Gegründet 1947 Mittwoch, 30. April 2025, Nr. 100
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 30.04.2025, Seite 8 / Ansichten

Letzte Dienstreise des Tages: Baerbock auf Bornholm

Von Nico Popp
8_portrait.JPG
Stimmung ausgezeichnet, »hybride Bedrohungslage extrem verschärft«: Multitalent Annalena Baerbock am Dienstag auf Bornholm im Kreise geschätzter Amtskolleginnen und -kollegen

In diesen Tagen, in denen Annalena Baerbock die finalen Nachweise ihrer außenpolitischen Meisterschaft erbringt, fehlen wehmütige Rückblicke auf ihre Amtszeit. Weil die Berichterstattung vieler Medien über die Grünen und speziell über Baerbock jahrelang Züge von Anbetung aufwies, fällt das besonders auf. Warum entsteht der fatale Eindruck, dass so ungefähr alle ganz froh sind, dass es nun bald vorbei ist?

Baerbock wird das registriert haben, lässt sich aber nichts anmerken. Auch nicht am Montag und Dienstag, als sie auf der dänischen Ostseeinsel Bornholm bei einem Format namens »Nordic and Baltic 8« letztmalig im Ausland als deutsche Außenministerin in Erscheinung trat. Die Sonne strahlte, und die Stimmung war wie immer prächtig.

»Gearbeitet« wurde auch. Die Ministerin war noch gar nicht aufgebrochen, da ratterte es schon über die Agenturen. Auf Bornholm sei spürbar, »dass sich die hybride Bedrohungslage extrem verschärft hat«. Klaro: zerschnippelte Unterseekabel, Datenleitungen, Stromkabel, und sowieso »treibt« die »russische Schattenflotte« »ihr Unwesen«. Flogen nahe Bornholm nicht auch Pipelines in die Luft? Darüber verlor die »We are fighting a war against Russia«-Ministerin kein Wort. Zeit war aber für die Feststellung, »dass es Nord Stream 2 nicht wieder geben kann«.

Eine Vermutung: Baerbocks Russland-Monomanie sorgt auf eigentümliche Weise dafür, dass ihre Verabschiedung eher unterkühlt ausfällt. Und, Anschlussverwendung in New York hin oder her, die Baerbock-Saga damit wohl auch durch ist. Sie hat eine recht komplexe Sache, nämlich die Führung der auswärtigen Angelegenheiten des deutschen Imperialismus, mit der Rolle der Sprecherin einer Freedom-and-Democracy-NGO verwechselt. Für das Staatswohl nicht zuträgliche Unfälle blieben nicht aus. Nicht ausgeschlossen, dass sie auch noch die Landung der Roten Armee auf Bornholm im Mai 1945 verurteilt, sollten ihre Gastgeber ihr davon erzählt haben.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (30. April 2025 um 09:56 Uhr)
    Arbeitszeugnis: Frau Annalena Baerbock war als Bundesministerin des Auswärtigen tätig – eine Zeit, in der Deutschland außenpolitisch auf völlig neue Wege geführt wurde, bei denen Ziel, Richtung und Logik nicht immer deckungsgleich waren. Frau Baerbock überzeugte von Anfang an durch ihre beeindruckende Fähigkeit zur Improvisation. Ihre Aussagen bestachen regelmäßig durch Originalität und Mut zur Unschärfe. Unvergessen bleibt ihre wegweisende Forderung nach einer »360-Grad-Wende« Wladimir Putins – ein brillanter Vorschlag, der geopolitisch exakt darauf hinausläuft, dass der Kremlchef am Ende einfach wieder genau dort steht, wo er angefangen hat. Konsequenz hat eben viele Gesichter. Ihre Kommunikationsfreude machte auch vor unbequemen Wahrheiten nicht halt. So stellte sie in Prag vor internationalem Publikum klar: »Wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe: 'Wir stehen an eurer Seite, solange ihr uns braucht', dann will ich dieses Versprechen auch einhalten. Ganz egal, was meine deutschen Wähler denken.« Diese aufrichtige Geringschätzung des demokratischen Souveräns zeugte von einer bemerkenswerten inneren Unabhängigkeit – gegenüber Volk, Partei und bisweilen auch der Realität. Auch ihre Arbeitsbelastung stellte Frau Baerbock in ein neues Licht. In Kiew erklärte sie: »Meine Botschaft jeden Tag, in den über 560 Tagen im letzten Jahr, ist: Wir helfen Euch nicht nur, sondern wir stehen an Eurer Seite, solange Ihr uns braucht.« Diese Aussage war nicht nur rechnerisch eine Herausforderung, sondern bewies auch eindrucksvoll, dass in der neuen Außenpolitik die Zeitwahrnehmung offenbar flexibel gehandhabt wird – ähnlich wie geopolitische Zusammenhänge. Frau Baerbocks Amtszeit war geprägt von unerschütterlichem Sendungsbewusstsein, glanzvollen Fehlgriffen und einer Rhetorik, die sicherstellen wird, dass man sich noch lange an sie erinnert – ob man will oder nicht.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (30. April 2025 um 11:34 Uhr)
      Herr Hidy - liest Ihre KI manchmal diese Texte, zu denen Sie beitragen wollen? Ich hatte vor zwei oder drei Tagen Geburtstag und passend dazu kam mein CALTEC-Shirt an. Meine Dozententätigkeit in Pasadena hatte was mit dem Ende der BIGBANGTHEORY: Es fiel in's selbe schwarze Loch. Mir wäre es eine Freude, wenn Sie ab heute zu Themen kommen, die Ihnen vertraut sind. Vielen Dank!
      • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (30. April 2025 um 13:34 Uhr)
        Sehr geehrter Torsten Andreas S., es ehrt mich, dass mein Leserbrief so tiefe Spuren hinterlassen hat – offenbar sogar bis nach Pasadena. Nachträglich noch herzlichen Glückwunsch – sowohl zum Geburtstag als auch zum CALTEC-Shirt. Ihre Antwort war zwar nicht ganz leicht zu deuten, aber zweifellos unterhaltsam. Sollte mein Beitrag Anlass für Ihre gedanklichen Raumflüge gewesen sein, freut mich das – denn auch auf Umwegen kommt man gelegentlich der Wirklichkeit näher. Sollten Sie sich einmal aus dem schwarzen Loch der Selbstironie befreien wollen, lade ich Sie gern zu einer Diskussion diesseits der Sachlichkeit ein.

Mehr aus: Ansichten