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Aus: Ausgabe vom 23.05.2025, Seite 12 / Thema
Gewerkschaften und AfD

Im Maschinenraum der Reaktion

2026 stehen die nächsten Betriebsratswahlen an. Rechte Netzwerke versuchen seit geraumer Zeit, sich in den Betrieben breitzumachen – teilweise mit Erfolg
Von Andreas Buderus
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Um die realen Bedingungen in Betrieben kümmert sich die AfD zwar nicht, dennoch inszeniert sie sich als Partei für Arbeiter

Es beginnt leise. Mit einem Gespräch in der Teeküche, einem Aushang am Schwarzen Brett. Mit einem Kollegen, der sagt: »Man wird ja wohl noch sagen dürfen …« Und ehe man sich versieht, ist der Betriebsrat nicht mehr Ort der Solidarität, sondern Bühne für ein ideologisches Schauspiel, in dem rechte Netzwerke das Drehbuch schreiben. Was wie ein beiläufiger Kulturkampf erscheint, ist in Wahrheit Teil einer langfristigen Strategie. Die sogenannte Neue Rechte hat gelernt: Wer die Gesellschaft verändern will, muss tief in ihre Strukturen greifen – nicht mit Putsch und Pathos, sondern mit Präsenz und Penetration. Es geht um Hegemoniefähigkeit. Und so hat sie die Betriebe für sich entdeckt: als Keimzellen der Normalisierung, als Orte, an denen man »ganz unpolitisch« Politik macht.

Die Ursprünge dieser Strategie reichen zurück bis 1998, als das sogenannte Stavenhagener Strategiepapier der NPD das Fundament legte. Damals formulierten rechte Ideologen ein »Drei-Säulen-Modell«: Kampf um die Straße, um die Köpfe, um die Parlamente. 2004 folgte die vierte Säule – der »Kampf um den organisierten Willen«. Gemeint war insbesondere die betriebliche Ebene: die Gewerkschaften.

Neue Arbeiterpartei?

Eines der gefährlichsten Missverständnisse unserer Zeit ist es, die AfD für eine Partei der Arbeitslosen, der Abgehängten oder der Wutbürger am Rand zu halten. Sie sitzt längst im Zentrum der Gesellschaft und dort zunehmend auch im Zentrum der Arbeitswelt: in den Fabrikhallen, den Versandzentren, den Werkstätten, den Krankenhäusern, Schulen und öffentlichen Verwaltungen. Die Zahlen sind eindeutig: Bei keiner Partei ist der Anteil der Arbeiterwähler und -wählerinnen an der Gesamtwählerschaft so hoch wie bei der AfD. Bei der Bundestagswahl im Februar 2025 waren es 38 Prozent, bei den Landtagswahlen 2024 in Thüringen, Sachsen und Brandenburg weit mehr als 40 Prozent. Auch unter Angestellten wächst ihr Rückhalt.

Zwar hat die AfD bis heute kaum sichtbare eigene betriebliche Strukturen aufgebaut, aber sie ist tief verwurzelt im Denken vieler Beschäftigter. Das ist kein Widerspruch, sondern Ausdruck einer gesellschaftlichen Entwicklung: Nicht Organisation ist das Problem, sondern Resonanz. Die Partei trifft auf einen Nährboden, der längst bereitet ist – aus Unzufriedenheit, Entfremdung, Ohnmacht und wachsender Ablehnung »der Politik«. In vielen Belegschaften gibt es mittlerweile einen mehr oder weniger offenen autoritären Konsens, der in den Betrieben nicht von außen importiert, sondern von innen erzeugt wird: durch Frustration über Betriebsratsbürokratien, durch Spaltungserfahrungen, durch »Kulturkampf« von unten. Dieser Konsens artikuliert sich nicht als lauter Protest. Aber er ist wirksam. Und gefährlich.

