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Aus: Ausgabe vom 02.05.2025, Seite 4 / Inland
Neue Bundesregierung

Letzte Hürde abgeräumt

SPD-Basis nickt Koalitionsvertrag mit Union ab. Kovorsitzende Esken droht bei Postenverteilung leer auszugehen, Klingbeil wird Finanzminister
Von Kristian Stemmler
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SPD-Generalsekretär Matthias Miersch verkündet das erwartbare Ergebnis der Mitgliederbefragung (Berlin, 29.4.2025)

Die Mehrheit der SPD-Mitglieder hat offenbar kein Problem mit Aufrüstung, Sozialabbau und Verschärfung der Migrationspolitik. Bei dem in der Nacht zum Mittwoch beendeten Mitgliederentscheid gab es eine große Zustimmung zum Koalitionsvertrag mit der Union, der genau das zum Programm erhoben hat: 84,6 Prozent der Parteimitglieder stimmten für die Vereinbarung, wie SPD-Generalsekretär Matthias Miersch am Mittwoch bekanntgab.

Damit hat nach der CSU und der CDU auch die SPD den Weg für eine »schwarz-rote« Koalition frei gemacht. Am Montag soll die 144 Seite starke Koalitionsvereinbarung im Gasometer in Berlin-Schöneberg unterzeichnet werden, am Dienstag steht im Bundestag die Wahl von CDU-Chef Friedrich Merz zum Bundeskanzler an.

Miersch zeigte sich bei der Präsentation der Abstimmungsergebnisse hoch zufrieden. Damit bekomme die SPD »eine große Rückendeckung von der Basis für das Eintreten in die Bundesregierung«, sagte er. Tatsächlich war die Zustimmung diesmal noch größer als bei den SPD-Mitgliedervoten 2018 und 2013, bei denen es jeweils um den Eintritt in eine »große Koalition« mit der Union ging. 2018 stimmten 66 Prozent dafür, 2013 waren es 76 Prozent. Erheblich niedriger war diesmal allerdings die Beteiligung der Mitglieder am Entscheid, die bei nur 56 Prozent lag.

Der SPD-Generalsekretär hielt es für nötig, sich auch noch mit den wenigen Neinsagern zu befassen. Seine Partei werde auch die mehr als 30.000 Gegenstimmen nicht einfach beiseitelegen, versicherte er. Es gebe »eine Skepsis«, die durch »gutes Regierungshandeln« aber ausgeräumt werden könne, behauptete Miersch. Auch diejenigen, die gegen den Koalitionsvertrag gestimmt hätten, würden bald sehen, dass es sich gelohnt habe, »in diese Regierung einzutreten und für die sozialdemokratischen Grundwerte zu streiten«.

Auch die Parteijugend, die für ein Nein zum Koalitionsvertrag geworben hatte, kann offenbar mit dem Ergebnis des Mitgliedervotums leben. Juso-Chef Philipp Türmer erklärte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, die Mitglieder hätten sich »in einer demokratisch enorm schwierigen Ausgangslage entschieden«. Es sei eine Abstimmung über einen Koalitionsvertrag gewesen und nicht über die Ausrichtung der Partei, sagte Türmer. Die SPD müsse »wieder Partei der Arbeit werden«, und in der Koalition müsse »das Soziale nach vorne« gestellt werden.

Am Montag will die SPD ihre sieben Minister für die neue Regierung vorstellen. Als sicher gilt, dass Boris Pistorius Verteidigungsminister bleibt. Der Parteikovorsitzende Lars Klingbeil soll Vizekanzler und Finanzminister werden. Wie dpa aus Parteikreisen erfuhr, hat sich das Präsidium einstimmig dafür ausgesprochen. Über die künftige Rolle der Kovorsitzenden Saskia Esken wird in der SPD dagegen weiter diskutiert. Besonders SPD-Frauen und Parteilinke fordern eine herausgehobene Position für sie.

