Eskalation mit Vorsatz
Von Nick Brauns
Weltweit ist am 15. Mai von Palästinensern und ihren Unterstützern des 77. Jahrestages der Nakba gedacht worden – der Flucht und Vertreibung Hunderttausender Araber aus Palästina durch den Terror zionistischer Milizen bei der Staatsgründung Israels. Die Proteste richteten sich auch gegen das von Deutschland mit Waffenlieferungen und politischer Rückendeckung für die ultrarechte Netanjahu-Regierung unterstützte genozidale Vorgehen der israelischen Armee in Gaza. Allein am Donnerstag wurden dort über 140 Palästinenser getötet. Zu Recht sprechen Palästinenser von einer neuen Nakba.
An zwei Orten wurde das Nakba-Gedenken mit Polizeigewalt konfrontiert: im israelischen Haifa und in Berlin. In der israelischen Stadt nahm die Polizei Teilnehmer einer Friedenskundgebung von jüdischen und palästinensischen Israelis fest, die die dort verbotene Flagge Palästinas gezeigt hatten. Und in Berlin hatte die Polizei eine Demonstration durch den Bezirk Neukölln – Heimat einer großen palästinensischen Diaspora – zur »Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit« verboten. Eine statt dessen genehmigte, lediglich stationäre Kundgebung im benachbarten Kreuzberg wurde immer wieder von Greiftrupps der Polizei attackiert, die auf Demonstranten einprügelten und Dutzende von ihnen festnahmen. Schließlich fuhren Wasserwerfer auf, und die Polizei löste die Kundgebung ganz auf. Dass ein solches Vorgehen auch zu Wut- und Widerstandshandlungen führt – so sollen einzelne Getränkebüchsen in Richtung Polizei geflogen sein –, erstaunt nicht.
Im Mittelpunkt der Berichterstattung von öffentlich-rechtlichen Medien bis Springer-Presse standen anschließend die bei ihrem Prügeleinsatz verletzten Polizisten. Ein Polizist sei von einem »Judenhassermob« niedergetrampelt und schwer verletzt worden, so Bild. Der auf Videos an seiner Rückennummer identifizierbare Beamte schlug zuvor laut Bildmaterial mit Fäusten Demonstranten wild ins Gesicht.
Die Demonstration sei »in erschreckender Weise eskaliert«, beklagte Berlins SPD-Innensenatorin Iris Spranger. Tatsächlich war es eine von der Polizei mit Vorsatz betriebene Eskalation. Hier wurden genau jene Bilder provoziert, die für eine weitere Verschärfung der Repression gegen die Palästina-Solidarität benötigt werden. Ein Großteil der Medien leistet Schützenhilfe für solche staatlichen Angriffe auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit: durch die unkritische Übernahme von Polizeiberichten und die Dämonisierung der Demonstranten als vermeintlich antisemitischer Mob.
Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass die Einschränkungen von demokratischen Rechten auf propalästinensische Aktivisten beschränkt bleiben. Der Staat läuft sich warm, um für die angestrebte Kriegsfähigkeit gegen jede Antikriegsopposition vorgehen zu können. Bezeichnend, dass die vermeintlich vierte Gewalt dabei weitgehend sekundiert.
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