Noch Mitte 2022 sah es danach aus, als habe sich der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg der AfD nach einer Reihe von Wahlpleiten bei den Landtagswahlen in Berlin (vier Prozent), im Saarland (sechs Prozent), in Schleswig-Holstein (vier Prozent) und in Nordrhein-Westfalen (knapp fünf Prozent) erledigt. Auch die DGB-Gewerkschaften stellten erleichtert fest, dass der befürchtete Aufschwung rechter Listen bei den Betriebsratswahlen 2022 ausgeblieben war. Doch die wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges und die in dessen Folge zunehmend autoritäre Formierung und Militarisierung der Gesellschaft haben rechtsextremen Deutungsmustern wieder deutlich Auftrieb gegeben. Bei der vergangenen Bundestagswahl konnte die AfD ihr Ergebnis im Vergleich zur Vorgängerwahl von 12,6 auf 20,8 Prozent steigern.

Die AfD-Propaganda knüpft an den realen Sorgen und Nöten vieler Menschen an, die mit altbekannten und simplifizierenden rechten Deutungsmustern und Krisenbewältigungsstrategien bedürfnisorientiert und vor allem auch emotional abgeholt werden. Dabei profitiert sie erkennbar von der Krisenangst breiter Bevölkerungskreise. Am erfolgreichsten ist die AfD in der Alterskohorte zwischen 25 und 44, also bei den Menschen, die mitten im Leben und im Beruf stehen, der klassischen Zielgruppe gewerkschaftlicher Organisierung. Insbesondere aus Gewerkschaftsperspektive besorgniserregend ist darüber hinaus die erkennbare Tendenz, dass zunehmend auch jüngere Wähler die AfD wählen. Auch die Feststellung, dass die Hochburgen der AfD mit Ergebnissen von mittlerweile teilweise deutlich mehr als 30 Prozent in der Fläche oftmals in solchen Regionen liegen, die strukturschwach und von Abwanderungen und Deindustrialisierung betroffen sind, Regionen also, in denen klassische Themen der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung existentielle Bedeutung für die Menschen haben, ist beunruhigend.

Der Betrieb galt lange als eine Bastion kollektiver Emanzipation. Heute wird er zunehmend zum Ort autoritärer Regression. Kollegen, die »endlich mal Klartext« fordern, Teams, die Diversity-Schulungen ablehnen, Belegschaften, in denen offen über die Erforderlichkeit der »Begrenzung von Migration« diskutiert wird. Da wird eine »Steuerung von oben« durch eine »geheime Elite« heraufbeschworen und dabei an altbekannte antisemitische Erzählungen angeknüpft, hinter Chiffren wie »Bill Gates« oder »Bilderberger« versteckt. In den Verlautbarungen der selbsternannten »Coronarebellen«, »Querdenker« und »Gewerkschaftsrebellen« wimmelt es von verharmlosenden, geschichtsrevisionistischen Bezügen zum Faschismus. Häufig fallen Begriffe wie »Alt- und Systemparteien«, »Gewerkschaftsbonzen« und »Diktatur«. Diese Verrohung des Diskurses geschieht nicht trotz, sondern wegen der politischen Abwesenheit von Gewerkschaften, wo diese sich entpolitisiert haben. Die AfD und ihre Vorfeldorganisationen füllen diese Lücke – nicht mit Konzepten und Analysen, sondern mit Gefühlen und Ressentiments. Und sie treffen dabei auf ein (betriebs-)politisches Vakuum.

