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Aus: Ausgabe vom 30.04.2025, Seite 12 / Thema
Dokumentarfilm

Entlarven, ohne zu mystifizieren

Michail Romms Film »Der gewöhnliche Faschismus« ist auch nach sechzig Jahren noch sehenswert und erkenntnisfördernd
Von Gerhard Hanloser
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Alle machen mit: Michail Romm weist darauf hin, wie in den Massenevents der Nazis die Individualität der Teilnehmer ausgelöscht wird (Berliner Olympiastadion, 1936)

Michail Romms Montagefilm »Der gewöhnliche Faschismus« aus dem Jahr 1965 ist bis heute aktuell geblieben. Das essayistische Werk über den deutschen Faschismus konzipierte Romm gemeinsam mit Maja Turowskaja und Juri Chanjutin, die dafür zwei Millionen Meter Film aus den Wochenschauen der Nazis und aus Dokumentarfilmen auswerteten. Sie sichteten Fotografien von Hitlers Leibfotografen Heinrich Hoffmann bis hin zu jenen Schnappschüssen der Täter an der Ostfront, die erst später während der Wehrmachtsausstellung ab 1995 einem größeren Publikum bekanntgeworden sind. Dazu kamen Film- und Fotodokumente aus Archiven und Sammlungen in der UdSSR, in Polen und der DDR. Der Vorspann der Originalfassung listet eine Vielzahl historischer Quellen auf, aus denen Romm, Turowskaja und Chanjutin schöpften.

Besonders durch den eindrucksvollen Kommentar Romms stellt sich der Film als kongeniale Analyse des deutschen Faschismus dar, die zugleich grundsätzliche Fragen nach den Mechanismen von Macht, Gewalt und Ideologie aufwirft. So gelingt es dem Dokumentarfilm, die Monstrosität des Nazisystems zu entlarven, ohne es zu mystifizieren. Romm selbst formulierte sein Ziel als Warnung: Der Faschismus ist ihm keine historische Abstraktion, sondern eine immerwährende Bedrohung. Indem er die vermeintliche »Normalität« der faschistischen Ideologie und ihrer Umsetzung betont, macht er deutlich, dass der Faschismus keine Anomalie darstellt, sondern gesellschaftlichen und psychologischen Dynamiken entspringt, die zuweilen kurios erscheinen.

Gleichzeitig verdeutlicht »Der gewöhnliche Faschismus«, dass eine marxistische Faschismusanalyse auch die Alltagspraxis dieses Herrschaftssystems erklären muss. Interessenlagen des Kapitals allein erklären schließlich noch nicht konkrete gesellschaftliche Prozesse. Wie organisiert der Faschismus Gefolgschaft? Wie wirkt er konkret im Alltag? Warum wirkte er? Wie konnte er mit seinen zuweilen verrückten Formen eine solche Anhängerschaft erzielen? Mit diesen schlichten Fragestellungen hat Romm den Rahmen der marxistischen Faschismusanalyse entscheidend erweitert.

Tiefenanalyse

Das Pathologische war im Faschismus gewöhnlich, das Absurde normal. Der Zweistundenfilm präsentiert immer wieder Menschen in Uniform. Zivil ist suspendiert. In der Schule übt man die ersten schriftlichen Worte: »Heil Hitler«. Man lernt, strammzustehen. Die Fibel bietet zum 20. April ein Gedicht auf den Führer, die Schüler werden jedes seiner Worte in sich aufsaugen. Sie werden zu einem Ornament der Masse formiert und schreiben im Olympiastadion mit ihren Körpern: »Wir gehören dir!« Diese Szenen zeigen die akribisch choreographierten Rituale des Regimes, bei denen Tausende von Menschen in perfekter Synchronität marschieren, Fahnen schwenken und symbolische Formationen bilden. Romm kommentiert diese Bilder mit einer Mischung aus Ironie und Unbehagen. Der Kommentar – im Original von Romm selbst gesprochen – wurde für die DDR-Fassung von dem Schauspieler Martin Flörchinger, in der BRD-Fassung von Martin Held eingesprochen. Die Kommentierung hebt hervor, wie diese Massenevents die Individualität der Teilnehmer auslöschen und sie in ein Kollektiv verwandeln, das bereit ist, blind zu folgen.

