Uneinig über Weg und Ziel
Von Tim Krüger
Mehr als eine Woche nach der Ankündigung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), den bewaffneten Kampf zu beenden und sich aufzulösen, ist weiterhin unklar, wie der in der Türkei im Oktober vergangenen Jahres in Gang gekommene Friedensprozess weitergeht. Trotz eindringlicher Mahnungen der PKK-Führung in Veröffentlichungen zum jüngsten Parteikongress, dass eine Auflösung und Waffenniederlegung nur möglich sei, wenn der türkische Staat spürbare Reformen voranbringt, ist davon bisher wenig zu spüren.
Alle relevanten Parteien der Türkei hatten die Erklärung der PKK vom Montag vergangener Woche einhellig begrüßt und zugesagt, den angestoßenen Prozess gemeinsam weiter voranbringen zu wollen. Dabei wurden bisher ungeahnte Brücken geschlagen. Der Vorsitzende der faschistischen MHP, Devlet Bahçeli, dankte dem PKK-Gründer Abdullah Öcalan und der prokurdischen Dem-Partei dafür, in einer »historischen Phase Verantwortung übernommen zu haben«. In unerwarteter Einigkeit forderten Dem-Partei und Bahçeli die Einsetzung einer überparteilichen Kommission im türkischen Parlament, die den Prozess weiter begleiten und mit rechtlichen Veränderungen untermauern soll.
Uneinigkeit gibt es weiterhin vor allem darin, was das Ziel dieses immer wieder als gemeinsamer Weg bezeichneten Prozesses sein soll. Während die Dem-Partei und auch andere linke Organisationen innerhalb der Türkei von einem Prozess des Friedens und des demokratischen Wandels innerhalb der Gesellschaft reden, betonen die Parteien der Regierungsallianz aus AKP und MHP sowie verschiedene Oppositionsparteien, zu einer »terrorfreien Türkei« gelangen zu wollen.
Ein erster konkreter Schritt auf parlamentarischer Ebene könnte schon jetzt in Arbeit sein. So soll die AKP nach türkischen Medienberichten zur Aushandlung einer Novelle des Justizvollzugsgesetzes auf die Dem-Partei zugegangen sein, gemeinsam habe man über die Entlassung schwerkranker Gefangener beraten. Dabei soll die Dem-Partei erneut ihre Forderung nach einem Ende der Zwangsverwaltung, der Entlassung inhaftierter Politiker und der Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vorgebracht haben. Dieser hatte die Türkei eigentlich schon vor Jahren verpflichtet, den prominenten Politiker und früheren Vorsitzenden der Dem-Vorgängerin HDP Selahattin Demirtaş freizulassen.
Unklar ist, wann es zu einer Entscheidung über die möglichen Reformen kommen könnte. Dem-Politiker hatten darauf gedrängt, noch vor dem islamischen Opferfest am 5. Juni konkrete Beschlüsse zu fassen. Einer Analyse des Justizministeriums zufolge könnten rund 60.000 Gefangene von der Reform profitieren, darunter wohl auch Tausende, die nach dem Terrorismusparagraphen wegen angeblicher oder tatsächlicher Verbindungen zur PKK in Haft sitzen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan legte am Donnerstag nach. Auf der Rückkehr von einem Besuch in Ungarn behauptete er vor Journalisten, kein Interesse an einer Wiederwahl zu haben. Die Türkei brauche allerdings eine neue Verfassung, die man auch gemeinsam mit der größten Oppositionspartei CHP ausarbeiten wolle. Ziel sei, die aktuelle Verfassung, die noch aus der Zeit des Militärputsches von 1980 stammt, so zu überarbeiten, dass sie sowohl nationale als auch lokale Realitäten abbilde.
Gänzlich unbeantwortet ist bislang die Frage, wie die Waffenniederlegung der PKK vonstatten gehen soll. Die Partei hatte anlässlich ihres Kongresses wiederholt betont, dass dieser Schritt nicht möglich sein werde, sollte die türkische Armee ihre Angriffe fortsetzen. Auch die Auflösung der PKK könne unter solchen Bedingungen nicht stattfinden. Zuletzt hatten unabhängige Stellen verstärkte türkische Angriffe im Nordirak bestätigt.
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