Krankenbett wird zu Leichenbett
Von David Siegmund-Schultze
Hassan Aslih ist der 204. durch Israel im Gazakrieg getötete Journalist, glaubt man einer Liste auf Wikipedia. Al-Dschasira berichtete bereits Anfang April von 232 getöteten Medienschaffenden. Die NGO »Reporter ohne Grenzen« zählte in einem Ende März veröffentlichten Bericht »fast 200«. Viele von ihnen »wurden im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet, einige gezielt«, heißt es dort weiter. Daraus, dass auch Aslih gezielt angegriffen wurde, macht die israelische Armee keinen Hehl. Sie behauptet jedoch, dass er ein Hamas-Kämpfer gewesen sei. Bereits am 7. April hatte das Militär mitgeteilt, Aslih, der sich in einem von Journalisten benutzten Zelt befand, angegriffen zu haben, da er »unter dem Deckmantel des Journalismus« für die Hamas gearbeitet und am Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 teilgenommen hätte. Zwei Journalisten wurden getötet, Aslih überlebte schwer verletzt und wurde in das Nasser-Krankenhaus in Khan Junis eingeliefert. Im Krankenbett liegend wurde er dann in der Nacht zu Dienstag nach Angaben der lokalen Zivilschutzbehörde durch einen Luftangriff getötet.
Die angebliche Mitgliedschaft des Journalisten bei der Hamas und seine Beteiligung am Massaker des 7. Oktober 2023 sollen ein Foto und ein Video beweisen. Das aus 2020 stammende Foto zeigt ihn neben dem im Oktober 2024 getöteten Jahja Sinwar. Darauf gibt der damalige Hamas-Chef im Gazastreifen dem lächelnden Aslih ein Küsschen auf die Wange. In einer Stellungnahme auf X ordnete der aus Gaza stammende und mittlerweile in Europa lebende hamaskritische Autor und Analyst Muhammad Shehada am Dienstag das Foto ein: Nach langer Abwesenheit von der Öffentlichkeit habe Sinwar damals Aslih aufgesucht. »Er wählte Hassan aus, weil er in Gaza ein bekannter Name mit einer großen Leserschaft war; er war die erste Adresse, wenn es um Neuigkeiten aus Gaza ging.« Mit dem Foto habe Sinwar die Botschaft an die israelische Regierung senden wollen, »dass er zurück ist«. Aslih sei jedoch nie Teil der Hamas oder einer anderen militanten Gruppe gewesen.
Shehada zufolge wurde der Journalist getötet, weil er »Gatekeeper« für eine große Menge an »Beweisen ihres Genozids war«. »Er war immer der erste Journalist am Ort eines Massakers oder eines Luftangriffs. Er wäre ein wichtiger Zeuge für den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) und den Internationalen Gerichtshof gewesen.« Das Video, das Aslihs Beteiligung am 7. Oktober beweisen soll, zeigt ihn vor einem brennenden Panzer der israelischen Armee, weniger Meter vom Grenzzaun entfernt. Aber: Eine Dokumentation der Geschehnisse als Journalist ist etwas anderes als daran mit Waffe in der Hand beteiligt zu sein.
Der Angriff auf das Nasser-Krankenhaus vom Dienstag reiht sich in die Angriffe auf Journalisten ein – und in die auf das Gesundheitssystem. Nach dem humanitären Völkerrecht unterliegt dieses einem besonderen Schutz, der nur dann eingeschränkt werden kann, wenn Kampfhandlungen aus einem Krankenhaus erfolgen. Die israelische Armee rechtfertigte den Angriff vom Dienstag abermals mit der Behauptung, darin habe sich ein »Kommando- und Kontrollzentrum« der Hamas befunden. Doch obwohl sie nach dem Kriegsrecht verpflichtet wäre, Beweise für diese Anschuldigung vorzulegen, blieben diese aus – wie auch bei den 31 der 36 Krankenhäuser, die laut der Rechercheagentur Forensic Architecture allein bis August 2024 angegriffen wurden.
Das gezielte Töten von Journalisten, die systematische Zerstörung des Gesundheitssystems, der Einsatz von Hunger als Waffe, die dauerhafte militärische Besetzung, die Vertreibung der Bevölkerung – die Liste der, mittlerweile zum Teil offiziell verkündeten, Kriegsverbrechen Israels im Gazastreifen ist lang. Das hindert die neue Bundesregierung nicht daran, die »besondere Beziehung« der BRD zu Israel zu betonen. Am Dienstag flogen die Präsidenten beider Länder, Frank-Walter Steinmeier (SPD) und Isaac Herzog, zusammen nach Tel Aviv. In Israel soll der Sozialdemokrat auch den vom IStGH per Haftbefehl gesuchten israelischen Premier Benjamin Netanjahu treffen.
Angesichts der Angriffe auf den Journalismus gab es am Montag jedoch auch eine positive Nachricht. Die Palästinensische Nationalbehörde (PA) in Ramallah hob ihr Verbot von Al-Dschasira auf. Ab Dienstag könne der Sender wieder in der Westbank agieren. Nachdem die israelische Regierung den Sender im Mai vergangenen Jahres verboten hatte, tat es ihr die PA im Januar 2025 gleich. Zuvor hatte Al-Dschasira kritisch über das Vorgehen von Sicherheitskräften der PA gegen militante palästinensische Gruppen berichtet.
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