Romm zeigt die Propagandabilder der Wochenschauaufnahmen und worauf alles hinausläuft: »Die Menschen verzichten freiwillig auf das Recht und die Pflicht eines jeden Menschen: auf das Recht und die Pflicht zu denken.« Wer eben noch Schüler war, soll mit Hitlers Namen auf den Lippen töten. Die ästhetische Dimension des Faschismus trägt zur Manipulation der Massen bei. Die ästhetische Inszenierung des Regimes – von Leni Riefenstahls Filmen bis hin zu den Nürnberger Parteitagen – macht die Ideologie verlockend und normalisiert die Gewalt. Durch die Betonung von Ordnung, Disziplin und »Größe« wird eine vermeintlich übermenschliche Macht des Regimes inszeniert, die Ehrfurcht und Unterwerfung erzeugt. Der Kulturkritiker Walter Benjamin hatte in seinem Essay »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« in ähnlicher Weise die »Ästhetisierung der Politik« als zentrales Merkmal des Faschismus beschrieben.

An diesen Stellen des Films ist der Kommentar nüchtern und lakonisch, gleichzeitig eindringlich und von einer Grunderschütterung getragen. An anderer Stelle wird Romm ironisch und verfällt in einen sarkastischen Tonfall. Die Idiotie der Rassentheorie wird mit der Unterscheidung »edler und unedler Schädel« auf die Spitze getrieben. Karl Korn hatte 1968 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in einer ansonsten dürftigen Besprechung Romms Kommentare voller sublimen Spotts als »Sehhilfen« etikettiert. Das war klug erkannt und formuliert. Beim Spatenstich einer der vielen nach Osten führenden Reichsautobahnen wird ein unbedeutender Nazi-»Volksgenosse« in den Blick genommen. Mit grinsender Miene bewegt dieser sich hinter dem Arbeit simulierenden Führer in begeistert wiegenden Bewegungen hin und her. Es ist ein Bild grausam einfältiger Affirmation und Identifikation mit der Macht. Romm begnügt sich auf wenige, diese Bewegungen unterstreichende Worte, er hält den Film an, bedient sich der Verfremdungstechnik, indem er diese Sequenz wiederholt. Das Dokumentarmaterial entlarvte sich selbst. »Heute kann man nur lachen, wenn man sich das Material ansieht, das die Kameraleute des Dritten Reichs mit der Absicht aufnahmen, den Hitlerismus zu glorifizieren«, so Romm in einem Gespräch über seine Arbeit.

Ein besonderer Abschnitt des Filmes, der den Führerkult verdeutlicht, stützt sich auf sogenannte Kulturfilme, die neben den Wochenschauen dankbares Material lieferten. Einer dieser Propagandafilme hieß »Das Buch der Deutschen« und zeigte, wie 1939 ein riesiges unikales Exemplar von »Mein Kampf« angefertigt wurde. Die Einbandplatten waren Bleche aus einem besonderen rostfreien, schwer zu schmelzenden Stahl, die Seiten bestanden aus Pergament, dem Fell von Kälbern »bester deutscher Rasse«, wie Romm kommentiert. Für tausend Jahre sollte das Buch in einen Sarkophag eingeschlossen sein, so lange wie das »Dritte Reich« Adolf Hitlers dauern wollte. Man sieht Bergleute im deutschen Schacht, Lithographen mit Spezialtusche und Landwirte beim Gerben. Die wahnwitzige Kombination von Archaik, dem Illusionären der Ideologie »deutscher Arbeit«, Nazigrößenwahn und Führerkult wurde nie besser in Szene gesetzt.

