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Aus: Ausgabe vom 14.05.2025, Seite 7 / Ausland
Ukraine

»Moskau muss brennen«

Kiew gliedert deutsches Neonazikorps in die reguläre ukrainische Armee ein
Von Susann Witt-Stahl
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OUN-Führer Stepan Bandera wird an seinem Geburtstag in Lwiw gehuldigt (1.1.2025)

Die von der prowestlichen faschistischen Internationale ersehnte neue »deutsch-ukrainische Bruderschaft« gegen den »bolschewistischen Feind« nimmt Konturen an. Den direkten Krieg, den deutsche Politik und Medien seit Jahren vorantreiben und ideologisch vorbereiten – deutsche Neonazis führen ihn bereits seit Juni 2023. Was sich großspurig »Deutsches Freiwilligenkorps« (DFK) nennt, dürfte gerade einmal die Mannstärke eines Trupps erreichen. Das hat Kiews Militärführung nicht daran gehindert, es in die ukrainischen Streitkräfte zu integrieren: Seit April 2025 gehört das DFK dem 49. Sturmbataillon »Karpaten-Sitsch« der ukrainischen Bodentruppen an.

Das 2014 nach dem Maidanputsch von Mitgliedern der Swoboda-Partei und der Wehrsportgruppe »Sokil« gegründete »Karpaten-Sitsch«-Bataillon, das zwischenzeitlich aufgelöst und 2022 reaktiviert wurde, ist eine Freiwilligeneinheit. Es steht in der Tradition der »Karpaten-Sitsch«, die 1938 auf Initiative der faschistischen Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) aufgestellt und im Unabhängigkeitskampf gegen Ungarn aufgerieben worden war. Viele ihrer Angehörigen schlossen sich in den 1940er Jahren der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) des Bandera-Flügels der OUN an. Unter ihnen fand sich Roman Schuchewitsch, später Kommandeur der UPA, der bis heute vom »Karpaten-Sitsch«-Armeebataillon verehrt wird. Daran, dass dessen Vorgänger zeitweise mit Hitlerdeutschland kollaborierten, erinnern SS-Runen und -Totenkopfsymbole, die einige Kompanien des Bataillons in ihren Verbandskennzeichen verwenden.

Das DFK rekrutiert sich bis heute aus dem Umfeld der Kleinstpartei Der III. Weg. Die Neonazis unterhalten seit Jahren Kontakte zu Swoboda, Sokil sowie zur »Asow«-Bewegung, sammeln Spenden für ukrainische Faschisten und nahm im August 2024 gemeinsam mit dem DFK, dem Russischen Freiwilligenkorps und weiteren für Kiew kämpfenden Neonazieinheiten an einer Konferenz der faschistischen Internationale in Lwiw teil. Dass das DFK am 20. April Adolf Hitler auf seinem offiziellen Social-Media-Kanal zum »Wiegenfest« gratulierte, scheint die ukrainische Armeeführung nicht zu stören. Ebenfalls nicht die revanchistische Manifestation, die das DFK zum 80. Jahrestag der Befreiung veröffentlicht hat: »In Deutschland hat man den 8. Mai 1945 nicht vergessen, und schon gar nicht wird er gefeiert!« erklärte das DFK und verlangte vom deutschen Volk »selbigen Mut, selbige Treue, selbige Opferbereitschaft«, wie sie einst Hitlers Soldaten bewiesen hätten – »für eine strahlende Zukunft im Glanze der alten Herrlichkeit«.

Das »Karpaten-Sitsch«-Armeebataillon, das derzeit im Ukraine-Krieg in der Region Torezk kämpft, hat einen hohen Anteil an Ausländern aus Spanien, Kolumbien, Großbritannien und den Vereinigten Staaten, darunter auch ehemalige Armeesoldaten, die im NATO-Einsatz in Jugoslawien waren. Mit der Eingliederung des DFK in die ukrainischen Streitkräfte dürften die ideologischen Enkel von Hitlers Rassekriegern Zugang zu aus den USA und der EU gelieferten Waffen sowie Ausbildung auf NATO-Standard bekommen: »Ihr erhaltet eine komplette Ausrüstung, technisches Training, medizinische Versorgung und Vorbereitung für den Häuserkampf« verspricht DFK-Gründer Stephan K. in einem Rekrutenwerbevideo. Mit der Behauptung, Deutschland werde in der Ukraine verteidigt, die auch Politiker hierzulande nicht müde werden zu wiederholen, forderte das DFK schon vor Monaten bei Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius Waffen und Munition ein. Zum Jahresende 2024 hatte das DFK bereits angemahnt, was die Merz-Regierung nun bald liefern könnte: »Wann kommt der ›Taurus‹? Moskau muss brennen.«

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  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (14. Mai 2025 um 02:47 Uhr)
    Die im Artikel geschilderten Traditionslinien des Nazismus in der Ukraine haben ihren Ursprung wie in Deutschland im 19. Jahrhundert. Juden zu vergasen, das schlug bereits Kaiser Wilhelm II. vor. Die Bewegung Banderas beteiligte sich dann am Massenmord von Zivilisten unterschiedlicher Nationalität in der Ukraine. Es wird in diesem Zusammenhang meist nur die Parallele zu Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs gezogen, dabei jedoch kein Bezug zum Ersten Weltkrieg und zum russischen Bürgerkrieg genommen. Die Staatsgründung der Ukraine 1918 geschah auf Betreiben des kaiserlichen deutschen Generalstabs, der sie als Aufmarschgebiet und koloniales Ausbeutungsobjekt für die Versorgung mit Nahrungsmitteln nutzte. Im Bürgerkrieg kämpften deutsche Freikorpstruppen dann bereits lange vor Hitlers Machtergreifung gegen den »jüdischen Bolschewismus« (gegen Sowjetrussland). Dies geschah genau auf dem Gebiet der heutigen Republiken im Donbass, wo nun erneut deutsche Freikorpssoldaten tätig werden. Dass es bisher (!) wenige sind, tut nichts zur Sache, wenn in der gesamten Ukraine Faschisten wie Bandera als Staatshelden gefeiert werden und die Jugend in ihrem Geiste seit Jahrzehnten verhetzt wird. Ein kleiner Trupp summiert sich mit den Teilnehmern anderer NATO-Staaten. Damals war es nicht die offiziell zugelassene Reichswehr, dort kämpfte, heute ist es nicht die Bundeswehr. In beiden Fällen war es ein Krieg, an dem Deutschland offiziell nicht beteiligt war. Dennoch stellte Deutschland Ausbilder, Waffen und Soldaten. Nun wiederholt sich in der Ukraine dieses allbekannte Schema. Den Deutschen ist das bei der fehlenden Information durch die Massenmedien nicht klar, den Russen schon.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (13. Mai 2025 um 20:52 Uhr)
    Wer aus der Geschichte nichts lernt, ist selbst schuld. Moskau hat schon einmal gebrannt – auf Befehl von General Kutusow, der es 1812 selbst opferte, um Napoleon zu besiegen. Künftige Einschläge – etwa durch »Taurus«-Raketen – könnten propagandistisch ausgeschlachtet und medial hochgejubelt werden. Doch an der realen Lage an der Front in der Ukraine würde das auch nichts ändern. Eines steht fest: In Kiew wird das Brot eher knapp, als in Moskau der Kaviar.

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