Rechte »Gewerkschaften«

In der AfD formierten sich seit 2014 vier teilweise heftig untereinander zerstrittene »Arbeitnehmerorganisationen«: »Arbeitnehmer in der AfD« (AIDA), die »Alternative öffentlicher Dienst« (AöD), die »Alternative Vereinigung der Arbeitnehmer« (AVA) und der »Alternative Arbeitnehmerverband Mitteldeutschland« (ALARM!), das Sprachrohr der völkischen Nationalisten (»Flügel«). Der Wahlerfolg bei den Bundestagswahlen 2017 war Anlass für die dem AfD-Netzwerk zugehörige Bürgerbewegung »Ein Prozent«, die Kampagne »Werde Betriebsrat« als »Generalangriff auf die Vormachtstellung des DGB« zu starten. Die Gewerkschaften seien »zum Erfüllungsgehilfen des Kapitalismus und Steigbügelhalter des Neoliberalismus geworden«, hieß es da. Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer proklamierte bei einer Konferenz des neurechten Magazins, dass nun der Moment gekommen sei, »den Wind, der durch Deutschland weht, in die Betriebe (zu) tragen«. Neben ihm nahmen in hervorgehobenen Rollen auch Björn Höcke, Oliver Hilburger, der Gründer der Pseudogewerkschaft »Zentrum Automobil«, sowie Martin Sellner und Pegida-Frontmann Lutz Bachmann teil. Seitdem hat sich im Umfeld der AfD ein feinmaschiges Netzwerk aus Organisationen, Medien, Thinktanks und betrieblichen Gruppen gebildet. Prominentestes Beispiel: die Pseudogewerkschaft »Zentrum«, hervorgegangen aus dem »Zentrum Automobil« (ZA), 2009 als eingetragener Verein gegründet von Oliver Hilburger – einem Exmitglied der Neonaziband Noie Werte.

ZA kooperiert offen mit Akteuren und Funktionären der AfD, insbesondere aus dem Umfeld des nur formal aufgelösten völkischen »Flügels«, sowie Vertretern von Pegida und der Partei Freie Sachsen. 2021 wurde der bis dahin bestehende Unvereinbarkeitsbeschluss mit ZA aufgehoben. Zuvor hatte es von seiten des AfD-Bundesvorstands noch geheißen: »Nahezu der komplette Vorstand des Zentrum Automobil e. V. (…) besteht aus Personen, die sich in der Vergangenheit rechtsextremistisch oder neonazistisch betätigt haben sollen. Die AfD in Baden-Württemberg droht von Mitgliedern des Zentrum Automobils e. V. unterwandert zu werden.« Vorfeldorganisationen seien »nötig«, das ZA aber sei »toxisch«. Björn Höcke äußerte sich im Juni 2022 anlässlich des AfD-Bundesparteitags in Riesa: »Ohne dieses Vorfeld sind wir nichts.«

Seit 2022 tritt das »Zentrum« nicht mehr nur in der Automobilbranche auf, sondern gründet Ableger: für den Pflegebereich, den öffentlichen Dienst und verschiedene Dienstleistungsbranchen. Auch dehnt sich die Organisation regional aus, zuletzt am 1. Mai 2025 mit der Gründung des Regionalbüros Nord-West in Hannover unter Leitung des Ex-Verdi-Mitglieds, Personalrats der örtlichen Abfallwirtschaftsbetriebe und AfD-Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat, Jens Keller. Unterstützt werden diese Bestrebungen von ehemaligen Gewerkschaftssekretären und -mitgliedern, Betriebsratsmitgliedern, Juristen und Coaches.

Die Strategie dahinter ist perfide. Sie positionieren sich als »Kümmerer«, besetzen soziale Themen, sprechen von Arbeitsdruck, Prekarität, Entfremdung und zuletzt auch von Frieden und Konversion. Berechtigte Unzufriedenheit mit zweifelhaften Tarifabschlüssen der DGB-Gewerkschaften – wie zuletzt bei VW zur Standortsicherung oder im öffentlichen Dienst – wird in autoritäre, betrieblich exklusive Lösungsansätze übersetzt. Gewerkschaften werden pauschal diffamiert als »korrupte Systemgehilfen«, »Klimasektierer«, »Räterepublikphantasten« und »linksversifft«, gewerkschaftlich organisierte Betriebsräte als »abgehobene Funktionäre«.

Die Rechte inszeniert sich als neue Stimme der Basis – ohne dabei je strukturell etwas zu verbessern. Denn das Ziel ist nicht soziale Gerechtigkeit, sondern ideologische Hegemonie als Vorfeld des angestrebten autoritären nationalradikalen Wandels im Kleide der »konservativen Revolution«. Die soziale Frage wird regressiv, völkisch und antiemanzipatorisch beantwortet – mit dem Ziel, den Ansatz kollektiver Gegenmacht in Abrede zu stellen, der Lächerlichkeit preiszugeben und, wo (betrieblich) vorhanden, zu schwächen oder zu zerstören.