Ausflug ins Ghetto

Weitere bemerkenswerte Episoden zeigen private Fotografien von Nazitätern und deren Familien. Diese Bilder wirken auf den ersten Blick banal: lachende Menschen, Picknicks, Urlaubsszenen. Die Freizeit im Faschismus rückt ins Bild: gemeinsamer Eintopf beim Winterhilfswerk und organisierte Fahrten der Deutschen Arbeitsfront. Doch auch hier sind Vernichtung und Erbauung miteinander verwoben. Für die deutschen Besatzer wird Europas größtes Ghetto zu einer Touristenattraktion. Die Naziorganisation »Kraft durch Freude« bietet Bustouren im Warschauer Ghetto an. Romm kommentiert: »Dies sind Amateurbilder, die bei der Entwicklung des Films beschädigt wurden. Wer hat sie aufgenommen? Welche Kraft und welche Freude konnte der Besuch dieses Ghettos bereiten?« Die Täter und Mitläufer sind keine monströsen Gestalten, sondern oft Menschen mit einem scheinbar »normalen« Leben. Diese Abschnitte des Films wirken, als wäre »Der gewöhnliche Faschismus« eine filmische Umsetzung von Hannah Arendts Bemerkung über die »Banalität des Bösen«.

»Der gewöhnliche Faschismus« hat unverwechselbar komische Züge, wenn er das Psychopathologische des Nazismus und Faschismus an seinen Führern zeigt. Ist für Mussolini der nach vorne geschobene Kiefer paradigmatisch, eine Geste, die bereits die stumpfe Brutalität des »Duce« anzeigt, so präsentiert Fotomaterial aus dem Hoffmann-Archiv, wie Hitler und – ihm nachfolgend – seine Getreuen ihre Hände nicht wie Napoleon vor der Brust kreuzen, sondern vor ihr Geschlecht hielten. Die Regisseurin und Filmwissenschaftlerin Maja Turowskaja kommentierte rückblickend: »Nicht nur die allmähliche Zunahme von Führern auf den Fotografien war frappierend komisch, in dieser Bagatelle zeigte sich auch eine latente Symbolik. Diese lässt sich auf der Alltagsebene bezeichnen als in der Montage sichtbar gewordene Mimesis der Kriecherei; freudianisch als allgemeine infantile Kastrationsangst; soziologisch als personifizierte Trivialität des Bösen – nicht zufällig nahm Chaplin gerade diese Geste auf und parodierte sie.«

Auch wenn der Film versucht, den Faschismus in seiner psychologischen Dimension zu untersuchen, so büßt er dadurch doch nichts an analytischer und materialistischer Schärfe ein. Romm kontrastiert Positionen der NSDAP in ihrer Bewegungszeit, als die Nazis versprachen, das Großkapital in seine Schranken zu weisen, mit der »echten Einigkeit« der »Volksgemeinschaft«, dem Gleichschritt von Göring und Krupp. Man sieht die gesamte Führungsspitze der Nazipartei beim Firmenjubiläum des Rüstungskonzerns. Der »König der Kanonen, der König der Panzer, der König von allem, was tötet«, beendet seine Rede mit erhobenem rechtem Arm und einem »Heil Hitler!«. So demonstriert der Nazismus sein wahres ökonomisches Programm. »Der gewöhnliche Faschismus« macht eindrucksvoll darauf aufmerksam, dass der Nazismus für die Erreichung seiner Ziele, »die Beseitigung des Krebsschadens der Demokratie« und »die Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stiel«, Krieg im Inneren führen muss. Und er macht deutlich, dass der Krieg nach außen ein Weltanschauungs- und Weltherrschaftskrieg ist, mit dem Ziel der »Eroberung neuen Lebensraums im Osten und dessen rücksichtsloser Germanisierung«.

