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Aus: Ausgabe vom 17.05.2025, Seite 5 / Inland
Aktionstag »Kitakollaps«

Satt, sauber, mehr geht nicht

Brandenburger Erzieher und Eltern protestieren gegen weitere Kürzungen in der Bildung. Derweil verschärft sich der Personalmangel in Kindergärten
Von Susanne Knütter, Potsdam
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»Schluss mit der Bescheidenheit«: Kinder von Hedi-Kitas demonstrieren mit

Potsdam sieht nobel aus. Alles scheint frisch bepinselt zu sein. In Bahnhofsnähe das neue Hafenquartier – Potsdams »neue erste Adresse«. Wer dort wohnen will, kann den Preis bei Engel & Völkers erfragen, den Luxusmaklern, die kürzlich ins Fadenkreuz staatsanwaltlicher Ermittlungen geraten sind. Unweit davon sitzt das Bildungsministerium des Landes Brandenburg. Hier gehen am Donnerstag die aufgeklappten Fenster zu, als die Demonstration von Erziehern, Eltern und Kindern vorbeizieht. Vielleicht deshalb: Schaut man hinter die funkelnde Potsdamer Fassade, blitzt der helle Wahnsinn auf: Erzieher, die sich allein um 20 Kinder kümmern müssen, nebenbei Projekte vorbereiten, die individuelle Entwicklung erstens fördern und zweitens dokumentieren sollen. Kindeswohlgefährdend? Vermutlich. Illegal? Nein.

Der offizielle Betreuungsschlüssel in Brandenburg, gegen den sich unter anderem der landesweite Aktionstag »Kitakollaps«, organisiert von Kitaelternbeiräten und Sozialverbänden, wendet, sieht pro Erzieherin zehn Kinder im Alter von über drei Jahren und 4,65 Kinder unter drei Jahren vor. Empfohlen wird, etwa vom neoliberalen Thinktank Bertelsmann-Stiftung, eine Betreuungsrelation von eins zu 7,5 bzw. eins zu drei. Hinzu kommt: Ausfallzeiten für Urlaub, Weiterbildung und Krankheit sowie Vor- und Nachbereitungszeiten sind in die zu hoch angesetzten Personalschlüssel nicht eingerechnet. Eine regelmäßige Unterbesetzung ist also eingepreist.

Pro Woche sei eine Stunde vorgesehen, um die Portfolios, also die Entwicklungstagebücher von 15 Kindern, zu bearbeiten, Projekte oder Feste vorzubereiten, erzählt Stefanie Rostock, Erzieherin in einer Kita der Hoffbauer-Stiftung in Kleinmachnow, im Gespräch mit jW. Permanent sei da das schlechte Gewissen gegenüber den Kindern und Kollegen, wenn man mal eine Fortbildung macht, krank ist oder sich 15 Minuten mehr für die Dokumentation nimmt.

Die gegenwärtig rückläufigen Kinderzahlen könnten für eine Verbesserung der Personalschlüssel genutzt werden. Aber das Gegenteil ist der Fall. Weil gegenüber eine neue Kita geöffnet habe, seien die Anmeldungen in ihrer Einrichtung gesunken, erläuterte Rostock. Jetzt werde wohl Personal abgebaut. Eine Entwicklung, die auch andere Demoteilnehmer bestätigten. Das zeigt, der allseits beklagten Kitakrise steht nicht, wie jahrelang behauptet, der Personalmangel im Weg, sondern die mangelnde Finanzierungsbereitschaft.

Die zeigt sich schon in solchen Details: Der Personalkostenzuschuss wird quartalsweise neu berechnet. Dafür melden Kindergärten Anzahl und Alter der Kinder in ihrer Einrichtung. Da der Betreuungsbedarf vor dem dritten Geburtstag höher ist als danach – so zumindest sieht es die Brandenburger Personalbemessung vor –, werden im Frühjahr/Sommer regelmäßig die (formellen) Betreuungsbedarfe herabgestuft und in der Konsequenz die finanziellen Zuschüsse gekürzt. Sogenannte Flexverträge ermöglichen es den Kitaträgern, die Stundenzahl der Beschäftigten zu reduzieren. Statt 40 Stunden arbeiten die Erzieher dann nur noch 36 Stunden, statt 35 nur noch 30. Dresden etwa hat die Flexverträge im vergangenen Jahr abgeschafft. In Potsdam sind sie gang und gäbe, so auch bei der Hoffbauer-Stiftung. Eine Folge ist z. B., dass Bezugserzieher nur noch von neun bis 15 Uhr in der Kita sind. Nicht nur Tür- und Angelgespräche mit Eltern fallen weg. Der Personalmangel verschärft sich noch einmal, weil die Kinderzahl die gleiche ist.

Inzwischen ist die gut 300 Teilnehmer zählende Demonstration am Platz der Einheit, der auch schon zu DDR-Zeiten so hieß, angekommen. Die Passanten in der Potsdamer Innenstadt, von denen seit Demostart in Babelsberg nur wenige zu sehen waren, sehen offenbar auch solch bunte Menschenzüge nur selten. Reihenweise fotografieren und filmen sie die Manifestation.

Ganz akut wendet sich der diesjährige Aktionstag gegen die Pläne der Landesregierung, die sogenannte dritte Betreuungsstufe abzuschaffen, erklärt Kitaleiter Holger Baumgart. Bisher erhielten Kindertagesstätten einen pauschalen Finanzzuschuss für jedes Kind, das mehr als acht Stunden täglich betreut werden muss. Fällt der weg, verschärfe sich die Personalsituation noch einmal, so Baumgart. Denn Kinder, die zehn, elf Stunden betreut werden sollen, sind ja trotzdem da.

Demgegenüber steht ein neuer Bildungsplan, der von Erziehern wie Eltern gelobt wird. Darin sind viele Beispiele festgehalten, wie Kinder z. B. auch in Alltagssituationen in Mathematik und Naturwissenschaften gefördert werden können. Sandra Schulz von der Kita St. Antonius, die vergangenes Jahr von Hedi-Kitas übernommen wurde, gibt ein Beispiel: beim Umkleiden den Kindern beibringen, dass ein Paar Schuhe aus zwei Schuhen besteht. Aber »der Alltag ist zu stressig«, so Schulz und weist auf das Schild einer Kollegin hin. Darauf der Spruch: »Satt, sauber, mehr geht nicht«.

Brandenburg diskutiert seit langem über ein neues Kitagesetz. Nun soll zunächst die Finanzierung neu geordnet werden. Ob der neue Bildungsplan dabei eine Rolle spielt? Um Qualität gehe es bei der Reform des Kitagesetzes nicht, sagt Catharina Kahl vom Kitaelternbeirat. Und der Bildungsplan sei »finanzneutral«.

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