Dafür nutzt die Rechte alles, was die DGB-Gewerkschaften in den vergangenen Jahrzehnten überwiegend liegengelassen oder versäumt haben: die Schwäche klassenpolitischer Bildung, das Zurückweichen in Mitgliederverwaltung statt Konfliktorientierung, Tarifabschlüsse deutlich unterhalb des Verteilungsspielraumes und mit Laufzeiten von bis zu 36 Monaten und daraus folgender langer Friedenspflicht, die falsche Neutralität gegenüber rechtsaffinen Themensetzungen und Kandidaturen und die zunehmend aktiv betriebene Einbindung in die seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges betriebene Burgfriedenspolitik.

Wer heute im Betrieb den rechten Einfluss sucht, findet ihn oft nicht auf den ersten Blick. Die Listen heißen »Bündnis freier Betriebsräte«, »Mitarbeitervertretung Zukunft«, »Interessengemeinschaft Beruf und Familie«, »Team Klartext«, »Alternative Liste«, »Die Blauen« oder wie jüngst bei den vorgezogenen Betriebsratswahlen im März bei Opel Rüsselsheim »CGM – Bündnis 2025«. Über diese Bündnisliste der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM), die zehn Prozent der Stimmen erhielt, wurde neben zwei weiteren Kandidaten auch der Hilburger-Intimus, Ex-ZA-Vorstand und Aktivist der extremen Rechten, Horst Schmitt gewählt. Die CGM steht über ihren Dachverband, den Christlichen Gewerkschaftsbund (CGB), dem Arbeitnehmerflügel der Unionsparteien, der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands (CDA), nahe. »Natürlich sind wir nicht so bescheuert und treten überall als Zentrum an, weil wir dann ja maximal angegriffen werden. Das geht nur da, wo wir so stabile Menschen haben, die das auch aushalten«, so Oliver Hilburger im Webinar »AfD und Zentrum Automobil – Gemeinsam stärker« des AfD-Kreisverbandes Würzburg am 21. August 2022.

Ein weiteres Element der Strategie: der Rückgriff auf angeblich »freie« oder »unpolitische« Kandidaten, die bewusst nicht als AfD-nah auftreten, aber ideologisch und organisatorisch eher mehr als weniger mit den autoritär Nationalradikalen verbunden sind. Diese Kandidaturen sind besonders schwer greifbar. Sie vermeiden eindeutige Positionierung und gewinnen Vertrauen über Einzelfallösungen statt betriebs- oder gewerkschaftspolitische Konflikte. Damit gelingt es der Rechten, sich in Betriebsratsgremien einzuschleichen, ohne von Beginn an konfrontativ wahrgenommen zu werden. Die Gefahr: Die vorgebliche »Demokratisierung des Betriebs« wird zur Fassade, während autoritäre Inhalte vordringen.

Wie auch immer die Listen heißen, wer auch immer im Einzelfall als »unabhängige« Einzelperson kandidiert, im Hintergrund agieren die bekannten Netzwerke und Akteure. Das bekannteste Beispiel neben Hilburger ist wohl der bis Januar 2020 in der IG BCE organisierte und über IG-BCE-Listen zum Betriebsrat gewählte vormalige AfD-Europaabgeordnete (bis 2024) Guido Reil, der offen und öffentlich den »endgültigen Todesstoß für SPD und IG BCE« fordert.