Das elfte Kapitel des Filmes ist mit »Doch es gab auch ein anderes Deutschland« überschrieben und zeigt die kommunistischen und antifaschistischen Gegenkräfte. Rotfrontkämpfer mit erhobener Faust sind zu sehen, sie marschieren in den späten 1920ern und frühen 1930ern durch Berlin. Romm kommentiert: »Die ›Rote Front‹ war bereits verboten. Auf die Straße zu gehen war gefährlich. Wo seid ihr jetzt? Ihr werden in Spanien kämpfen, bei Verhören schweigen, in den Todeslagern den Untergrund organisieren.«

Schnitte und Ausschnitte

Die Montage spielt eine zentrale Rolle. Geschichte wird nicht linear erzählt, sondern als Konstellation von Momenten gezeigt, die sich gegenseitig beleuchten und durchdringen. Die Montage verknüpft scheinbar triviale Szenen, lachende Familien oder festliche Aufmärsche, mit den barbarischen Verbrechen der Nazis. So dekonstruiert der Film die Mechanismen der Propaganda und zeigt, wie die Normalität des Alltags mit der Brutalität des Regimes verbunden war. Die Montagetechnik kontrastiert allerdings auch die Jetztzeit mit dem Faschismus. So hält bereits der Anfang des Filmes eine Schockwirkung bereit: In langen Einstellungen sehen wir Moskauer Paare und Familien in typischer Interaktion. Es sind die 1960er Jahre. Eine Mutter hält ein Kind auf dem Arm. Schnitt. Der Zuschauer wird mit dem ikonischen Bild der Erschießung von Juden durch Einsatzgruppen nahe Iwangorod in der Ukraine konfrontiert. Dem folgt eine Bilderserie von Leichen der Vernichtungslager. Stacheldraht. Bilder von Konzentrationslagern. Ein Pfosten, in den geritzt steht: »Deutschland über alles«. Die Baracken und Verbrennungsöfen kommen ins Bild.

Romms lakonischer Kommentar verknüpft Reflexion auf Erinnerungskultur mit der Konkretion des Schreckens in einer Art und Weise, die kongenial ist: »In Europa gibt es jetzt neue Museen, Museen, die sich an der Stelle ehemaliger Konzentrationslager befinden. Die Holzbaracken sind schon längst abgebrannt. Die Steinbaracken sind dagegen erhalten geblieben und von Unkraut und Feldblumen überwachsen. Der Geruch menschlicher Leiber in ihnen ist längst verflogen. Die Öfen des Krematoriums sind längst erkaltet. Tagsüber kommen Touristen hierher, und ihre Füße betreten die Erde, die von Millionen von zum Tode Verurteilten festgestampft wurde. Morgens wischt man den Staub von den Exponaten. Man putzt das Glas, hinter dem Tonnen von Frauenhaaren, Haufen von Prothesen und Tausende Nachttöpfe von Kindern liegen. Die Mütter, die mit ihren Kindern hierherkamen, dachten, man würde sie am Leben lassen.«

1966 hatte sich der Religionswissenschaftler Jochanan Bloch bei einer Aufführung des Filmes zu Wort gemeldet und bemerkt, dass er den Film außergewöhnlich finde, aber eines auffallend sei: Im gesamten Film fiele nicht einmal das Wort »Jude«. Die Menschen, die gezeigt werden, als Opfer, als Gefolterte, als Tote, würden stets »Sowjetbürger« genannt, doch sie seien doch als Juden verfolgt und ermordet worden. Romm zeigte sich angesichts dieser Kritik tief getroffen und erschüttert. Seine spontane Reaktion war: »Ich bin Jude, so etwas dürfen Sie mir nicht sagen«, später habe er sogar geweint und mit ungeheurer Bitterkeit erklärt, dass die Bedingung, unter der er diesen Film machen durfte, lautete, dass das Wort »Jude« nicht fallen dürfe.

