Dobrindts blinder Fleck
Von Niki Uhlmann
Es hat in der BRD Tradition: Im vergangenen Jahr verübten extrem Rechte wie auch in den Jahren zuvor den Großteil aller politisch motivierten Straftaten. Von Rechten gehe »die größte Gefährdung« aus, räumte auch Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) auf Nachfrage ein, als er am Dienstag gemeinsam mit dem Bundeskriminalamtspräsidenten Holger Münch die amtliche Statistik bei einer Pressekonferenz in Berlin vorstellte. Selbiges hielt auch der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) fest. Dessen Pressekonferenz und insbesondere Schlussfolgerungen widersprechen den Einsichten Dobrindts allerdings auf ganzer Linie und lassen Zweifel daran aufkommen, dass das Innenministerium dem Rechtsruck gewachsen ist – oder: dass es dessen Bekämpfung überhaupt anstrebt.
Insgesamt sei 2024 ein »Höchststand politisch motivierter Kriminalität« verzeichnet worden, stieg Dobrindt ein. Registriert wurden laut Pressemitteilung 84.172 Delikte, davon 42.788 aus dem rechten Lager (plus 48 Prozent), 9.971 aus dem linken, 7.343 durch »ausländische Ideologie« sowie 1.877 durch »religiöse Ideologie« angespornte und ganze 22.193 aus einem Spektrum namens »sonstige Zuordnung«. »Trennscharf« seien diese Kategorien allerdings nur bedingt, gestand Münch.
Zumal gerade bei Ermittlungen im Nachgang rechter Straftaten oft Beweise ignoriert oder unterschlagen würden, wie die Anwältin Seda Başay-Yıldız, die viele Opfer rassistischer Gewalt vertreten hat und vom VBRG eingeladen worden war, anmerkte. Jüngstes Beispiel ist der Prozess gegen den mutmaßlichen Brandstifter aus Solingen, bei dem eindeutige Hinweise auf ein rechtes Motiv wie eine Ausgabe von »Mein Kampf« erst auf Drängen der Kläger berücksichtigt und ausgewertet worden seien. »Es fällt Strafermittlungsbehörden schwer, rassistische und antisemitische Straftaten als solche zu erkennen und entsprechend zu ahnden«, fasste Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, zusammen.
Dobrindt sieht es mit aufkeimendem Faschismus nicht so eng. Man sei »entschlossen«, gegen »verfassungsfeindliche Bestrebungen jedweder Art« gleichermaßen vorzugehen, beteuerte er. Gegen Rechte wolle man den »Kampf« – dessen Wirkung angesichts der Statistik fraglich ist – »weiter fortsetzen«. Gegen Linke werde hingegen eine eigene, bereits im Koalitionsvertrag vereinbarte Strategie entwickelt. Diese hätten zwar weniger Gewalttaten begangen, letztere aber gegen kostspielige Infrastruktur gerichtet, was folglich weiterhin eine »Herausforderung für die Sicherheitsbehörden« sei. »Strommasten in Grünheide« scheinen dem Innenministerium schlichtweg wichtiger zu sein als die Sicherheit diskriminierter Menschen.
Mehreren Fragen, ob es nicht angezeigt wäre, ein besonderes Augenmerk auf extrem Rechte zu richten, wich Dobrindt mit Verweis auf die »Polarisierung der Gesellschaft« aus. Hier müssten »alle Möglichkeiten und Stärken der Demokratie« mobilisiert werden. Richtig in die Mangel nehmen will das Innenministerium all jene, die keine deutsche Staatsbürgerschaft haben. Gingen von ihnen Angriffe auf Vollstreckungsbeamte oder antisemitische Straftaten aus, sollen sie mit »Regelausweisungen« bestraft, sprich abgeschoben werden, so Dobrindt über »unsere historische Verantwortung«. In der BRD sind künftig also nur noch deutsche Antisemiten willkommen.
Dass es mehr um Grenzschließungen als um das deutsche »Rechtsextremismusproblem« gehe, sei Ausdruck eines »konservativen Rollbacks«, warnte Judith Porath, Geschäftsführerin bei Opferperspektive Brandenburg, im Namen des VBRG. Letzterer registrierte 2024 neun rechte Angriffe pro Tag. Der »migrationsfeindliche Diskurs« habe ferner ein Klima geschaffen, »in dem Opfer kaum noch Unterstützung erfahren«. Derweil würden bei Beratungsstellen wie ihrer Mittel gekürzt. Da die extreme Rechte mit der AfD inzwischen einen einflussreichen »parlamentarischen Flügel« habe, seien die aktuellen Entwicklungen »gefährlicher als die Baseballschlägerjahre«. Başay-Yıldız resümierte: »Auf die Politik verlasse ich mich nicht mehr.«
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