Mythos Betriebsgemeinschaft

Die AfD und ihr betriebliches Vorfeld ziehen ihre Kraft nicht aus betrieblicher Aktion, sondern aus symbolischer Aneignung: Sie stilisieren sich zur »Stimme der Arbeiter«, nutzen Bilder von Hochöfen und Werkhallen und bedienen das Motiv der »ehrlichen Arbeit«. Dabei hat die AfD mit den realen Bedingungen in Betrieben – mit Leiharbeit, psychischer Überlastung, Tariferosion – politisch nichts am Hut; im Gegenteil. Immer wieder äußern sich Spitzenfunktionäre öffentlich gegen Arbeiterinteressen, also gegen die Interessen von Menschen, die auf abhängige Beschäftigung oder Sozialtransfers angewiesen sind. Die AfD ersetzt kollektive Lösungsvorschläge durch ideologische Erzählungen: dass es früher besser gewesen sei, als Deutschland noch deutsch, die Gewerkschaften noch auf »deutsche Interessen« konzentriert und die Familien noch »normal« gewesen seien. Diese Mythen verfangen – nicht, weil sie stimmen, sondern weil sie emotionale Deutungsmacht bieten.

Dabei bedient sich die AfD eines altbekannten Konzepts: der Ideologie der Betriebsgemeinschaft – jener nationalistischen Sozialutopie, mit der die NSDAP ab 1928 versuchte, über ihre Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation die Werkstore der Weimarer Republik zu stürmen. Dabei wird die betriebliche Welt nicht als Ort des Konflikts, sondern als Raum der »Volksgemeinschaft« dargestellt. Die Behauptung des Interessengegensatzes zwischen Kapital und Arbeit gilt als »zersetzend«, Streiks als »vaterlandsfeindlich«, Tarifverhandlungen als »Störung des Betriebsfriedens«. An ihre Stelle tritt das Ideal einer hierarchischen Ordnung, in der Unternehmen und Beschäftigte nach dem »Führerprinzip« geeint dem nationalen Wirtschaftsstandort und damit dem »Volkswohl« dienen.

Diese Denkfigur kehrt heute zurück – nur in anderer Verkleidung, freundlicher formuliert, aber mit derselben politischen Substanz. Bei »Zentrum«-Chef Hilburger hört sich das so an: »Wir brauchen keinen Klassenkampf. Der bringt uns nicht weiter. Wir brauchen Betriebsgemeinschaft.« AfD-MdB Gerrit Huy äußerte während einer Debatte zu einer von der Linkspartei eingebrachten Erweiterung der Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz: »Die AfD möchte allen Betriebsräten den Rücken stärken, die sich für ihr Unternehmen und dessen Beschäftigte einsetzen – kurz: Betriebsräten, die den Idealen der sozialen Marktwirtschaft verpflichtet sind.«

Deshalb müssen sich Konzerne wie Daimler und andere Unternehmen auch grundsätzlich nicht vor dieser rechten betrieblichen Mobilmachung fürchten. Denn Organisationen wie ZA und ihre Ableger richten sich nicht gegen die Kapitalinteressen, sondern gegen demokratische Mitbestimmung und Gewerkschaften. Ihre Betriebsgemeinschaftsideologie entspringt einem unternehmerfreundlichen Weltbild: Ihre wirtschafts- und sozialpolitischen Forderungen laufen auf das hinaus, was der Historiker Helmut Kellershohn einen »nationalen Wettbewerbsstaat auf völkischer Basis« nennt.

Versagen des DGB

Der DGB wusste es früh. Die Kommission Rechtsextremismus stellte bereits zur Jahrtausendwende fest, dass rassistische und autoritäre Einstellungen auch unter Gewerkschaftsmitgliedern verbreitet sind. Und sie zog aus diesem Befund schon vor 25 Jahren die richtige Erkenntnis: »Verortung der Auseinandersetzung mit rechtsextremistischem Denken und Handeln als strategische gewerkschaftliche Zukunftsaufgabe, die auf allen Organisationsebenen in Angriff genommen werden muss, ist eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiches Handeln.«

