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Aus: Ausgabe vom 02.05.2025, Seite 15 / Feminismus
Rezension

»Anders und jetzt anders«

Gegen den Strom: Schaffen und Leben der portugiesischen Lyrikerin Florbela Espanca
Von Christiana Puschak
Florbela_Espanca_(1910)_-_Photo_Calypolense_de_João_Maria_Espanc

Eine Schriftstellerin aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts wird uns in »Alles – bloß nicht vage« vorgestellt – sie heißt Florbela Espanca. Hierzulande nur wenigen bekannt, obgleich als »weibliche Pessoa« tituliert, wird sie in Portugal als eine der größten Lyrikerinnen aller Zeiten angesehen. Vom Leben dieser außerordentlichen Dichterin erzählt Catrin George Ponciano und führt uns in das zwischen Melancholie und Emanzipationsstreben oszillierende Werk ein. Das Fesselnde an diesem Buch ist der weibliche Blick auf das Leben von Frauen in Portugal in einer Zeit des Übergangs von der Monarchie zur Republik.

1894 wurde Florbela Espanca in Vila Viçosa als nichteheliches Kind geboren und wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Bereits in jungen Jahren wehrte sich Espanca gegen die von Gesellschaft und Kirche auferlegten Konventionen und Normen und wurde ein Beispiel des weiblichen Aufbruchs zu jener Zeit. Statt sich mit Hausarbeit und Handarbeiten zu befassen, wie vom Klerus und von der Aristokratie für Mädchen bestimmt, zog sie es vor, zu lesen.

Bücher waren ihre »allerbesten Freunde«. Mit ihnen schloss sie einen kameradschaftlichen Pakt, ja sie eröffneten ihr eine Welt jenseits der damals herrschenden Moralvorstellungen, wie uns Ponciano übermittelt. Bereits mit neun Jahren schrieb Espanca während des Unterrichts ihr erstes Gedicht an die Schultafel, traurige Verse über Leid und Tod. Vierzehnjährig wurde sie als Hochbegabte Schülerin des Lyzeums in Évora, wo sie das einzige Mädchen war – in den Augen ihrer Mitschüler fremd und auch vom Lehrkörper als Eindringling angesehen.

In der Bibliothek von Évora lernte sie die Weltliteratur kennen – entdeckte die Werke Colettes über den weiblichen Körper und las das »Erste Feministische Manifest« der republikanischen Aktivistin Ana do Castro Osório. Eine Schrift, die vehement soziale Missstände sowie die Nachteile für Frauen in der portugiesischen Gesellschaft kritisiert und Espanca weibliche Sichtweisen eröffnete. Bevor sie 1917 die höhere Schule verließ und 1919 nach Lissabon ging, um Jura zu studieren – damals noch eine Seltenheit für Frauen –, konnte sie in einer Tageszeitung ihr erstes, der Schriftstellerin Julia Alves gewidmetes Sonett veröffentlichen. Das Sonett sollte fortan ihre bevorzugte Versform werden, in der sie eine dezidiert weibliche Perspektive auf Themenbereiche wie Liebe, Erotik und Weltschmerz einbinden konnte. Ihr erster Gedichtband »Livro de Mágoas« (Buch der Leiden) legte 1919 Zeugnis davon ab: selbstbewusste Poesie, adressiert an »Schmerzensgeschwister, mit Augen voller Tränen«.

Mit Florbela Espanca ist eine leidenschaftliche und kluge Frau zu entdecken, die kompromisslos auf der Suche nach einem selbstbestimmten Leben war. Ihrer Außenseiterrolle in einer männerdominierten Welt – »in vielen Dingen bin ich keine typische Frau« – war sie sich bewusst. Dreimal ging sie eine Ehe ein – ein gewalttätiger Mann beendete eine davon –, um zu dem Fazit zu gelangen: »Die Ehe ist brutal, sie ist ebenso brutal wie jede andere Form des Besitztums, immer!« Unbeirrt forderte sie »Gleichberechtigung und ein Miteinander auf Augenhöhe« ein und zahlte dafür einen hohen Preis: »Ich gehöre niemandem! … Wer mich will, / … / Der muss anders und jetzt anders sein!«

Wirksamstes Heilmittel gegen die Zumutungen einer einengenden gesellschaftlichen Realität war ihr die Arbeit an Texten. In »Livro de Sóror Saudade« (Buch der Schwester Sehnsucht) imaginiert sie eine Frau, die sich aus der repressiven Welt zurückzieht und ihr Dasein in einer patriarchalischen Welt reflektiert. Am Vorabend der Veröffentlichung ihres Meisterwerks »Charneca em flor« (Blühende Heide), eines lyrischen Gefühlsausbruchs, starb Florbela Espanca im Dezember 1930.

Erst nach der Salazar-Diktatur (1932–1968) erfuhr die Schriftstellerin als weibliche Leitfigur der portugiesischen Poesie, als Humanistin und als Avantgardistin Anerkennung und Wertschätzung.

Was die Lektüre des Buches so empfehlenswert macht, sind die von Ponciano brillant in ihr vortreffliches Porträt eingebundenen zweisprachigen Gedichte der Lyrikerin sowie die verwendeten Auszüge aus Erzählungen, Briefen und Aufzeichnungen.

Catrin George Ponciano: Alles – bloß nicht vage! Die portugiesische Dichterin Florbela Espanca. Aviva-Verlag, Berlin 2025, 224 S., 22 Euro

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