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Aus: Ausgabe vom 06.05.2025, Seite 10 / Feuilleton
Nachruf

»Wir lassen uns nicht unterkriegen«

Zum Tod von Ellen Schernikau
Von Ken Merten
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Ellen Schernikau (17.7.1936 – 29.4.2025)

Noch während unseres letzten Telefonats Mitte März wollte Ellen Schernikau nicht nichts machen: Amok wird gelaufen und gefahren, die Gelegenheit genutzt, um Abschiebung und Abschottung zu preisen. An den falschen Stellen werden Gräben geschaufelt – und dagegen müsse man etwas tun.

Leider gehört zu dieser Zeit, dass die Wirkmacht jener viel zu klein ist, die den Klassenkampf dem Kulturkampf vorziehen. Das Gespräch endete all dem zum Trotz wie jedes mit ihr: »Wir lassen uns nicht unterkriegen.«

Am 17. Juli 1936 geboren, erlebte Ellen Lea Schernikau als Kind Faschismus und Krieg. Ein antifaschistisches und antimilitaristisches Deutschland, die DDR, den Sozialismus, baute sie mit auf. »Und immer hab ich ja / Gesehn, Partei ist das, was alles macht; / Du machst hier alles, also geh doch rein«, wie es in »Irene Binz, die Frau im Kofferraum« heißt. Die Versfassung von »Irene Binz. Befragung« schuf Ellens Sohn Ronald M. Schernikau (1960–1991) als eine Einlage seines Hauptwerks »Legende«. Irene Binz, das ist eine Figur Ronald M. Schernikaus; eine, mit der er seine Mutter als Literatur verewigte.

Ellen Schernikau lernte Krankenpflegerin. 1960 kam Ronald in Magdeburg zur Welt – ein nichteheliches Kind, nur von der Mutter großgezogen. Das widersprach dem alten Sittenbild, das in der DDR überwunden war. Trotzdem schmerzte es Ellen, dass der zwielichtigen Geschäften nachgehende Kindsvater rübermachte. SED-Mitglied Ellen folgte ihm 1966 mit Ronald – aus Liebe.

»Die Frau im Kofferraum« widersprach zeitlebens allen, die behaupteten, sie sei geflohen: »Ich bin privat hier.« In der BRD hatte Ronalds Vater jedoch nicht nur eine neue Familie gegründet, er war auch nicht mehr nur Antikommunist, sondern – die Wirklichkeit kennt kein Maß – gleich Nazi geworden. Im kleinen Lehrte bei Hannover arbeitete Ellen als Lehrschwester, war weiter alleinerziehend, in Westdeutschland etwas Unerhörtes, das auf kapitalistische Weise bestraft wurde: »Und dann hab ich im Krankenhaus geklaut / Was nur zu klauen ging. Vierhundert Mark / Hab ich verdient, zweihundertfünfzig Miete, / Dann Licht und was zum Anziehn, was zu Essen, / Wir haben manche Woche von fünf Mark / Gelebt. Es ging.«

Es ging mit Überzeugung: Ronald selbst wurde Kommunist, organisierte sich in SDAJ und DKP, später, nach seinem Umzug nach Westberlin, in der SEW. 1980 gelang ihm mit der »Kleinstadtnovelle« ein gefeiertes Debüt. Von 1986 bis 1989 studierte er am Leipziger Johannes-R.-Becher-Institut und wurde kurz vor der Konterrevolution wieder Staatsbürger der DDR. 1991 starb er an Aids.

Die harten Schläge hauten Ellen nicht um. Weder wurde sie teilnahmslos, noch ließ sie von ihrer kommunistischen Überzeugung ab. Auch sie kehrte kurz vor dem Ende der DDR zurück, bezog eine Wohnung nahe der Uniklinik im Magdeburger Stadtteil Leipziger Straße.

Es gibt sie ja, die Berufsverwandten. Jene, die ihren Nachnamen herumzeigen und auf eigene Leistung verzichten. Wenn Ellen auftrat und aus Ronalds Büchern las, dann nicht als Sprechpuppe. Als starke Frau und Genossin zeigte sie stets ihre Haltung, ob zur Gegenwart oder mit Rückblick auf Errungenschaften, die andere in antikommunistischer Wut mit dem eigenen Dreck bewarfen. Ellen Schernikau war zeitlebens ein Ellen-Schernikau-großer Teil der DDR, der diese überdauerte. Wer es ehrlich meinte mit dem Aufbau einer besseren Welt, dem verzieh sie Fehler, über die sie nicht hinwegsah. Was man liebt, das lobt und das kritisiert man.

Noch für die »Friedenstage« der Wochenzeitung Unsere Zeit kam sie vergangenen August nach Berlin und sprach am Mehring-Platz in einem Raum voll junger Kommunistinnen und Kommunisten. Ob im Zwiegespräch, vor zwei oder vor Hunderten Leuten, in Schulen oder auf dem »Festival der Jugend« der SDAJ, Ellen vermittelte, auch in trüben Zeiten, stets eine Zukunftszugewandtheit, die erahnen ließ, von wem Ronald für seinen klassischen Zugriff auf Literatur und Politik geprägt wurde. Eine von Ellens liebsten Stellen aus der »Legende«: »wir alle vergleichen ja nun ständig die wirklichkeit mit unserem ideal von ihr. bei den meisten menschen allerdings siegt merkwürdigerweise die wirklichkeit.«

Bis zuletzt lebte sie in jener Wohnung in der Bernhard-Kellermann-Straße, die ihr nach Rückkehr in die DDR zugeteilt worden war, oft besucht von ihrem langjährigen Lebensgefährten Peter Greb. Ellen Schernikau ist dort am 29. April gestorben.

»Und an den Himmel malt ein Flugzeug an: / Machs gut, Irene Binz, machs gut, für immer.«

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