»Bisher gab es nur einseitige Schritte«
Von Tim Krüger
Die Anfang letzter Woche verbreitete Erklärung zur Auflösung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat viele Spekulationen darüber ausgelöst, welche Teile der kurdischen Bewegung genau gemeint sind. So forderte der türkische Staat, dass diese auch Vereinigungen in Syrien, Irak, Iran und Europa einschließt. Türkische Regierungsvertreter forderten zudem die Auflösung der KCK. Wie beurteilen Sie diese Forderungen und in welcher Beziehungen stehen sie zur PKK?
Die PKK hat keine organisatorischen Verbindungen zu kurdischen Organisationen und politischen Parteien in Syrien, im Irak, im Iran und in Europa. Seit dem Tag ihrer Gründung bis zum Tag ihrer Auflösung, hat sich die PKK für nationale Einheit eingesetzt. Die Tatsache, dass es in den verschiedenen Teilen Kurdistans und in Europa weitere Parteien und Organisationen gibt, die sich von der philosophischen und politischen Linie des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan inspirieren lassen, bedeutet nicht, dass die PKK organisatorische Verbindungen zu ihnen unterhält. Es gibt auf dieser Welt viele Organisationen, Parteien und Bewegungen – unabhängig davon, ob sie sich als sozialistisch, liberal, konservativ oder beispielsweise islamistisch definieren –, die zwar jeweils die gleichen ideologischen Grundlagen teilen, aber keine organisatorischen Verbindungen miteinander teilen.
Die KCK ist ein breites System, das sich aus einer Vielzahl kurdischer Kräfte zusammensetzt, die auf politischer, sozialer und kultureller Ebene tätig sind. Die PKK war zuvor eine dieser Kräfte. Die KCK wird sich auch ohne die PKK weiterentwickeln und sich bemühen, ihrer Rolle und ihren Aufgaben gerecht zu werden.
Sehen Sie angesichts der anhaltenden Angriffe auf die kurdische Guerilla im Nordirak nach Bekanntgabe des Auflösungsprozesses eine positive Entwicklung innerhalb des türkischen Staates?
Es muss festgestellt werden, dass das türkische Militär seit der einseitigen Waffenstillstandserklärung der PKK von Anfang März seine Angriffe nicht nur fortgesetzt, sondern noch weiter intensiviert hat. Alle bisher unternommenen Schritte von seiten Abdullah Öcalans und der PKK waren einseitige Schritte. Bislang haben keine offiziellen Verhandlungen stattgefunden und es wurden weder schriftliche noch mündliche Vereinbarungen getroffen.
Andererseits ist die Tatsache, dass die Angriffe des türkischen Militärs bis heute unvermindert anhalten, ein klarer Ausdruck dafür, dass sich Mentalität und Politik des türkischen Staates gegenüber dem kurdischen Volk nicht geändert haben. Die Türkei verfolgt weiterhin eine Politik des kulturellen Völkermords an den Kurden. Abdullah Öcalan und die PKK zeigen eine Chance für einen echten Frieden und eine demokratische Lösung auf. Diese Initiative gilt es nun zu beantworten.
In der Vergangenheit hat Ihre Bewegung die Herangehensweise der türkischen Regierung an die kurdische Frage als faschistisch bezeichnet. Worin sehen Sie jetzt die Hauptmotivation dieser Regierung, sich doch auf eine politische Lösung einzulassen?
Dieses Umdenken in Teilen des türkischen Staates ist kein tatsächlicher Mentalitätswandel, sondern eine taktische Wende gegenüber den Kurden, die bislang nur auf rhetorischer Ebene erkennbar wurde. Diese Wende basiert im wesentlichen auf der Realität, die sich aus den folgenden zwei Entwicklungen ergibt:
Einerseits wurde der sogenannte »Zerschlagungsplan« mit dem Ziel gestartet, die kurdische Freiheitsbewegung zu vernichten und einen Völkermord zu begehen. Dieser Plan ist nicht nur vollständig gescheitert, sondern hat das Land an den Rand des Abgrunds gebracht. Die türkische Lira ist völlig abgewertet, die Wirtschaft liegt in Trümmern. Die offiziellen Angaben des Staates zu den Kosten des Krieges allein in den letzten Jahren belaufen sich auf zwei Billionen Dollar. Zudem ist die Wut der Bevölkerung über die grassierende Korruption der Machthaber so groß wie lange nicht mehr.
Zum anderen gibt es einen großen geopolitischen Wandel. Im Rahmen des Dritten Weltkriegs findet seit einigen Jahren eine Neugestaltung des Nahen Ostens statt. Das System der Nationalstaaten ist in der Region gescheitert, wie man am Beispiel des Irak und Syriens deutlich sehen kann. Neue Grenzen werden gezogen, und die regionalen Mächte, allen voran die Türkei und der Iran, verlieren ihre geostrategische Bedeutung. Die Türkei ist nicht mehr an großen strategischen Projekten wie dem India-Middle East-Europe Economic Corridor (IMEEC), beteiligt. Es ist diese täglich zunehmende Schwäche, die den türkischen Staat zu einem pragmatischen Umdenken zwingen. Ein Ende des Krieges und die Wiederherstellung der kurdisch-türkischen Brüderschaft ist der einzige Weg, um gestärkt aus dieser Phase hervorgehen zu können.
Welche Schritte erwarten Sie von der internationalen Gemeinschaft, um diesen Prozess zu unterstützen, auch in bezug auf eine Demokratisierung der Türkei?
Die Initiative Abdullah Öcalans hat nicht nur Auswirkungen auf die Türkei, sondern auf den gesamten Nahen Osten sowie die Welt. Die Politik der Verleugnung und des Völkermords der Türkei gegenüber den Kurden hat dieses Land dazu gebracht, sich mit vielen dschihadistischen Gruppen zu verbünden. Das hat dschihadistischen Terroristen geholfen, viele Terroranschläge auf der ganzen Welt und insbesondere in Europa zu verüben. Eine demokratische Lösung der Kurdenfrage würde dieses Land davon abhalten, seine alte Politik fortzusetzen, und direkt zu einer Verringerung der islamistischen Terrorgefahr für die internationale Gemeinschaft führen.
Zagros Hiwa ist Sprecher der Gemeinschaft der Gesellschaft Kurdistans (KCK), eines länderübergreifenden Dachverbandes von Organisationen, Parteien und Zusammenhängen der kurdischen Freiheitsbewegung
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