Tauziehen um Gespräche
Von Reinhard Lauterbach
Mit mehrstündiger Verzögerung sollten am Donnerstag in Istanbul Gespräche zwischen Russland und der Ukraine über eine Beendigung des Ukraine-Krieges beginnen. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij sagte laut AFP in Ankara, er werde selbst nicht daran teilnehmen, erlaubte aber einer ukrainischen Delegation auf niedrigerer Rangstufe, Gespräche mit den russischen Vertretern aufzunehmen. Der russische Delegationsleiter sagte in Istanbul, Moskau sei zu möglichen Kompromissen bereit. Ob die Verhandlungen tatsächlich aufgenommen wurden, war bis zum Redaktionsschluss nicht bekannt.
Beide Seiten hatten sich zuvor den ganzen Tag über mit Beleidigungen und Vorwürfen überzogen. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij kritisierte, dass sein russischer Konterpart Wladimir Putin nicht persönlich nach Istanbul gekommen war, wie es Selenskij verlangt hatte. Selenskij machte seine eigene Teilnahme von der Anwesenheit Putins abhängig: Mit einer Delegation aus stellvertretenden Ministern und weisungsgebundenen Beamten gebe es für ihn nichts zu verhandeln. Verständnis für die Absage Putins, nach Istanbul zu kommen, äußerte dagegen US-Präsident Donald Trump. Er sagte am Rande seiner Nahostreise, es sei klar, dass Putin sich nur dann zu Gesprächen bequemen werde, wenn er, Trump, auf der anderen Seite sitze. Russland revanchierte sich mit der Bezeichnung Selenskijs als »Clown« und »Versager«.
Umstritten war bis zuletzt, worüber überhaupt gesprochen werden sollte. Die Ukraine nannte als einziges für sie anstehendes Thema die Frage eines 30tägigen Waffenstillstands. Russland wollte auch die »Grundursachen des Konflikts« behandelt sehen. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa, drohte Kiew indirekt mit neuen russischen Gebietsforderungen. Die russischen Forderungen vom Juni 2024 hätten sich »verändert«, sagte Sacharowa, und die Ukraine werde merken, dass ihr Territorium jedesmal kleiner werde, wenn sie Gespräche mit Russland verweigere.
Die USA und die EU sind mit hochrangigen Delegationen ebenfalls in der Türkei vertreten. Beide konferierten in Antalya in getrennten Sitzungen mit dem ukrainischen Außenminister Andrij Sibiga.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (16. Mai 2025 um 09:26 Uhr)Gott sei Dank spielen mediale Wortgefechte in der realen Politik nur eine untergeordnete Rolle. Die Gespräche in Istanbul sind vor allem dem internationalen Druck geschuldet – es geht weniger um ernsthafte Friedensverhandlungen als vielmehr darum, zumindest den Anschein eines Fortschritts zu wahren. Lange war es westliche Strategie, auf einen inneren Zusammenbruch Russlands zu hoffen. Doch nun hat Russland das Blatt gewendet und spielt seinerseits auf Zeit – in dem Wissen, dass ein derart großes, durch Korruption geschwächtes Land wie die Ukraine langfristig kaum durchgehend unterstützt werden kann. Russland wird sich nicht von seinen – von Anfang an klar formulierten – Zielen abbringen lassen. Die Ukraine kämpft zwar ums Überleben, doch ihre westlichen Unterstützer haben nie eine kohärente langfristige Strategie verfolgt. Nun stehen sie gemeinsam vor einem Scherbenhaufen, den am Ende vor allem die Ukraine ausbaden muss.
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