immer noch ein Fünftel ihrer Arbeitszeit umsonst.« Zwar habe sich die Situation durch die Arbeitskämpfe der letzten Jahre etwas verbessert, jedoch würde das aktuelle Angebot den Reallohnverlust wieder anheben. Vor Beginn der NHS-Arbeitskämpfe lag im Geschäftsjahr 2022/23 der Reallohnverlust der Assistenzärzte sogar bei über 35 Prozent gegenüber 2008/09. Das Angebot selbst bezeichnete die BMA in einer Mitteilung vom vergangenen Freitag als »lächerlich« und geht davon aus, dass in der Abstimmung eine deutliche Zustimmung zu Arbeitsniederlegungen gezeigt werde.
Auch die Lehrergewerkschaft National Education Union (NEU) kündigte vergangene Woche an, sie werde »wahrscheinlich einen Arbeitskampf mit der Regierung beginnen«, wenn deren Angebot für Lehrer in England weiterhin unter vier Prozent Lohnsteigerung bleibt, schrieb NEU am Freitag in einer Aussendung.
Gesundheitsminister Wes Streeting verteidigte die Angebote am Donnerstag gegenüber der BBC mit der Begründung, sie lägen über der Inflationsrate von aktuell 3,5 Prozent. Doch besonders Wohnen und Lebensmittel wurden überproportional teurer: Der Preis für Milch stieg laut den Daten in den vergangenen zwölf Monaten um fünf, der fürs Wohnen sogar um sieben Prozent. Auch Energie und Wasser waren Preistreiber.
Die Vierprozentangebote an Ärzte und Lehrer führten bei NHS-Verhandlern zu zusätzlichem Unmut, denn den restlichen Gesundheitsarbeitern wurden nur 3,6 Prozent Lohnplus angeboten. Die Pflegegewerkschaft Royal College of Nursing (RCN) bezeichnete es als »grotesk«, dass Pflegekräften eine geringere Erhöhung als Ärzten angeboten wurde, die von den Preiserhöhungen »vollständig aufgezehrt« würde. Die Gewerkschaft plane daher, die Pflegekräfte zu befragen, ob sie mit der Erhöhung einverstanden sind oder ob sie Arbeitskampfmaßnahmen wollen. Sollten sie Streiks unterstützen, könnte eine formelle Urabstimmung darüber stattfinden, erklärte RCN, die im Dezember 2022 erstmals in ihrer bis dahin 106jährigen Geschichte in den Streik trat.
Während Lehrer- und Bildungsgewerkschaften noch über Arbeitskämpfe abstimmen lassen, gab es am vergangenen Sonnabend bereits wieder Streiks der von der ASLEF-Gewerkschaft vertretenen Lokführer bei Lokalbahnen, darunter Hull Trains in East Yorkshire.
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