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30.04.2025, 18:29:05 / Kapital & Arbeit
Maidemo in Berlin

Der rote Faden

DGB Berlin-Brandenburg legt zum Maifeiertag Fokus auf Arbeits- und Lebensbedingungen. Funktionäre betonen bei politischen Themen »Demokonsens«
Von Susanne Knütter, Berlin
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Die Berliner Maidemonstration des DGB im vergangenen Jahr auf der Karl-Marx-Allee

Nachdem der DGB mit seiner »Erklärung zu den Ostermärschen 2025« in der Friedensbewegung für betretene Blicke gesorgt hat, möchte er das Thema Krieg und Frieden auf seinen Kundgebungen am 1. Mai am liebsten draußenhalten. Unter dem Titel »Mach dich stark mit uns!« stellt der diesjährige Aufruf des gewerkschaftlichen Dachverbands Themen wie faire Löhne, Tarifbindung und Arbeitszeiten sowie einen starken Sozialstaat und gerechte Steuern in den Mittelpunkt - Bereiche, in denen tatsächlich Auseinandersetzungen anstehen. Am Mittwoch forderte der Chef des kapitalnahen Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, eine Debatte um längere Arbeitszeiten über 67 hinaus. Auf »flexiblere« Arbeitszeiten haben sich die Koalitionäre auf Bundesebene bereits geeinigt. Darüber hinaus auf schärfere Regeln für Bürgergeldbezieher. Eine Debatte um die Erhöhung des Mindestlohns wurde kurz Zeit auch auf der politischen Bühne ausgetragen. Aktuell wird die Forderung nach 15 Euro Mindestlohn aber wieder Sozialverbänden und Gewerkschaften überlassen.

Wie die Situation in Berlin und Brandenburg ist, darüber informierten die DGB-Gewerkschaften aus dem Bezirk am Mittwoch in Berlin. Die Tarifbindung in den beiden Bundesländern liegt bei gerade einmal 43 Prozent. Im Hotel- und Gaststättenbereich liegt sie sogar nur bei zehn Prozent. Stellenstreichungen und Betriebsschließungen in der Industrie sind allgegenwärtig. Konkret wurde wurde Sefanie Albrecht Suljak für den Tarifbereich der IG BCE: nach drei Jahren Gas-Embargo sei die Zukunft von PCK Schwedt nach wie vor unsicher. Beim Papier- und Verpackungshersteller Leipa in Schwedt sind 100 Stellen bedroht. Ardagh Glas schließt sein Werk mit gut 160 Beschäftigten in Drebkau. Indurama will die Faserproduktion in Guben schließen – das betrifft über 200 Beschäftigte. Der Reifenhersteller Goodyear schließt sein Werk in Fürstenwalde. Der Abbau der 750 Stellen hat bereits begonnen. LEAG in der Lausitz baut um und ab, die Beschäftigten von BASF in Schwarzheide bangen angesichts des allgemeinen Sparprogramms des Konzerns. Es ist eine unvollständige Liste.

Nikolaus Landgraf von der IG BAU wies auf das drängendste Problem in der Hauptstadt hin: 55.000 bezahlbare und Sozialwohnungen fehlten. Das seien zehn Prozent aller fehlenden Wohnungen bundesweit. Landgraf machte deutlich: »Kein Wachstum ohne Wachstum.« Das heißt, werde der Wohnungsmangel nicht behoben, könne auch der allseits beklagte Fachkräftemangel nicht behoben werden.