Gelobt – verbannt

Romms antifaschistischer Montagefilm war ein »Tauwetter«-Erzeugnis. Und er nahm Techniken des frühen revolutionären Kinos wieder auf, die durch den monumentalen Gestus des sozialistischen Realismus ab Anfang der 1930er Jahre in der Sowjetunion verdrängt wurde. So schlagen die Passagen über Nazikunst einen ironischen Ton an, der auch die gigantomanische Sowjetkunst unter Stalin treffen könnte. Romm und seine Mitstreiter hatten mit dieser Monumentalität nichts am Hut. Romm gehörte zu jener Generation von Regisseuren, die in den 1960er Jahren das sowjetische Kino erneuerten. Nicht Plansequenzen, also sehr lange Einstellungen ohne Schnitt, prägten das neue Kino, sondern die Montagetechnik mit ihren schnellen Schnitten, mit der Sergej Eisenstein in den 1920er Jahren das Kino revolutioniert hatte.

Allein in den Kinos der Sowjetunion – ins Fernsehen kam er mit zeitlicher Verspätung – sahen 20 Millionen Zuschauer den Film bereits im ersten Jahr seiner Zulassung. Bald verschwand er aus dem Verleih, wenngleich es seltene Ausnahmen gab. Der Film sollte auch in der DDR gezeigt werden, sogar früher als in der Sowjetunion. Vom 17. Juni 1965 ist ein Brief datiert, den der Leiter der wissenschaftlichen Abteilung des staatlichen Filmarchivs an den »Genossen Romm« formulierte und darin nachfragte, ob der Film rechtzeitig fertiggestellt sei für das Dokumentarfilmfestival in Leipzig über »Internationale Dokumentarfilme über den Kampf gegen den Faschismus«. Romm hatte sich über seinen politischen Konsultanten Ernst Henri an die »Andropow-Jungs« gewandt, eine Gruppe von Intellektuellen im ZK, zu der Juri Andropow, Alexander Bowin, Georgi Arbatow und Georgi Schachnasarow zählten. In einem kleinen Kinosaal in Moskau wurde die erste Vorführung des Filmes anberaumt. Alle Anwesenden zeigten sich begeistert von dem Film. Hier sollen sogar die Worte gefallen sein, man müsse eine Fortsetzung des Filmes drehen unter dem Titel »Der gewöhnliche Stalinismus«. Am 15. Oktober 1965 erhielt der Film nach einigen Auseinandersetzungen zwischen Fürsprechern und Gegnern die Genehmigung Nr. 334/65 und damit die Starterlaubnis für Leipzig. In der Sowjetunion kam der Film erst im März 1966 in den Verleih.

Konrad Wolf, der Absolvent der Moskauer Filmhochschule und einer der vielen Schüler Romms war, zeigte als Präsident der Akademie der Künste der DDR den Film Walter Ulbricht. Über dessen Reaktion liegen keine Berichte vor. Am 13. November eröffnete »Der gewöhnliche Faschismus« das Festival feierlich. Von sowjetischer Seite gab es offensichtlich einen anderen Favoriten: Roman Karmens Film »Der Große Vaterländische Krieg«. Schließlich erhielten beide Filme Ehrungen und Preise. Romms Film aber bekam die höchste Auszeichnung, die »Goldene Taube« für Langmetragefilme.

Hinter den Kulissen wurde allerdings schon zu dieser Zeit über die vermeintliche Absicht Romms gesprochen, mit seinem Streifen »Parallelen zur gegenwärtigen Politik von Staat und Partei« zu ziehen. Bereits in einem Dokument vom 11. Mai 1967 wurde der Film wieder aus dem Einsatz genommen. Dem Staatlichen Filmarchiv der DDR seien zwei Filmkopien zu übergeben, deren Einsatz nur mit Zustimmung der Hauptverwaltung Film beim Ministerium für Kultur der DDR erfolgen dürfe. Die Begründung liest sich kurios: »Dieser Film wurde von den Filmtheatern der DDR und im Deutschen Fernsehfunk der DDR ausgewertet. Die mit diesem Film beabsichtigte Wirkung auf die Bevölkerung der DDR wurde erreicht. Deshalb kann der Film aus dem Einsatz genommen werden.« Erst zehn Jahre später durfte der Film wieder in geschlossenen Veranstaltungen gezeigt werden.

