»Telebrücke« mit Hintergedanken
Von Horst Ollesch
Heute ist so etwas nur schwer vorstellbar: Am 5. Oktober 1987 veranstaltete das ZDF mit dem erklärten Zweck, eine »Verständigung« zwischen der Bundesrepublik und der seit zwei Jahren von Michail Gorbatschow geführten UdSSR zu fördern, eine »Telebrücke« zwischen Mainz und Leningrad. Jeweils 150 Menschen aus der Bundesrepublik Deutschland und aus der UdSSR diskutierten, simultan gedolmetscht, von den jeweiligen Studios aus frei miteinander. Die Sendung lief zur besten Sendezeit im Abendprogramm. Anschließend wurde der sowjetische Film »Die Reue« gezeigt (wenige Wochen später unterzog ihn der damalige Chefredakteur Hans-Dieter Schütt in Junge Welt einer scharfen Kritik).
Siegfried Prokop ruft dieses Medienereignis und die Hintergründe in der aktuellen Ausgabe der Mitteilungen des Förderkreises »Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung« in Erinnerung. Als Dokument ist eine Mitteilung von Egon Krenz an Erich Honecker vom 13. Oktober 1987 beigefügt. Beachtenswert ist insbesondere, dass in der SED-Spitze Unruhe aufkam, weil sich ein Leningrader Ingenieur für die Vereinigung der beiden deutschen Staaten aussprach. KPdSU-Generalsekretär Gorbatschow gab sich im Gespräch mit Erich Honecker verstimmt über diese Aussagen. Aber das war wohl schon zu diesem Zeitpunkt nur gespielt. Prokop weist darauf hin, dass sich Gorbatschow bereits Ostern 1987, als in Moskau eine Filiale der Deutschen Bank eröffnet wurde, gegenüber deren Vorstandssprecher Friedrich Wilhelm Christians – der galt in bezug auf Osteuropa als »heimlicher Außenminister« der Bundesrepublik – offen für ein Ausscheiden der DDR aus dem sowjetischen Einflussbereich gezeigt hatte.
Wie stets bilden Beiträge zu Archiven, Bibliotheken und Gedenkorten der Arbeiterbewegung den Kern der Mitteilungen. Claudia Gohde und Holger Czitrich-Stahl weisen auf Veränderungen in der Organisationsstruktur des Bundesarchivs hin, die die Stiftung Archive der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO) betreffen. Christian Koller stellt die Sammlung »Gretlers Panoptikum« im Schweizerischen Sozialarchiv in Zürich vor, die Fotos und Dokumente zu den sozialen Kämpfen in der Alpenrepublik umfasst. Die »Darmstädter Geschichtswerkstatt« berichtet über ihre vielfältigen Aktivitäten (Kirsti Ohr/Bernhard Schütz) und Michael Klein befasst sich mit der Zeitschrift Exil. An die Kommunistin und Schriftstellerin Trude Richter, die im Moskauer Exil 1936 verhaftet und nach Sibirien verbracht wurde, erinnert Helmuth Markow.
Klaus Leesch hat zum Leben und Werk Eduard Bernsteins promoviert und eine zweibändige Biographie veröffentlicht. Sein Vortrag darüber bei der SAPMO ist im aktuellen Heft zu lesen, die Biographie wird im Rezensionsteil von Holger Czitrich-Stahl besprochen. Gisela Notz erinnert mit einem längeren Beitrag an die Sozialdemokratin Annedore Leber. Ebenfalls dokumentiert wird der Geschäftsbericht des Vereins, dessen Mitgliederversammlung im April stattfand. Dort wurde auch das Leben und Werk des langjährigen Vereinsvorsitzenden und bedeutenden Historikers Günter Benser gewürdigt, der am 27. März 2025 94jährig verstorben ist.
Mitteilungen des Förderkreises Archive und Bibliotheken zur Geschichte der Arbeiterbewegung, Nr. 67, 104 Seiten, 3 Euro (zzgl. Versandgebühr), Bezug: gruenewk@riseup.net
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