Frühlingsfest
Von Jürgen Roth
Warum heißt es im Deutschen: »Man geht an die Luft« – und: »Man geht in die Sonne«? Müsste es nicht in die Luft, die uns umgibt wie das Wasser des verschwiegenen Waldteichs, und an die Sonne, die sich von oben an uns wendet und unsere Weltanwesenheit verschönert, heißen?
Das Präpositionalsystem im Deutschen – alogisch, anarchisch. Hätte das nicht unser herzschmerzensstark vermisster Hüttl, der ja das Gendern erfand (höre etwa »Speech on the 7th Anniversary of the Seizure of Power«, 30. April 1940, Youtube), reinigen und neu ordnen können? Oder wenigstens, den großgermanischen Auftrag im nachhinein erfüllend, die Hyperlinguistin Baerbock? Der Bumspräsident Franky »Fickstern« Steinmeier? Die Bundesmeinungswehrpolizei?
Überhaupt: die deutsche Sprache. Just ein Insert im Welt-TV: »Grünes Licht für Schwarz-Rot.« Man könnte den ganzen Tag hineinhauen in diese herrliche Sprache. Was wäre gewonnen, verschlüge es all den Deppen ebendiese.
Ich war so frei und streifte das T-Shirt über, das ich im vergangenen Jahr auf dem Dorffest gekauft hatte, »handmade« von Susanne Strauss von Sentimentina Mode, ein Unikat, fünfunddreißig Euro, mit Deutschland- und Bayernflagge und dem Schriftzug »Great place to live – Neuendettelsau«.
Auf dem Großen Platz des Himmlischen Deutsch-Russischen Friedens, dem mit Kieselwettersteinen übersäten Sternplatz, fand das Frühlingsfest statt. »O’dreht werd!« befahl ein Plakat.
Ich setzte mich in den provisorischen Biergarten und trank ein Ammerndorfer. Dazu eine Bratwurstsemmel. Gerne hätte ich meine schöne Cousine zu einer Runde Schiffsschaukeln verführt. Sie war nicht da. Nie ist jemand da, wenn man Sehnsucht verspürt. Aber dafür gibt es ja Sehnsucht. Eine Welt ohne Sehnsucht wäre tot – dumpfe Rammelei, Rumschießerei, ein Vorsichhinwürgen ohne Musik und ohne Literatur. Mangel und Abwesenheit erschaffen brauchbare Gedanken.
Die Zugangsstraße war mit halbmannshohen Betonzylindern und einem Unimog Turbo versperrt. Sechs Kulinarstände. Die Häuser um mich herum werden in zehn Jahren abgerissen, die Gärten mit den alten Obstbäumen plattgemacht sein. Danach wird Neuendettelsau wie München oder Frankfurt aussehen, vielleicht mit Windrädern am Wirthaus – Mahnwahnmale des sogenannten Fortschritts. Freund Maier beschreibt das Verhängnis seit zwanzig Jahren in seinem Romanzyklus »Ortsumgehung«. Vernichten. Oder gezielter Zerfall. Nicht pflegen. Nicht sich um etwas sorgen.
Mir fehlte die Bordellbude (man hat ja seine Bedürfnisse). Der Geyer Schorsch lebte gegenüber. Er brachte mir immer ein paar Flascherl Bier vorbei. Kellertreppe runtergefallen, tot. Der Demasi geht es schlecht. Hoffentlich bleibt der Wieland wohlauf.
Die Sonne fiel auf die Tischdecke. Patsch. Ohne Laut. Die deutsche Sprache. Piwitt notierte mal: »Ich sitze da und sehe den Wolken zu, nicht weil sie mich interessierten, sondern weil sie hin und wieder die Sonne freigeben, die mir allein noch etwas sagt.«
Die Kindergesichter, die vor Beglückung glühenden, im um zwei Achsen rotierenden Fahrgeschäft Rock Q. Das Karussell mit Märchenmotiven – Sultane, Neger, Maiden.
Zu Hause nahm ich mir eine Flasche Rosé zur Brust. »Kistner’s Sommerzeit«. Die Deutschen. Nicht mal Ahnung von der korrekten Verwendung des Apostrophs haben sie.
Ich musste an Vanessa denken, meine zweite wahre Lebensliebe. 2008 hatten wir in Nizza schon vormittags Rosé getrunken. Nach einem Jahr war sie ohne ein Wort verschwunden. Als sei sie gestorben.
Suff ist kein Bluff.
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