Horst Pehnert, stellvertretender Kulturminister der DDR, benannte am 14. Mai 1979 in einem Aktenvermerk die Gründe für die Verbannung aus dem öffentlichen Leben. Er listete an erster Stelle die »sehr subjektive Auffassung über den Faschismus und die faschistische Entwicklung in Deutschland durch M. Romm« auf. Entscheidend ist dann folgende Passage: »Aufgrund der nicht genügend tiefen Darstellung der gesellschaftlichen Ursachen des Faschismus können vom Zuschauer auch einige äußere Erscheinungsformen, wie Aufmärsche usw. vor allem im Hinblick auf äußerlich ähnliche Veranstaltungen auch unter sozialistischen Verhältnissen fehlinterpretiert werden.« Erst Ende Oktober 1989 sollte aufgrund der »eingeleiteten Erneuerung der sozialistischen Gesellschaft der DDR« der Film wieder für den Einsatz in den Filmtheatern der DDR zugelassen sein. Später stellte sich heraus, dass der Film dahingegen in der Sowjetunion über zwanzig Jahre täglich in Vorstellungen gelaufen war.

In der Bundesrepublik wurde der Film eher in speziellen Vorführungen, etwa in politischen oder akademischen Kontexten, gezeigt. Er galt konservativen Kreisen als »kommunistische Propaganda«, als einseitige Darstellung des Faschismus aus sowjetischer Perspektive. Wenig verwunderlich war die Reaktion der alt- und neonazistischen Deutschen National-Zeitung, eines Sprachrohr der extremen Rechten. Dort polemisierte man gegen den Film und sprach davon, dass er »antideutsche Propaganda aus Moskau« betreibe. Erst nach langem Lamento und versehen mit erklärenden Vorreden Eugen Kogons wurde »Der gewöhnliche Faschismus« 1968 im ARD-Fernsehen ausgestrahlt. Linksliberale Kommentatoren zeigten sich zuweilen über Stil und Ton sowie die emotionale Wucht des Films erstaunt. In der Süddeutschen Zeitung konnte sich ein Rezensent jedoch nicht verkneifen, herabsetzend von der »Gescheitheit« Romms zu sprechen, die in dem Film zum Ausdruck käme. Noch in dem zeitgenössischen vergifteten Lob, Romm betreibe nicht »Rache«, sondern Analyse, kommt eine eigenartige Mentalitätsstruktur des bundesrepublikanischen Postfaschismus zum Ausdruck, die immer noch im Bann des ideologischen Bildes vom rachsüchtigen sowjetischen Juden stand.

Überholt?

Maja Turowskaja wollte im Jahr 2008 den Film auch als verfremdeten Angriff auf den Stalinismus in der Sowjetunion sehen. Die Generation der Sieger, so sagte sie, »denen man den Sieg gestohlen hatte«, hätten sich nicht nur an Stalingrad und Berlin erinnert, sondern auch an die »Kampagne gegen den Kosmopolitismus« von 1949, an die »Ärzteaffäre« von 1953 und den »Antisemitismus vaterländischer Fasson«. Tatsächlich kann der antifaschistische Montagefilm auch erkenntniserhellend in Hinblick auf autoritäre Strukturen im Generellen sein, ohne freilich platter Totalitarismustheorie das Wort zu reden. Er ist historisch klar situiert. Es geht ihm um Hitlerdeutschland und den Nazismus, er hat aber auch eine klare Botschaft – und die zielt auf den Westen. Die Dokumentaristin scheint zu selbstkritisch zu sein, wenn sie rückblickend Schwächen am Ende des Films ausmacht, wo dem amerikanischen Faschismus der 1960er nachgegangen wird. Sie erkennt darin »Narben des Kalten Krieges«.