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Falko Droßmann, nannte Esken eine »streitbare und charakterstarke Persönlichkeit« und zeigte sich »sicher, dass Fraktion und Partei sie weiterhin an herausragender Stelle sehen wollen«. Bremens Regierungschef Andreas Bovenschulte (SPD) sagte in der ARD, Klingbeil und Esken hätten bei den Koalitionsverhandlungen eine »gute Teamleistung« gezeigt. Er halte nichts davon, »dann zu sagen, der eine war aber gut, die andere war aber schlecht«. Brandenburgs SPD-Generalsekretär Kurt Fischer erklärte dagegen gegenüber dpa, er sehe Esken »zukünftig definitiv in keiner führenden Spitzenposition«.

CSU-Chef Markus Söder begrüßte unterdessen das Ja der SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag. Jetzt könne »es endlich losgehen«, sagte er gegenüber dpa. Es sei »höchste Zeit für einen echten Richtungswechsel in Deutschland«. Ab dem ersten Tag müsse es »volle Pulle« heißen, betonte Söder. Es brauche niedrigere Energiekosten, Sonderabschreibungen und Bürokratieabbau, die »illegale Migration« müsse gestoppt werden. Britta Haßelmann, Fraktionschefin von Bündnis 90/Die Grünen, kritisierte, die »schwarz-rote« Koalition verbringe zuviel Zeit mit internen Absprachen und Streitigkeiten und verhindere damit eine zügige Aufnahme der Arbeit im Bundestag.

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  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (2. Mai 2025 um 05:36 Uhr)
    »84,6 Prozent der Parteimitglieder stimmten für die Vereinbarung, wie SPD-Generalsekretär Matthias Miersch am Mittwoch bekanntgab.« Später im Artikel wird klar, dass es sich um 84,6 Prozent der abstimmenden 56 Prozent handelte. 47,4 % der SPD-Mitglieder stimmten also dafür. Der Rest enthielt sich oder war dagegen. Fast der Hälfte der SPD-Mitglieder war es offensichtlich egal, was jetzt in den nächsten Jahren in Deutschland erfolgt. »Die SPD müsse ›wieder Partei der Arbeit werden‹.« Ach das klingt so wunderbar allgemein – fast wie Volksgemeinschaft. Man kann nun wirklich nicht behaupten, der Chef eines Dax-Unternehmens oder Herr Merz würden nicht arbeiten. Die SPD ist – angestrebt – auch ihre Partei und der Tag der Arbeit auch ihr Ehrentag. Gearbeitet wird ja immer und überall, sei es an der eigenen Karriere oder bei der Umwandlung von Automobilbau in Panzerproduktion (Beifall vom DGB). Die SPD kämpfte einst für sozialistische Ideale zu Zeiten von Bebel. Auch der 1. Mai war früher ein Kampftag und wandelte sich dann vom «Tag der deutschen Arbeit» zum «Tag der Arbeit» zum «Tag der Freizeit». Und wenn die bisherige SPD-Politik so weitergeht, wird wegen der weiteren Schließung von Betrieben dann für die Belegschaft sogar das ganze Jahr zum «Jahr der Freizeit» (abgekürzt JDF). Die demokratische Wende von der FDJ zum JDF wurde in Leuna oder Schwedt 1989 zwar eingeleitet, ist jedoch immer noch nicht abgeschlossen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Stefan K. aus per E-Mail (1. Mai 2025 um 22:13 Uhr)
    »Die Mehrheit der SPD-Mitglieder hat offenbar kein Problem mit Aufrüstung, Sozialabbau und Verschärfung der Migrationspolitik.« - Warum macht die junge Welt bei dieser Verbreitung von Halbwahrheiten mit? - Dabei ist die halbe Wahrheit diesmal sogar falsch: Genau 47,376 Prozent der SPD-Basis haben der Bildung der neuen GroKo zugestimmt, also eben nicht »die Mehrheit der SPD-Mitglieder«. Um das aus der Beteiligungsquote und den Jasagern auszurechnen, braucht es keine höhere Mathematik. Bitte nicht dem Mehrheitsgeschwurbel der parlamentarischen und medialen Blase auf den Leim gehen!

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