»Die Ukraine erkennt dieses Recht nicht an«
Interview: Gitta Düperthal
Weltweit nehmen Antimilitaristen den 15. Mai als Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung zum Anlass, um über dieses Grundrecht aufzuklären. Welches Ziel verfolgt die ab diesem Donnerstag laufende Aktionswoche?
Wir erleben, wie in Deutschland die Fähigkeit, Kriege führen zu können, wiederhergestellt werden soll. Der Etat für Militär und Rüstung wird erhöht und mit Krediten finanziert. Aus Protest dagegen wird es weltweit Aktionen geben: 40 davon unter anderem in Südkorea, Kolumbien, England, der Türkei und Deutschland. Die Idee des Aktionstags am 15. Mai entstand vor 40 Jahren. Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht, das eingehalten werden muss.
Welche bedeutende Aktion wird es in der BRD geben?
Am Sonnabend wird die »Lebenslaute« ein zentrales Konzert für die unbekannten Deserteure und Deserteurinnen vor dem Brandenburger Tor in Berlin geben. Für sie werden wir 200 Stühle aufstellen. Da sie meist strafrechtlich verfolgt sind, werden sie nicht kommen können. In Kriegen nimmt man ihnen das Recht, zu sagen, dass sie daran nicht teilnehmen wollen.
Ein Krieg, den die Bundesregierung – alte wie neue – mit Waffen versorgt, ist der in der Ukraine. Wie ergeht es Deserteuren von dort sowie aus Russland?
Die Situation ist unterschiedlich. Ukrainer, die sich dem Kriegsdienst entziehen, oder auch Deserteure von dort, erhalten befristet humanitären Aufenthalt. Das gilt bis März 2026, danach ist die Lage ungeklärt. Für die russischen Verweigerer sieht es schlechter aus. Sind sie nachweislich aus dem Militär desertiert, werden sie als Flüchtling anerkannt. Wer aber frühzeitig begriffen hat, dass ihm die Einberufung drohen könnte, und flieht, hat kaum Chancen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge argumentiert, eine Rekrutierung für den Ukraine-Krieg sei nicht »beachtlich wahrscheinlich«. Dem widersprechen russische Antikriegsorganisationen.
Welche Zahlen sind Ihnen dazu bekannt?
Seit Februar 2022 haben etwa 5.400 russische Männer im Alter zwischen 18 und 45 Jahren in Deutschland Asylanträge gestellt. Nur ein Bruchteil wurde anerkannt. Dabei müsste, wer sich einem völkerrechtswidrigen Kriegseinsatz entzieht, Schutz vor möglicher Verfolgung erhalten. Es ist unverantwortlich, wenn deutsche Behörden Menschen, die nicht mitmachen wollen, den Kriegsherren ausliefern.
Ukrainer zwischen dem 18. und 60. Lebensjahr dürfen ihr Land nicht verlassen.
Richtig, für sie sind die Grenzen geschlossen. Militärs greifen Männer sogar auf der Straße ab. Wir erhalten viele Anfragen von Ukrainern, die weder im Krieg ihr Leben riskieren, noch auf andere schießen wollen: »Wie komme ich bloß aus dem Land heraus?« Es gab Versuche, über die grüne Grenze zu fliehen, oder mittels Bestechung: Um dem Militärdienst zu entfliehen, flossen hohe Geldsummen. Anderen, die sich an der Front dazu entschlossen, nachdem sie Schreckliches mitansehen mussten, droht eine Haftstrafe von drei bis fünf Jahren. Die Ukraine erkennt kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung an.
Was erwarten Sie von der Regierung unter Kanzler Friedrich Merz?
Schon im Wahlkampf erhob die CDU Forderungen zur Einführung einer »neuen Wehrpflicht« oder einer »allgemeinen Dienstpflicht«. Mit Verteidigungsminister Boris Pistorius von der SPD, der Deutschland »kriegstüchtig« machen will, ist die Erfassung aller jungen Männer und Frauen geplant, um ihre Daten verfügbar zu haben.
Was raten Sie denen?
Vor allem nicht, etwa eine Kriegsdienstverweigerung einzureichen: In Deutschland kann nur verweigern, wer zuvor die Musterung durchlaufen hat. Das kann nicht das Ziel sein.
In Umfragen wird die Reaktivierung der Wehrpflicht mehrheitlich befürwortet – von über 60jährigen. Wie erklären Sie das?
Umfragen sind Teil der Politik. Je nachdem, wie man fragt, erhält man Antworten. Wie kann man sich anmaßen, entscheiden zu wollen, ob andere ihr Leben riskieren sollen? Jüngere Menschen fragen sich zu Recht, warum sie für die Regierung den Kopf hinhalten sollen. Statt einer allgemeinen Dienstpflicht braucht es soziale Ausbildungen und angemessene Bezahlung.
Rudi Friedrich ist Geschäftsführer von Connection e. V. – Internationale Arbeit zu Kriegsdienstverweigerung und Desertion
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