Von heute aus gesehen erscheinen diese Aktualisierungen keineswegs als ideologisch, sondern sind Statthalter und kluge Vorwegnahmen des aktuellen Revivals des Ku-Klux-Klan, der neofaschistischen Kultur der trumpistischen »Proud Boys« und der Liaison von rechtsradikalen Imperialisten und avancierten Techkapitalisten. Angesichts von Trumps Angriff auf Wissenschaft und Literatur in den USA sieht man jene auch von Romm eindrucksvoll präsentierten Bilder der Bücherverbrennung als Auftakt der Barbarisierung der deutschen Gesellschaft mit erweitertem Blick. So machte »Der gewöhnliche Faschismus« auf die Faschismusgefahr in den USA aufmerksam, der sich auch kritische US-Romanciers wie Sinclair Lewis in den 1930er Jahren widmeten.

Sicherlich ist der Film gerahmt von einem optimistischen »Sechziger-Jahre-Pathos«, den Turowskaja ebenfalls beklagt. Doch auch dieser wirkt angesichts der aktuellen Weltlage wie eine erhellende Kontrastfolie, wenn nicht sogar im Sinne einer aktivierenden linken Melancholie. Neben dem Optimismus, den Kinder verkörpern, die ihre Mütter als die schönsten der Welt malen, und für den junge tratschende und verliebte Pärchen in Moskau im Film stehen, ist doch die klare Warnung nicht ausgespart: »Die Geschichte endet nicht. Die Welt wird immer vollkommener. Das Vernichtungspotential der Atomraketen ist so weit angewachsen, dass ein Zehntel ausreichen würde zur Vernichtung (…) der gesamten Bevölkerung des Erdballs.«

Gerhard Hanloser schrieb an dieser Stelle zuletzt am 24. Januar 2025 über die Folgen der Coronapandemie für die Linke: »Radikal und staatstragend«.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (30. April 2025 um 14:21 Uhr)
    Sind das nicht zwei verschiedene Themen: Das Wesen des Faschismus und die Entartung des Sozialismus im Stalinismus? Was droht heute mehr, die Wiederkehr des Faschismus oder die Wiedergeburt des Stalinismus? Wozu der Tritt ans Schienbein des Sozialismus, wenn doch die Gefahr eines neuen Faschismus schon wieder an die Haustür klopft? Müssen wir die Fehler der Sozialfaschismustheorie wirklich erst wiederholen, um später zu begreifen, dass wir im entscheidenden Moment über den falschen Gegner nachgedacht haben?
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (30. April 2025 um 09:45 Uhr)
    »Romms antifaschistischer Montagefilm war ein ›Tauwetter‹-Erzeugnis. (...) So schlagen die Passagen über Nazikunst einen ironischen Ton an, der auch die gigantomanische Sowjetkunst unter Stalin treffen könnte«. Da könnte etwas dran sein. Der Film wurde 1965 gedreht, also in einer Zeit, die im Westen als »Tauwetter-Periode« gefeiert wurde und neun Jahre nach der berüchtigten »Geheimrede« des Revisionisten und »Antistalinisten« Chruschtschow auf dem XX. Parteitag. Einschätzung von Horst Pehnert, stellvertretender Kulturminister der DDR: »Aufgrund der nicht genügend tiefen Darstellung der gesellschaftlichen Ursachen des Faschismus können vom Zuschauer auch einige äußere Erscheinungsformen, wie Aufmärsche usw. vor allem im Hinblick auf äußerlich ähnliche Veranstaltungen auch unter sozialistischen Verhältnissen fehlinterpretiert werden«. Verdächtig auch, dass der Film erst Ende Oktober 1989, also im Zuge der Konterrevolution, in den Filmtheatern der DDR wieder zugelassen werden sollte.

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