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Aus: Ausgabe vom 15.05.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Über allen Gipfeln

Mächtige Moorleichen im Wald der G7-Elite: Guy Maddins Filmgroteske »Tanz der Titanen«
Von Norman Philippen
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Arbeitslose Sumpfmenschen überall? Zur Not nimmt wenigstens das G7-Personal die Schippe in die Hand

Was haben die Staats- und Regierungschefs auf den G7-Wirtschaftsgipfeln sich eigentlich zu sagen? Die jährlichen TV-Übertragungen zeigen nur die durchchoreographierte Politpantomime. Nach außen dringen von den Verhandlungen bloß die Phrasen der jeweiligen »G7 Leaders’ Statements«. Potentiell spaßig ist es, die passende Tonspur einfach selbst zu imaginieren.

So dachte auch der solitäre, als Regisseur aber gerne kooperierende kanadische Filmkünstler Guy Maddin. Und sah mit Freude, wie der glänzende Cast von »Tanz der Titanen« (Orginaltitel »Rumours« – »Gerüchte«) die von ihm zusammen mit seinen Koregisseuren Evan und Galen Johnson verfassten absurden Dia- und Monologe spielend ausgesponnen hat. Die elitär manierierte Diktion – vor allem des von Charles Dance (Tywin Lannister in »Game of Thrones«) gespielten US-Präsidenten – des G7-Führungspersonals kontrastiert dabei stark mit den während des im Wald beim unterharzischen Dankerode abgehaltenen Gipfels eigentlich zu diskutierenden echten Herausforderungen einer nicht näher bezeichneten, da sowieso als hinlänglich bekannt vorausgesetzten globalen Krise. Wichtiger als deren Bewältigung ist der gastgebenden, mit dem pragmatischen Charme der Technokratie einer Ursula von der Leyen von Cate Blanchett gespielten Kanzlerin Hilda Ortmann (alias Angela Merkel?), wenigstens ein provisorisches »Leaders’ Statement« abzuliefern: »Wir müssen ein Signal der Stärke senden, aber ohne Inhalt«, drängt sie bürokratisch bräsig auf Einhaltung des diplomatischen Protokolls: »Die Tagesordnung muss noch vor dem Abendessen durchgesetzt werden!«.

Gibt aber kein Abendessen. Kein G7-Personal hört die Serviceglöckchen bimmeln, die Weltenlenker müssen erkennen, ihr Herbergs-Château steht so verlassen wie sie im bald dunklen Wald. In dem sie – »Der Wald ist heute besonders deutsch« – vor lauter (politischem?) Nebel nur noch Bäume sehen. Und Moorleichen, die nach 2.000 Jahren mysteriöserweise zu urinier-/onaniebeflissener Lebendigkeit erwachen. Eine Metapher der drohenden Apokalypse, auf die die Herrschenden keine Antwort wissen?

Der die surreale Situation analysierende französische Präsident (Denis Ménochet) meint, den Durchblick zu haben: »Haben Sie nicht gehört? Die Sumpfmenschen sind nur eine Metapher für die Arbeitslosenquote!« Orientierungslose Mächtige beim Verstehen der Probleme kleiner Leute halt. Stehen die lebenden Moorleichen doch bestimmt für vergangene Verfehlungen z. B. des womanizenden, womöglich gar die deutsche Kanzlerin fickenden kanadischen Präsidenten (Roy Dupuis). Die unbewältigten Altlasten und offenen Flanken der mächtig Fehlbaren sind Elemente der »amüsante(n) Chemie zwischen ihrer übertriebenen historischen und weltpolitischen Bedeutung und ihrer erbärmlichen Menschlichkeit« (Evan Johnson). »Rumours« verrührt die metaphernsatt und äußerst allegorieaffin zu einer heiter grotesken Emulsion, in der der Mythos der Realpolitik vergeblich um seine Vermischung mit der Realität ringt.

Soweit mein persönliches nebulöses provisorisches Statement. Das der Regisseure liest sich so: »Getrieben von den drohenden Weltuntergangsszenarien, die uns allzu vertraut geworden sind, verführt von den eschatologischen Windungen, die provokativ über unsere schwefelverhangenen Himmel geschrieben stehen, mit nichts als Hoffnungslosigkeit, um uns zu trösten, und mit unseren kältegepeitschten Seelen, die dringend die Wärme benötigen, die manchmal nur Nostalgie bieten kann, haben wir Regisseure unsere verzweifelte Aufmerksamkeit mit Rosenkranzperlen, die wie Zähne in unseren skelettartigen Fingern klappern, den altmodischen Gebräuchen der Diplomatie zugewandt – nämlich dem G7-Gipfel!«

Klingt doch ganz teasertauglich, oder? Verrät auch nicht zuviel über den bislang zugänglichsten Guy-Maddin-(& Co.)-Film, der, das ist neu für den Regisseur, nicht nur mit Farbe, sondern auch mit einer einigermaßen konkreten Storyline aufwartet.

Maddin selbst, stolz auf das Ergebnis und zufrieden ob des für seine Verhältnisse horrenden Budgets, sah sich schon als Hollywood-»Big Shot«, während das US-amerikanische Box Office lediglich 700.000 Dollar Einnahmen verzeichnete. Die Kritiken, so auch diese, fallen indes bestens aus. Zu Recht, auch da die durchgespielten Diskrepanzen zwischen bürgerferner Bürokratiebräsigkeit und weltweit realer Radikalbedrohungen maddinmäßig uneindeutig bleiben und trotz noch alleroffensichtlichster Metaphern (ein gigantisches bemoostes und mit Tentakeln ausgestattetes Gehirn im Wald) viele Fragen filmfreundfreundlichst offen genug bleiben. Wo mögliche Klimaschutzverträge und Sozialreformen im Kompromissfindungs-Klein-Klein nun einmal ganz real unmöglich erscheinen, kann ein Groß-Groß an Filmkunst nicht schaden, gar etwas darüber hinwegtrösten, dass die Eschatologie nicht unbegründet wieder so en vogue ist wie anno 999.

»Tanz der Titanen«, Regie: Guy Maddin, Evan Johnson, Galen Johnson, Kanada/BRD/Ungarn u. a., 104 Min., Kinostart: heute

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