Im Dezember 2004 hielten Richard Stöss und andere in ihrem Abschlussbericht des von der Otto-Brenner-Stiftung der IG Metall und der Hans-Böckler-Stiftung des DGB finanzierten Forschungsprojekts »Gewerkschaften und Rechtsextremismus« fest: »Auch für Arbeitnehmer mit Prekarisierungserfahrung und/oder Existenzangst liegt Rechtsextremismus nicht von selber nahe. Es kommt vielmehr auf die Verarbeitung und Deutung von Erfahrungen und Ängsten an, vor allem wenn es um Probleme wie Arbeitslosigkeit, Outsourcing und Unterbietungskonkurrenz geht. (…) Eigenaktivität bzw. die Förderung einer partizipatorischen Orientierung, die sich in unserer Untersuchung als besonders starkes Bollwerk gegen rechtsextreme Einstellungen erwiesen hat, kann nicht nur durch Bildungsarbeit gestärkt werden. Wenn es richtig ist, dass die Arbeitnehmer und die Gewerkschaftsmitglieder nichts besser von rechtsextremen Orientierungsangeboten und Versuchungen fernhält als die Erfahrung, durch eigene Tätigkeit und Mitbestimmung in Betrieb, Gewerkschaft oder Politik etwas bewirken, erreichen, verändern zu können, dann steht diese Erkenntnis quer zur von den meisten Funktionären beklagten und von vielen als unabänderbar angesehenen Praxis des Stellvertreterhandelns für passive und nur an individueller Nutzenmaximierung interessierte Mitglieder.«

Doch diese Erkenntnisse wurden nicht in entschlossene gewerkschaftliche Praxis überführt. Statt den selbst gesetzten »strategischen gewerkschaftlichen Zukunftsaufgaben« nachzukommen, antifaschistische Bildungsarbeit dauerhaft zu verankern und tarifpolitisch und betrieblich mit einer klassenautonomen und emanzipatorischen Strategie systematisch aktiv zu werden, dominierten und dominieren noch heute: Pflege des Images als der den gesellschaftlichen Frieden sichernde »Sozialpartner«, »Professionalisierung« und eine forcierte Umstellung auf »Mitgliederservice«.

Die Folge ist politischer Substanzverlust. Tarifarbeit wurde zunehmend technokratisch, der gesellschaftspolitische Anspruch verdampfte bis hin zur aktuell in weiten Teilen betriebenen aktiven Unterstützung des ausgerufenen Rüstungskeynesianismus zur Rettung des »Wirtschaftsstandortes Deutschland«. Diese ermöglicht es Oliver Hilburger, sich aktuell als antimilitaristischer und friedensorientierter Gewerkschafter zu gerieren: Es sei zynisch, den von Arbeitsplatzverlust bedrohten Arbeitern »Rüstungsarbeitsplätze in Deutschland als Kompensation für aus eigenen Fehlern verlorengegangene Arbeitsplätze schmackhaft (zu) machen (…). Zynisch zum einen, weil das keine Botschaft ist, die der Menschheit was bringt, und zynisch ist es, weil die Menschen, die dann dort arbeiten, (…) auch ihre Söhne in den Krieg schicken müssen. Und deswegen bin ich zutiefst überzeugt davon, dass die Gewerkschaft vom Grundsatz her sich für den Frieden einsetzen muss«, so Hilburger bei einer Pressekonferenz zur Gründung des »Zentrum«-Regionalbüros Nordwest am 24. April dieses Jahres.

So wuchs und wächst das Feld, in dem rechte Netzwerke und betriebliche Vorfeldorganisationen gedeihen: unpolitische, entwurzelte, frustrierte Belegschaften – ohne gewerkschaftlich vermittelte Gegenmacht. Mit dieser Erzählung kann »Zentrum« gleich mehrere Typen von Beschäftigten und Mitgliedern der DGB-Gewerkschaften ansprechen: DGB-Gewerkschaften grundsätzlich politisch eher misstrauisch Gegenüberstehende; Unzufriedene, die sich über zu wenig Durchsetzungswillen und/oder Eskalation in Tarifrunden beschweren; vom Thema Konversion von Zivil- in Rüstungsproduktion Betroffene.

