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Aus: Ausgabe vom 17.05.2025, Seite 7 / Ausland
Polen

Links und chancenlos

Polen: Präsidentschaftskandidatin Magdalena Biejat begeistert junges Publikum – Wahlsystem begünstigt aber große Parteien
Von Reinhard Lauterbach, Poznań
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Aussichtslos und doch gut gelaunt: Magdalena Biejat (Tczew, 6.4.2025)

So viele Menschen wie bei Rafał Trzaskowski vor zwei Wochen waren es am Mittwoch auf dem Freiheitsplatz in Poznań nicht. Vielleicht 500 statt 5.000. Aber wichtiger als die Zahlen ist die Beobachtung, dass auf die Kundgebung der Präsidentschaftskandidatin der polnischen Linkspartei eine ganz andere Generation gekommen ist. Nicht 50 plus wie beim Kandidaten der liberalkonservativen Bürgerplattform, sondern zu 90 Prozent Leute unter 30, davon wieder etwa zwei Drittel Frauen. Das deckt sich mit der Aussage von Fokusstudien im Vorfeld aller vergangenen Wahlen in Polen, dass das Linksbündnis in der Generation bis 30 weit überdurchschnittlich abschneidet.

Die Stimmung auf dem Platz entspricht dem Publikum. Der Bühnenmanager fordert die Leute auf, »Krach zu machen«, um die Kandidatin der kleinen Regierungspartei zu begrüßen. Johlen wie bei einem Popkonzert, dazu werden Biejats grasgrüne Kampagnenfähnchen geschwenkt: Es soll ein Event sein, und das ist es auch. Wahlkampfhelfer verteilen Flugblätter und Karamellbonbons, für Kinder gibt es Zuckerwatte. Vor Magdalena Biejat spricht ihr Mann ein paar einleitende Worte. Als die Kandidatin dann schließlich vor ein Spalier aus Würden- und Mandatsträgern der Linkspartei tritt, das sich im Bühnenhintergrund aufgebaut hat, schallen ihr Sprechchöre entgegen: »Magda, Magda!«

Biejat weiß, dass sie im polnischen Wahlsystem, das das taktische Abstimmen für das kleinere Übel begünstigt, keine Chance auf den Eintritt in die Schlussrunde hat. Als Gründe, sie wenigstens in der ersten Runde »mit dem Herzen« zu wählen und die Wahl so zu einem landesweiten Stimmungstest zu machen, nennt sie in erster Linie ihr Engagement für Frauenrechte: Gleichstellung im Berufsleben und bei den Gehältern, Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche. Sie habe mit einem Anruf beim Parteifreund und Vizeinnenminister dafür gesorgt, dass eine von »Lebensschützern« drangsalierte Abgabestelle für »Abtreibungspillen« Polizeischutz bekommen habe. Wieder großer Jubel. Man merkt, hier wird die Lebenswirklichkeit junger Frauen angesprochen, schließlich herrscht ein faktisches Abtreibungsverbot. Ebenso beim nächsten Thema: der Wohnungsnot.

Biejat kritisiert die staatlichen Subventionen für Hypothekenkredite: Die bereicherten nur die Banken und Anbieter der immer teureren Eigentumswohnungen, die sich dafür mit Parteispenden revanchierten. Sie dagegen wolle die Gewinnspannen der Banken gesetzlich begrenzen. Statt dessen müssten die Kommunen die Mittel bekommen, um mehr Mietwohnungen zu bezahlbaren Preisen zu bauen. Denn welches junge Paar werde ohne eigene Wohnung Kinder bekommen wollen. Wieder viel Beifall und »Magda, Magda«-Rufe. Biejat redet von den kleinen Erfolgen der Arbeit in einer »schwierigen Koalition«, in der der Linken nicht alles gelinge, aber doch einiges: die Einführung einer Witwenrente nach deutschem Vorbild, die schon in 600.000 Fällen beantragt worden sei; die Erklärung des Heiligabends zum – arbeitsfreien – gesetzlichen Feiertag und die Regelung, dass die Beschäftigten des Einzelhandels – auch in Polen überwiegend Frauen – von den vier verkaufsoffenen Sonntagen im Dezember nur an zweien arbeiten müssten. Weiter wirbt sie um Vertrauen, dass es so weitergehen werde, denn sie könne auch mit dem politischen Gegner ins Gespräch kommen. Was sie ja auch muss als Vizevorsitzende des polnischen Senats. Das Amt verdankt sie der Koalition, der sie angehört.

Genau darüber war Biejat, die sonst sehr auf ein verbindliches Auftreten achtet, in der Fernsehdebatte aller Kandidaten am Montag mit Adrian Zandberg von der progressiven Partei Razem aneinandergeraten. Die beiden kennen sich gut. Biejat gehörte zu den Mitbegründerinnen von Razem und hatte die Partei im Herbst 2024 verlassen, als diese aus der Koalition ausgetreten war. Zandberg warf seiner ehemaligen Genossin Opportunismus vor. Biejat dagegen: »Ich will etwas bewirken, nicht immer nur rezensierend danebenstehen.« Das ist es, das süße Gift der Pöstchen.

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