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Aus: Ausgabe vom 14.05.2025, Seite 5 / Inland
Bildungspolitik

Kein Mangel am Mangel

Ein Fünftel junger Menschen ohne berufliche Qualifikation. DGB fordert Aktionsprogramm
Von Ralf Wurzbacher
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Mit drei Millionen Erwerbslosen bis zum Sommer ist zu rechnen: Azubi bei Continental in Hamburg

Alle wollen Bonbons, das Glas ist voll davon, aber keiner greift zu. Der deutsche Arbeitsmarkt ist nicht zu fassen. Während die Wirtschaft zu jeder Gelegenheit »Fachkräftemangel« schreit, stehen massenhaft Menschen ohne Job oder ohne Ausbildung da. Am Dienstag gab es den Widersinn im Paket: Mit drei Millionen Erwerbslosen bis zum Sommer rechnet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Zudem gibt es fast drei Millionen junge Erwachsene, die keine Lehrstelle haben. Das macht sechs Millionen Abservierte, Abgehängte, Ausgestoßene, bei wenig bis null Chancen auf ein Leben in Wohlstand und Sicherheit. Und es droht noch viel mehr zu treffen.

Zuerst verkündete gestern früh das IW bei der Vorlage seiner neuesten Konjunkturprognose, dass »alle großen Volkswirtschaften der Welt wachsen«, nur die deutsche »schrumpft in diesem Jahr um 0,2 Prozent«. Angesichts aller miesen Eckdaten – hohe Kosten, geringe Investitionen, schwächelnde Binnennachfrage – werde die Arbeitslosenquote schon bald den Stand von 2010 erreichen, sagte IW-Makroökonom Michael Grömling voraus. Damals lag diese mit über 3,2 Millionen Betroffenen bei 7,7 Prozent. Im April galten 2,93 Millionen offiziell als nicht versorgt, was 6,3 Prozent entsprach. Aber, so der WI-Mann: »Die neue Regierung hat es jetzt in der Hand. Eine Trendwende ist möglich und überfällig.«

Beim Thema Ausbildung versprechen Regierende und Unternehmerverbände derlei schon seit einer gefühlten Ewigkeit. Lasse man die Akteure nur machen und verschone sie mit regulatorischen Eingriffen wie etwa einer Zwangsumlage für nicht ausbildende Betriebe, dann werde man das Kind schon schaukeln, hieß es immer wieder. Voll verschaukelt! Nach dem Entwurf des Berufsbildungsberichts der Bundesregierung verfügten 2,86 Millionen der unter 35jährigen (wahrscheinlich Stand 2023) über keine abgeschlossene berufliche Qualifikation und verdingten sich in der Mehrzahl in schlecht bezahlten Helferjobs. Betroffen war damit nahezu jeder fünfte dieser Altersgruppe. Nicht einmal ein Fünftel der Betriebe – 18,8 Prozent, minus 0,1 Prozent gegenüber 2022 – beteiligt sich überhaupt noch am dualen Ausbildungssystem. Zum Vergleich: 2007 lag der Wert immerhin noch bei 24 Prozent.

Wie am Dienstag das Handelsblatt unter Berufung auf das noch nicht veröffentlichte Zahlenwerk berichtete, landeten außerdem 259.000 Jugendliche nach der Schule im sogenannten Übergangsbereich und damit fast 8.200 mehr als gemäß Vorgängerreport. Zu diesem zählen diverse Maßnahmen, die auf eine Ausbildung vorbereiten sollen, was aber in der Realität viel zu selten glückt. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hält das Mittel für zielführend und ätzt über eine »jahrelange Warteschleife« ohne Ertrag. »Wir verlieren zu viele junge Menschen auf dem Weg in die Berufswelt, während die Wirtschaft gleichzeitig über fehlende Fachkräfte klagt. Das passt nicht zusammen«, zitierte die Wirtschaftszeitung die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. Das sei zugleich »ein gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Skandal«, denn »wer junge Menschen ausbremst, bremst letztlich auch das Potential unserer gesamten Wirtschaft«.

Fälle von gescheitertem Berufsübergang folgen einem Muster: Meistens haben die Betroffenen keinen Schulabschluss, häufig stammen sie aus Förderschulen, in der Mehrzahl sind es junge Männer, nicht selten mit Migrationshintergrund. Dazu kommen jene, die die Schule gerade so schaffen, aber ihre Ausbildung wegen Überforderung oder schlechter Arbeitsbedingungen abbrechen. Passend dazu wurden im Berichtszeitraum 29,7 Prozent der Verträge vorzeitig aufgelöst – ein historischer Höchststand. Der Ausbildungsreport des DGB von 2024 schlüsselt eine Reihe an Ursachen auf: schlechte Bezahlung, fehlende Perspektiven, zu wenig Anleitung, fachfremde Beschäftigung, Überstunden. Von der neuen Bundesregierung fordert Verbandsvize Hannack erneut ein Aktionsprogramm. Dazu gehörten eine Ausweitung der Ausbildungsgarantie, mehr Unterstützung für das Ausbildungspersonal und bezahlbarer Wohnraum für Azubis.

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