Index der Schande
Von Philip Tassev
Abgesagte Veranstaltungen, Diffamierung, Kündigungsdrohungen, Hausdurchsuchungen, Strafanzeigen, Polizeigewalt: Die Unterdrückung von Stimmen, die auf den völkermörderischen Krieg des Staates Israel gegen die palästinensische Bevölkerung aufmerksam machen, hat System. Dieses System zu veranschaulichen und die zahlreichen Einzelfälle zu kontextualisieren, ist Sinn und Zweck der Datenbank »Index of Repression«, die das European Legal Support Center (ELSC) in Zusammenarbeit mit der renommierten Organisation Forensic Architecture aufgebaut und am Dienstag in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt hat.
766 Fälle von antipalästinensischer Repression in der BRD, in denen Tausende betroffen sind, werden dort aufgeführt: von Zensur und Überwachung, Demonstrationsverboten und Festnahmen über den Verlust des Arbeitsplatzes, Bankkontokündigungen und andere finanzielle Konsequenzen, repressive Gesetze, Einschüchterungen und Schikanen bis hin zum angedrohten Verlust des Aufenthaltstitels oder der BRD-Staatsbürgerschaft.
Die Datenbank zeigt die Methoden auf, mit denen die Palästina-Solidaritätsbewegung zum Schweigen gebracht und kriminalisiert werden soll, sowie die verschiedenen Instrumente, die zur Anwendung kommen. Die Fälle werden dabei in acht unterschiedliche Kategorien eingeordnet: 1. Festnahmen/Einschreiten der Strafverfolgungsbehörden, 2. Zensur/Desinformation/Verleumdung, 3. Demonstrationsverbote/abgesagte Veranstaltungen/Dienstleistungsverweigerung, 4. Belästigung/Gewalt/Doxing/Überwachung, 5. rechtliche, finanzielle oder berufliche Auswirkungen, 6. Sanktionen an Schulen/Universitäten/Arbeitsplätzen, 7. Androhung rechtlicher Maßnahmen und 8. Bedrohung der Beschäftigung/Finanzierung.
Diese Kategorien und die ihnen zugeordneten Vorfälle zeigen auch, dass mit Repression nicht einfach nur das Verbot, sich gegen den Völkermord auszusprechen, gemeint ist. Repression wird statt dessen als ein umfassender Prozess aufgefasst, durch den bestimmte Weisen, über die Befreiung Palästinas zu sprechen, durch rechtliche, kulturelle und institutionelle Mechanismen delegitimiert oder kriminalisiert werden. Dazu zählen etwa die Einstufung von Antizionismus als »Antisemitismus«, die Disziplinierung akademischer oder künstlerischer Äußerungen und die Kontrolle der Solidaritätsbewegung durch staatliche Überwachung und arbeitsrechtliche Sanktionen. Das ELSC weist zudem darauf hin, dass die bisher gesammelten 766 Fälle in der BRD nur die »Spitze des Eisberges« sind und ruft dazu auf, bekannte Vorfälle zu melden.
Layla Kattermann, Projektmanagerin beim ELSC, kommentierte den Start der Website mit scharfen Worten: »Antipalästinensische Repression in Europa bedeutet, dass man abgeschoben, aus Schulen, Universitäten oder vom Arbeitsplatz verwiesen, von der Polizei verprügelt oder vor Gericht kriminalisiert wird, wenn man die Mitschuld an Völkermord und Siedlerkolonialismus anprangert.« Diejenigen, die Israels völkermörderischen Krieg gegen Gaza ermöglichen, wollten »nicht entlarvt und gestört werden« und griffen daher »auf systematische Repression und die Kriminalisierung von Andersdenkenden zurück«. Die Datenbank zeige, »wie sich staatliche und nichtstaatliche Akteure oft organisch zusammentun, um die antipalästinensische Unterdrückung in allen Institutionen und Bereichen der Gesellschaft aufrechtzuerhalten: Sie greifen Menschen auf der Straße, in ihren Wohnungen und im Internet an, um die Palästina-Solidaritätsbewegung zum Schweigen zu bringen.«
Das ELSC ist eine 2019 ins Leben gerufene Organisation, die sich die Verteidigung der palästinensischen Solidaritätsbewegung mit rechtlichen Mitteln auf die Fahnen geschrieben hat. Sie bietet kostenlose rechtliche Unterstützung für all jene, die sich aufgrund ihrer Solidarität mit Palästina Repression unterschiedlicher Art ausgesetzt sehen. Ziel des ELSC ist es, »durch juristische Strategien, Gerichtsverfahren, investigative Recherche und Anwaltstätigkeit« jene Strukturen aufzubrechen, »die Unternehmen, Finanzinstitute und politische Institutionen vor der Verantwortlichkeit für ihre Rolle bei der Ermöglichung von Völkermord, Siedlungsausbau und ethnischer Säuberung im besetzten Palästina schützen«.
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