Diesem politischen und strategischen Befund steht auch nicht entgegen, dass es spätestens seit 1986, dem Jahr der Gründung des Gelbe-Hand-Vereins »Mach meinen Kumpel nicht an!« durch die Redaktion des Gewerkschaftsmagazins ran und die DGB-Jugend, und nochmals verstärkt nach der Veröffentlichung des Abschlussberichts der DGB-Kommission Rechtsextremismus im Jahr 2000, immer wieder einzelne Gliederungen, Initiativen, Arbeitskreise und engagierte Kollegen gab, die sich die Satzungsformulierungen und Beschlusslagen für die Demokratisierung der Wirtschaft unter Fernhaltung von neofaschistischen, militaristischen und reaktionären Elementen zu Herzen nahmen und nehmen. Entsprechend engagieren sie sich mit viel Energie innergewerkschaftlich und in zivilgesellschaftlichen Bündnissen gegen Rassismus und die extreme Rechte.

Erst das Erstarken der AfD führten bei DGB und insbesondere der IG-M wieder zu verstärkter Fokussierung des konkreten betrieblichen Feldes, überwiegend allerdings im Rahmen zeitlich und personell begrenzter staatlich geförderter Projekte. Zu nennen wäre: »Vernetzen, Aufklären Unterstützen« (VAU), die beim DGB-Bundesvorstand koordinierte und von der Bundesregierung finanzierte »Initiative betriebliche Demokratiekompetenz – Demokratie in der Arbeitswelt stärken. Rassismus und Verschwörungserzählungen entgegentreten« (befristet bis Ende 2025) und der 2020 gegründete »Verein zur Bewahrung der Demokratie« (vbd), der sich »für die Demokratisierung der Wirtschaft unter Fernhaltung von neofaschistischen, militaristischen und reaktionären Elementen« einsetzt.

Betriebsratswahl 2026

Die Betriebsratswahl 2026 wird kein Routinevorgang. Sie ist ein Lackmustest für die gewerkschaftliche Mobilisierungsfähigkeit und Demokratie im Betrieb. Rechte Listen werden aufgestellt oder stehen schon bereit. Sie agieren strategisch, professionell und zielen auf Spaltung. Ihre Agenda: Durchsetzung der Betriebsgemeinschaftsideologie, Schwächung der Mitbestimmung, Abschaffung des Streikrechts, Rückzug aus der Tarifbindung, Diskriminierung von Migrantinnen und Migranten. Wenn die DGB-Gewerkschaften diese Bedrohung ignorieren, droht eine Normalisierung rechter Betriebsvertretung. Wer 2026 gewinnt, prägt den Betrieb bis 2030.

Der Vormarsch der Rechten kann und wird nicht allein moralisch oder juristisch aufgehalten werden. Es braucht eine Gewerkschaftsstrategie, die auch bereit ist, den Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes und allein durch Rechtsprechung gesetzte Einschränkungen der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit (insbesondere beim Streikrecht) zu überschreiten, wenn demokratische Rechte in Gefahr sind. Konkret heißt das: tägliche antifaschistische Bildungs- und Betriebsarbeit – nicht punktuell, sondern strukturell; Abkehr von Standortlogik, Sozialpartnerschaftsillusion und Burgfriedenspolitik, hin zu antimilitaristischer, internationalistischer Solidarität; (Re-)Politisierung der Gewerkschaften.

Clara Zetkin erkannte schon 1923, was viele bis heute übersehen: »Nur wenn wir verstehen, dass der Faschismus eine zündende Wirkung auf breite soziale Massen ausübt, die die frühere Existenzsicherheit verloren haben, werden wir ihn bekämpfen können.«

Die autoritär nationalradikale Rechte wirkt nicht nur durch Parolen, sondern weil sie in Krisenzeiten ein Ordnungsversprechen anbietet – dort, wo Gewerkschaften keine greifbare Perspektive geben. Deshalb müssen Gewerkschaften wieder politisch führen lernen – nicht im Schatten des Staates und im Burgfrieden mit den Kriegstreibern zur Sicherung der Konzernprofite des nationalen Standortes, sondern als Teil einer sich selbst ermächtigenden kämpferischen und solidarischen Gegenmacht mit internationalistischer Perspektive.

Andreas Buderus schrieb an dieser Stelle ­zuletzt am 14. April 2025 über das vorläufige ­Tarifergebnis für den öffentlichen Dienst: »Ein Armutszeugnis«.

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