Willkommen daheim: Lange Abende
Von Bernhard Spring
Kennst du diese Abende, an denen du nicht fassen kannst, wie einsam du bist? Du lebst in einer Großstadt, es wimmelt von Menschen, ein riesiger Ameisenhaufen – und niemand ruft dich an. Keiner denkt an dich und schreibt. Und das deprimiert dich so, dass du einfach nicht die Kraft hast, irgend jemanden da draußen anzurufen.
In den ersten Tagen war ziemlich viel zu tun. Da wurden Möbel aufgebaut und Umzugskartons ausgeräumt. Meine Schwester kam vorbei und versuchte, nicht ganz so traurig auszusehen. »Ich hatte dir wirklich gewünscht, dass es diesmal klappt.« Dann schob sie mit ihrer Klosterfrauenmiene ab. Und es wurde still.
Im Treppenhaus ist nie jemand unterwegs. In meinem blöden Alter bringen meine Freunde ihre kleinen Kinder ins Bett, statt mit mir drei Stunden später um die Häuser zu ziehen. Auf Tinder sind nur heiratswütige Ukrainerinnen, auf Bumble gibt es gerade niemanden in meiner Nähe (»Vielleicht änderst du deine Filter?«).
Endlich eine Kontaktanfrage: Ein dänisches Möbelhaus hat seine Werbung in meinen Briefkasten geworfen. Meine erste Post! Ich war so begeistert, dass ich quer durch die Stadt gefahren bin, nur um mir den Laden mal anzuschauen. Gekauft habe ich am Ende nichts, aber auf dem Rückweg kam ich an einem Eigenbaukombinat vorbei. Hab mich spontan angemeldet für einen Schreinerkurs. Kann ja nicht schaden. Der Markus dort wirkte jedenfalls nett. Und ein paar Tage später habe ich das Fitnessstudio um die Ecke entdeckt – und ein Probetraining gebucht. Ich will nicht zu optimistisch sein, aber die Blonde hat ganz bestimmt zu mir rüber gesehen. Und wenn sie übermorgen wieder da ist, spreche ich sie einfach mal an. Oder beim dritten Mal. Aber dann ganz bestimmt.
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