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Aus: Ausgabe vom 14.05.2025, Seite 15 / Antifaschismus
Faschisten in Frankreich

Paris macht den Weg frei

Frankreich: Neonazis ziehen mit richterlicher Erlaubnis durch die Hauptstadt. Regierung will antifaschistische Jugendorganisation verbieten
Von Ivan Ertl, Paris
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Eine Demonstrantin will nicht, dass »die Würde der Menschheit in der Barbarei begraben« wird (Paris, 10.5.2025)

Unter ihrem Schlachtruf »Europa, Jugend, Revolution« marschierten rund 1.000 Faschisten am Sonnabend durch die Straßen von Paris – mit amtlicher Erlaubnis. Das Pariser Verwaltungsgericht hatte das Verbot des diesjährigen Aufzugs der Gruppe »C9M« (dt.: »Komitee 9. Mai«) am Freitag abend aufgehoben, wie Radio France Internationale (RFI) am Sonntag online berichtete. Angekündigte Proteste von Nazigegnern blieben dagegen untersagt.

Rund um das andernorts als Tag des Sieges über den Faschismus begangene Datum wollen die Neonazis Jahr für Jahr den 1994 auf der Flucht vor der Polizei gestorbenen Studenten Sébastien Deyzieu ehren. Dieser war damals laut RFI am Rande einer Kundgebung gegen den US-Imperialismus von einem Gebäude gestürzt. Deyzieu war demnach Mitglied der 1968 vom Sohn eines Nazikollaborateurs gegründeten antisemitisch-nationalistischen Bewegung »Oeuvre Française«.

Nach Veranstalterangaben versammelten sich am Sonnabend rund dreimal so viele Nazigegner nahe dem Panthéon zu einem »antifaschistischen Dorf«, wie RFI weiter berichtete. Dieses sollte daran erinnern, dass Neonazis »nicht mehr Platz auf unseren Straßen haben als ihre Vorfahren«. Dem Sender zufolge wurden im Zuge des Aufmarsches und des Protests 13 Menschen festgenommen, darunter auch Protestteilnehmer. Der Polizei zufolge sei es zu keinen größeren Zusammenstößen gekommen.

Am von der linken Partei La France Insoumise unterstützten antifaschistischen Protest hatten sich auch Anhänger der Jugendorganisation »Jeune Garde« beteiligt. Diese ist derzeit eine von mehreren Zusammenschlüssen, die die Regierung von Präsident Emmanuel Macron verbieten will. Innenminister Bruno Retailleu hatte am 29. April die Einleitung mehrerer Verbotsverfahren gegen »extremistische« Gruppierungen verkündet.

Die »Jeune Garde« wurde 2018 in Lyon als Antwort auf die steigende Präsenz militanter faschistischer Organisationen gegründet und ist seitdem in mehreren Städten aktiv: ob zur Verteidigung der 8.-März-Demonstration in Paris vor der reaktionären Frauenorganisation »Nemesis« oder zur direkten Konfrontation mit faschistischer Gewalt auf den Straßen Lyons.

Aus den Dokumenten, die für das Verfahren erstellt wurden, geht hervor: Grundlage sind Auseinandersetzungen mit faschistischen Gruppierungen. Vorwürfe, gewaltsam gegen den Staat vorgegangen zu sein, finden sich darin nicht. »Frankreichs rechtsextreme Bewegung wird von einer rechtsextremen Regierung geschützt. Sie bietet damit Hilfe für die rechtsextremen Gruppierungen, wodurch sie natürlich nur noch mehr Legitimation und Motivation ziehen«, kommentiert ein Mitglied der Jugendorganisation, das anonym bleiben möchte, am Sonntag im Gespräch mit junge Welt.

Nach dem faschistischen Angriff in Paris auf die sozialistische Jugendorganisation »Young Struggle« und den migrantischen Arbeiterverein ACTIT (Association de Travailleurs immigrés de la Turquie) am 16. Februar 2025 hatte sich der Innenminister nur verhalten zur faschistischen Gewalt geäußert. Selbstverständlich seien Neonazis und Faschisten zu verurteilen, aber genauso auch die »Ultralinke«. Retailleu würde alles tun, um gewaltbereite Gruppen zu verbieten, betonte er.

Sein Verbotsverfahren fällt in eine Zeit der weiter um sich greifenden faschistischen und rassistischen Gewalt. Das Ziel der Repression ist offenbar, Gruppen wie »Jeune Garde« vom Rest der antifaschistischen Bewegung in Frankreich und Europa zu isolieren und letztlich handlungsunfähig zu machen. Retailleaus »Gegen jeden Extremismus«-Rhetorik ist deshalb bezeichnend für die jüngsten Angriffe auf Antifaschistinnen und Antifaschisten.

»Jeune Garde« ruft dazu auf, als gesamte antifaschistische Bewegung näher zusammenzurücken. »Selbstverständlich werden wir weiterhin vor Gericht kämpfen und eine Antwort auf diese staatliche Repression geben. Ob jetzt unter dem Namen ›Jeune Garde‹ oder einem anderen«, erklärte das Mitglied gegenüber jW. Antifaschismus müsse »wieder als etwas Ehrbares und grundlegend Demokratisches« verstanden werden.

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