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Aus: Ausgabe vom 30.04.2025, Seite 10 / Feuilleton
HipHop

Fremdes Lob klingt

Reichlich von allem: Die Rostocker Rap-Crew Waving The Guns spielte im Berliner Huxleys
Von Norman Philippen
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Einfach ein tipptopp HipHop-Performer: Milli Dance von Waving The Guns

Wo 16 Bars bloß ironisch gebrochen »gespittet« werden, bleibt mehr Zeit, Wesentliches tight zu rappen. Für Standpunkte in Zeilen, die Zeittests bestehen. So: »Da doch der weise Mann gibt Kunde, / Daß Lob stinkt aus dem eignen Munde. / Die in sich selbst Vertrauen setzen, / Sind Narren und törichte Götzen.« Gut, das hat ­Milli Dance nun nicht am Sonnabend in Huxleys Neuer Welt gerappt, sondern der Schriftsteller, Jurist und Humanist Sebastian Brant vor einem Halbjahrtausend in sein »Narrenschiff« geschrieben.

Die alldieweil die lange Show gewohnt Hasskappe tragende, maßgebliche Stimme der Rostocker Rap-Crew Waving The Guns (WTG) schreibt für erst ein Dezennium die Texte. Daß daher gleich mit Doppel-s. Sowie doppelte Standards vermeidend und fern dem Glauben an die maskuline Maßgeblichkeit. Noch am Anfang der WTG-Geschichte etwa die Zeilen »Wie viel Alben du verkaufst, ist kein Argument für dich / Dass du dich darüber definierst, ist ein Armutszeugnis«.

Musste Milli bei der Ansage von »Armutszeugnis« ein bisschen lachen wegen. Das habe er vor zehn Jahren so geschrieben und gemeint, sei aber jetzt ja selber »Top-ten-Rapper«. Stimmt schon, das sechste Album »Zwischen Wand und Tapete« war im März für eine Woche auf Chartplatz acht. Da­rüber freut sich nicht nur Millis Mutter. Zum Abschluss der »Standpunkte«-Tour mit dem ausverkauften Huxleys die größte je bespielte Halle voller junger bis fast verrenteter, recht textsicherer Mithüpfer zu wissen, vertrug sich aber, warum auch nicht, wunderbar mit dem integren Künstlergewissen. Während Bescheidenheit die Sache des Raps allgemein sowie auch aus Rostock nicht ist, adelt der Hansestädter HipHop-Kultur der Hang zur Selbstkritik. Auch die Gabe, trotz grassierenden »Mentalitätswandels« im Lande der Liebe zum Leben wie des Lobes auch mal voll zu sein, wenn es was zu loben gibt.

Gab es Sonnabend reichlich. Das Einheizduo Kuzo & Rekone, die zweifach begleitende Folk-Punk-Truppe Lappalie, den noch aus den 1970ern stammenden DJ Joaf, die Leute hinter Tour und Bühne, an der Technik. Und den langen, leptosomen Virtuosen an Gitarre und Schlagzeug namens Pete Gelée selbstverständlich. Bei Milli weiß man wegen Maske ja nicht, wie liebenswert der drunter aussieht. Herr Gelée sah in seinen zeitlos knappen, taubenblauen Hosen zum rosafarbenen Hemd jedenfalls ganz hinreißend aus. Dessen laut Labelwerbung (auch Audiolith) »tanzbare Rhythmen, cheesy Melodien und poppig freche(n) Vocals« als Solokünstler man mal anhören sollte. Sollen die doch so laut »Lebensfreude!« schreien wie die finale Show am Wochenende. Als Milli Dance alle lieb lobte, hatte er schon gut 30 Tracks hinter, das Publikum trotzdem noch ein paar vor sich. Potzblitz! Einfach ein tipptopp HipHop-Performer, dieser mittlerweile auch mehr als Mitdreißiger. Den, so hieß es im Song »Endlich wird wieder getreten«, und das war deutlich sicht- und hörbar, »ohnehin schon aufgedrehten Kindern imponiert das«. Und zwar so sehr, dass sie auch an melancholischeren Stellen das Moshen nicht ließen. Wall-of-Death-Action und Rapkonzerte finden heuer immer öfter ganz gut zusammen, stellte ich erneut fest.

Auch mir imponierte nebst Pete Gelée die ambitionierte zweieinviertelstündige Agitation zu den stetig progressierenden progressiven Beats, Lyrics und Sangeskünsten, die sich am Sonnabend dank bestem Sound aufs angenehmste reinnicken ließen. Oder eben moshen. Und da gilt, »erst wenn Journalisten schlecht über WTG schreiben, lügen sie«, mach ich das auch nicht. Denn erst, wenn Sie lügen wie gedruckt, wird hier gedruckt, was Sie lügen. True story.

Außerdem: »Eigenlob stinkt, Freundes Lob hinkt, Fremdes Lob klingt.« Meines klingt so.

Waving the Guns: »Zwischen Wand und Tapete« (Audiolith)

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