Der Kovorsitzende der GEW Berlin, Gökhan Akgün, wies auf die enorme Arbeitsbelastung von Erzierhern und Lehrern hin und kritisierte die Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch für ihre Äußerungen über eine angebliche Gratismentalität. Die CDU-Politikerin hatte in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel gefordert, die knappen Steuergelder besser in die Qualität der Bildung als Schulessen zu stecken. Berlin hätte kein Finanzierungsproblem, wenn der Senat für gerechte Einnahmen sorgen würde, so Akgün. Zuvor hatte die Vorsitzende des DGB-Bezirks Berlin Brandenburg, Katja Karger, eine Studie zu Steuerhinterziehung angekündigt, die Mitte Mai erscheinen soll. Verdi-Landesbezirksleiterin Andrea Kühnemann hob den Dauerstreik der CFM-Beschäftigten für eine gerechte Bezahlung nach TVÖD hervor, den schwelenden Kampf der Erzieher der Kita-Eigenbetriebe für Entlastung und Qualität und das Sparprogramm beim RBB hervor. Alexander Caesar von der EVG warnte vor der Zerstückelung des S-Bahn-Betriebs und forderte dringende Investitionen in den ÖPNV. Kurzum: »Gute Arbeit, stabile Wirtschaft, soziale Sicherheit – für diesen Dreiklang machen wir uns gemeinsam stark, er bestimmt unsere Themen am diesjährigen ersten Mai und darüber hinaus«, heißt es in einer gemeinsamen Resolution der Gewerkschaften aus Berlin und Brandenburg.

Angesichts von Massenentlassungen, Betriebsschließungen und der Tatsache, dass Rüstungsunternehmen auf Wachstumskurs sind, war ein Teil der Pressevertreter dann doch an den Positionen der Gewerkschaften zum Thema Krieg und Frieden interessiert. Markus Sievers von der IG Metall machte deutlich: »Als IG Metall wünschen wir uns natürlich weltweit eine Abrüstung. Aber wir sehen, dass die Welt eine andere ist, dass ein erhöhter Verteidigungsbedarf besteht.« Er erwähnte den Krieg in der Ukraine und ergänzte: »Wir sehen auch, dass die Amerikaner sich zurückziehen aus der NATO, wir wissen nicht, was Trump weiter macht. Für uns ist klar, wenn die Rüstungsgüter mit Steuergeldern produziert werden, sollen sie hier produziert werden.« Wenn es andere Lösungen gebe, »sind wir dafür offen. Aber im Moment stellt sich das so nicht dar.« Mit Blick auf Alstom in Görlitz könne gesagt werden, »die Beschäftigten sind froh, ihren Arbeitsplatz zu behalten«.

Innerhalb der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi wird das Thema kontroverser diskutiert. Andrea Kühnemann kritisierte die Erhöhung des Militäretats und den Abbau in anderen, sozialen Bereichen. Karger spezifizierte auf jW-Nachfrage: »Wir werden nicht hinnehmen, dass, was woanders an Investitionen getätigt wird, ausgerechnet bei der Daseinvorsorge abgezwackt wird.« Man brauche »Investitionen in Industrie, Infrastruktur, Verkehrsmittel, Mobilität, aber auch gleichwertig in die Daseinsvorsorge, Gesundheit, Bildung, Schulen, Universitäten, Verkehrssysteme.« Der DGB kritisiere, dass keine Erbschafts- und Vermögenssteuer geplant ist. Steuerhinterziehung sei weiterhin vernachlässigt.

Angesprochen auf die Auseinandersetzungen von Ordnern mit palästinasolidarischen und internationalistischen Gewerkschaftern im vergangenen und mögliche neue Konflikte in diesem Jahr betonte Karger, dass es am 1. Mai bei der Demo in Berlin »um die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten in Berlin und Brandenburg« gehe. Das sei »der rote Faden«. Abgesehen davon gebe es einen Demokonsens, der mit allen Teilnehmern abgestimmt und von diesen akzeptiert sei. Wer diesen Konsens breche, werde »gebeten, an der Demonstration nicht teilzunehmen«. Die Solidarität gelte den Beschäftigten »in Israel und in Palästina und im Gazastreifen«. Auf die Frage, wer entscheide, ob der Konsens gebrochen worde, erklärte Karger, man verlasse sich auf die Ordner. Und auf die Polizei, ergänzte Kühnemann.

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