Humanität nur dem Namen nach
Von David Siegmund-Schultze
Der israelische Plan, die Kon-trolle über die Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen zu übernehmen, nimmt konkrete Formen an: Am Donnerstag veröffentlichte das regierungsnahe US-Nachrichtenportal Axios Dokumente der zu diesem Zweck gegründeten Gaza Humanitarian Foundation (GHF). In den Unterlagen, in denen sich GHF vorstellt, heißt es: »Die Umleitung von Hilfsgütern, Kampfhandlungen und der eingeschränkte Zugang haben verhindert, dass lebensrettende Hilfe die Menschen erreicht, für die sie bestimmt ist, und das Vertrauen der Geldgeber untergraben.« Davon, dass die israelische Armee seit über zwei Monaten jegliche Hilfslieferungen in den Gazastreifen blockiert und das Aushungern der Bevölkerung als Waffe einsetzt, ist in dem Dokument nichts zu finden. Statt dessen wird die Erzählung der israelischen Regierung wiederholt, die Hamas sei für den Hunger der Bevölkerung verantwortlich zu machen, weil sie Hilfslieferungen für eigene Zwecke missbraucht habe. Ein Vorwurf, den die palästinensische Organisation von sich gewiesen hat.
GHF soll Gelder für die Finanzierung des Plans einsammeln und die Ausgabe von Hilfsgütern organisieren – und damit das bisher von der UNO geleitete System humanitärer Assistenz begraben. Die Stiftung wurde im Januar in der Schweiz registriert und wird von drei Unternehmern geleitet – die keinerlei Erfahrung in der Arbeit humanitärer Organisationen aufweisen. Der am Sonntag vom sogenannten Sicherheitskabinett Israels beschlossene Plan sieht vor, dass an Ausgabestellen im Süden des Gebiets Familienvertreter Essensrationen für bis zu zwei Wochen abholen können. Private US-Militärfirmen sollen die Orte absichern.
Die bisher in dem Küstenstreifen tätigen Hilfsorganisationen lehnten das Vorhaben vehement ab. Es verstoße gegen das völkerrechtliche Prinzip, dass Hilfe von neutralen Akteuren gewährleistet werden muss. Außerdem sehe der Plan eine viel zu geringe Menge an Nahrungsrationen vor. Auf die Organisationen, die sich erklärtermaßen nicht zu Komplizen in Israels Instrumentalisierung von Hilfslieferungen machen wollen, steigt jedoch der Druck, sich an dem Plan zu beteiligen. So habe die Regierung von US-Präsident Donald Trump etwa dem Welternährungsprogramm damit gedroht, die Gelder zu streichen, wenn sie nicht kooperierten. Das berichtete die israelische Internetzeitung Times of Israel am Donnerstag unter Verweis auf Aussagen eines hochrangigen westlichen Diplomaten und eines israelischen Beamten.
Die Armee habe bereits begonnen, eine der Ausgabestellen in dem Gebiet zwischen dem Philadelphikorridor an der südlichen Grenze zu Ägypten und dem kürzlich geschaffenen Moragkorridor weiter nördlich zu errichten. Dort befand sich zuvor die Stadt Rafah, die inzwischen weitgehend zerstört ist. Um in den Bereich zu gelangen und Essensrationen zu erhalten, müssten Checkpoints der Armee passiert werden, so der Bericht von Times of Israel. Laut einem israelischen Beamten sei die Fläche groß genug, um die gesamte Bevölkerung des Gazastreifens dort anzusiedeln, auch wenn die Regierung versuche, einen großen Teil der Menschen »zu evakuieren« – also zu vertreiben.
Im Hintergrund laufen unterdessen nach Angaben von Reuters Gespräche zwischen US-amerikanischen und israelischen Regierungsvertretern über die »Nachkriegszeit«. Konkret soll eine »Übergangsverwaltung« im Gazastreifen installiert werden, unter Führung Washingtons. Sowohl die in der Enklave herrschende Hamas als auch die palästinensische Regierung in der besetzten Westbank sollen davon ausgeschlossen sein.
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