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Aus: Ausgabe vom 14.05.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Kaschmirkonflikt

Verbal wird noch geschossen

Die von den USA vermittelte indisch-pakistanische Waffenruhe hält einstweilen. Gegenseitige Vorwürfe und Drohungen werden weiter erhoben. Beide Seiten feiern ihre Luftabwehr
Von Thomas Berger
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Gemessen an der Rhetorik der Staatschefs Indiens und Pakistans gibt es bald wieder solche Bilder (Kot Maira, 12.5.2025)

Die Waffen mögen seit dem Wochenende (weitestgehend) schweigen. Die Tonlage zwischen Indien und Pakistan hat sich aber nur minimal entschärft. Und kaum war der Waffenstillstand zwischen den beiden Atommächten am Sonnabend um 17 Uhr indischer Ortszeit offiziell verkündet, begann auch schon der Kampf um die Deutungshoheit, wer denn eigentlich Sieger in dem viertägigen militärischen Schlagabtausch gewesen sei, der nur knapp an einem veritablen Krieg zwischen den seit Jahrzehnten verfeindeten Nachbarn vorbeischrammte.

Erstmals, seit Indien am 7. Mai seine »Operation Sindoor« gestartet hatte, meldete sich am Montag Premier Narendra Modi zu Wort. »Terror und Verhandlungen können nicht koexistieren, Terror und Handel können nicht Hand in Hand gehen, Wasser und Blut können niemals zusammen fließen«, sagte der hindunationalistische Regierungschef in einer Rede an die Nation, die implizit aber vielmehr in Richtung Islamabad gerichtet war. Man habe bei seinen militärischen Aktionen nur eine »Pause« eingelegt und sei bereit, im Falle eines pakistanischen Angriffs umgehend zu antworten: »Wir überwachen jeden Schritt Pakistans.« Sein pakistanischer Amtskollege Shehbaz Sharif verkündete, man wolle den 10. Mai, offizielles Startdatum der eigenen Militäroperation, zu einem landesweiten Gedenktag machen. Pakistans Nationalversammlung verabschiedete eine Erklärung, in der das eigene Militär für sein »angemessenes Verhalten« gelobt wurde. Am Dienstag kam es dann zu einem schweren Zwischenfall. Eigenen Angaben zufolge hat das indische Militär drei »Terroristen« im indischen Teil Kaschmirs in einem »heftigen Feuergefecht« getötet.

Von einer gewissen Normalisierung ihrer Beziehungen sind beide Staaten noch weit entfernt, ebenso von inhaltlichen Gesprächen auf hoher politischer Ebene. Immerhin gab es am Montag um 17 Uhr, genau 48 Stunden nach Wirksamwerden der von den USA vermittelten Waffenruhe, ein Telefonat zwischen den Generaldirektoren für militärische Operationen, Generalleutnant Rajiv Ghai (Indien) und Generalmajor Kashif Abdullah (Pakistan). Laut Berichten soll es rund 30 Minuten gedauert und konkrete Fragen zur Überwachung der Vereinbarung beinhaltet haben – darunter offenbar auch erste Vorbereitungen zum Truppenrückzug aus grenznahen Gebieten.

Als vereinbart gilt und wird vor allem seitens der indischen Armee immer wieder betont, dass »kein einziger Schuss mehr abgefeuert werden darf «. Ghai und Abdullah hatten schon am Sonnabend die konkrete Umsetzung der Waffenruhe koordiniert. Sie hält zwar, jedoch gab es aus Delhi am Montag abend (Ortszeit) den erneuten Vorwurf, pakistanische Drohnen würden über dem indischen Teil Kaschmirs fliegen – man habe sie unschädlich gemacht. Pakistan wies die Meldung vehement zurück; keine Drohne habe mehr indischen Luftraum verletzt. US-Präsident Donald Trump feierte sich derweil bei einer Erklärung im Weißen Haus noch einmal selbst für den Erfolg, einen potentiellen Nuklearkrieg abgewendet zu haben. Die Ankündigung gegenüber beiden Staaten, die Handelsbeziehungen auszubauen, habe als Anreiz gewirkt.

Der begrenzte Schlagabtausch hat unterdessen einen deutlichen ökonomischen Schaden verursacht. Die direkten Zerstörungen sind zwar gering, doch allein der stark eingeschränkte Flugverkehr normalisiert sich nur langsam. »Die Kosten des Konflikts zwischen Indien und Pakistan reichen weit über das Schlachtfeld hinaus; sie manifestieren sich in langfristiger wirtschaftlicher Instabilität und ungenutzten regionalen Potentialen«, konstatierte Ajay Singh, Chefökonom des Economic Policy Research Institute. Indien werde dieses Jahr rund 80 Milliarden US-Dollar in die Modernisierung seiner Streitkräfte stecken, der pakistanische Militäretat liege bei elf Milliarden, rief Finance Outlook India in diesem Zusammenhang in Erinnerung. Dieses Geld fehlt für andere, dringend notwendige staatliche Investitionen, etwa im Bildungs- und Gesundheitsbereich.

Beide Seiten feiern die Leistungen ihrer Luftabwehr, so etwa Indiens Luftwaffenchef Awadhesh Kumar Bharti in einer Erklärung am Montag. Pakistan, das 40 zivile Opfer und elf gefallene Soldaten meldete, will angeblich fünf indische Kampfjets abgeschossen haben, berichtete die pakistanische Zeitung Dawn. Indiens Armee veröffentlichte Satellitenbilder, die illustrieren sollen, wie schwer in der Garnisonsstadt Rawalpindi eine zentrale Luftwaffenbasis getroffen wurde – direkt neben Pakistans Hauptstadt Islamabad und nur wenige Kilometer vom Kontrollpunkt der pakistanischen Atomwaffen entfernt. CNN berichtete am 8. Mai unter Berufung auf eine Quelle in Pakistans Militär, dass sich auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung 125 indische und pakistanische Kampfjets eine etwa einstündige Luftschlacht geliefert hätten.

Beide Seiten dürften nun keine Zeit verlieren, um »den Punkt der größten Instabilität in Südasien anzusprechen: das ungelöste Kaschmirproblem«, forderte Dawn in einem Kommentar. Ähnlich äußerte sich am Dienstag Pakistans Außenminister Ishaq Dar. Indien hatte mit seiner ersten Angriffswelle nach eigener Darstellung auf neun »Terrortrainingscamps« innerhalb Pakistans und im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs gezielt. Auslöser war der terroristische Anschlag auf eine Touristengruppe im indisch-kaschmirischen Pahalgam am 22. April mit 26 Toten. Der Streit um die Zugehörigkeit des ehemaligen Fürstentums am Südrand des Himalaja zwischen Indien, Pakistan und China läuft schon seit beinahe 80 Jahren und ist überaus komplex. Indien hatte nach dem Anschlag in Pahalgam auch das Wasserabkommen von 1960 um den Indus, den längsten Fluss des Subkontinents, ausgesetzt. Solange die Kaschmirfrage nicht bald in Gesprächen erfolgreich geklärt werde, könne sie den Waffenstillstand gefährden, warnte Dar.

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