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Aus: Ausgabe vom 17.05.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Blätterdach hier, Ameise dort

Offene Türen, aber keiner geht durch: Pia Marais’ Dschungelfilm »Transamazonia«
Von André Weikard
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Eine Art Stilleben

Rebecca (Helena Zengel) gehört nicht in den Dschungel. Als junges Mädchen wird sie bei einem Flugzeugabsturz hineinkatapultiert. Rebecca überlebt als einzige, wird von Indios gefunden und gilt fortan als lebendes Wunder, als Überlebenswunder. Neun Jahre später tritt die junge, blasse, weiße Frau in bizarren evangelikalen Gottesdiensten auf, segnet Gläubige und wird von Kranken als Heilerin gerufen. Eine üble Abzocke. Der Missionar Lawrence (Jeremy Xido) mittendrin. Dabei geht es den Indios ohnehin dreckig. Der Amazonas wird Stück für Stück gerodet. Motorsägen und Bagger rücken an. Bäume, dicker als Obelix und älter als Methusalix, fallen. Die Arbeiter haben nicht nur Sägen und Holzschlepper, sondern auch Gewehre. Denn die Indios lassen sich die Zerstörung ihrer Heimat nicht gefallen. Sie sabotieren die Baustellen, setzen Fahrzeuge in Brand.

Das alles klingt dynamischer, als es ist. Denn tatsächlich schleppt sich die Handlung von Pia Marais’ Film »Transamazonia« endlos dahin. Sonnenstrahlen durch Blätterdach hier, Ameise, die über eine Hand krabbelt, dort. Stumme Protagonisten, über deren Motive sich praktisch nichts erfahren lässt. Vogelrufe aus dem Wald.

Irgendwie sei der Film vom Absturz der Juliane Koepcke im Jahr 1971 inspiriert, erklärt Regisseurin Marais in diversen Interviews. Die damals 17jährige war schwer verletzt zehn Tage durch den Amazonas-Urwald geirrt, ehe sie auf Menschen stieß und gerettet wurde. Regisseur Werner Herzog, der damals in der Nähe drehte und der Legende nach nur deshalb nicht selbst im Unglücksflieger saß, weil kein Platz mehr zu bekommen war, drehte über die Ereignisse später den Dokumentarfilm »Julianes Sturz in den Dschungel« (1998). Allein: Nichts davon spielt in »Transamazonia« eine Rolle. Nicht die Umstände des Absturzes, nicht der Schock darüber, die eigene Mutter unter den Toten zu wissen, die über den Urwaldboden verstreut liegen, nicht die dunklen, kalten Nächte allein im Wald mit einer klaffenden Wunde, in der sich bald die Maden wälzen.

Statt dessen hat Marais ein Stilleben inszeniert. Warum Rebecca neun Jahre lang im Amazonas blieb und nicht zu ihrer Familie heimkehrte? Bleibt im Dunkeln. Der Kampf der Indios gegen die Rodung? Bleibt unentschieden. Die religiöse Ausbeutung? Wird nicht hinterfragt. Lauter Türen, die aufgehen, und durch die keiner hindurchgeht. Lauter Richtungen, in die der Plot sich entwickeln könnte, aber er steht still.

So bleibt das Spiel von Helena Zengel (»Systemsprenger«), die auch mit wenig Worten eine gute Figur abgibt, große, schöne Dschungelaufnahmen und ein beklemmendes Gefühl, dass sich sowieso nichts ändert. Weil niemand da ist, der den Wunsch hat, die Dinge zu ändern. Weil alle so dahin treiben in einer feindlichen, verlogenen Welt. »Berliner Schule«, denken da Filmnerds seit den 90er Jahren, und: Thomas Arslan, Christian Petzold, Angela Schanelec. Marais, Wahlberlinerin und Absolventin der dortigen Film- und Fernsehakademie mit Wurzeln in Südafrika, will davon nichts wissen. Geschenkt. Die Tristesse muss in keine Schublade. Aber als eigentliches Thema des Films trägt sie leider auch nicht.

»Transamazonia«, Regie: Pia Marais, BRD/F/CH 2024, 112 Min., bereits angelaufen

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