Staus frei Haus
Von Ralf Wurzbacher
Sie wird länger und länger: die Stadtautobahn A 100 in Berlin. Im September geht voraussichtlich das nächste Teilstück, Abschnitt 16, zwischen Neukölln und Treptower Park, in Betrieb. Das gab am Montag abend die zuständige Autobahn GmbH Nordost bei einer Informationsveranstaltung bekannt. Eigentlich sollte der Start, nach davor schon mehrmaligem Aufschub, im Juni erfolgen. Ursache für die abermalige Verzögerung sind Lieferengpässe bei Bauteilen für die elektronischen Verkehrszeichenbrücken. Nicht nach Plan lief es wie üblich auch in finanzieller Hinsicht. Die einst veranschlagten 312 Millionen Euro hatten sich mit Baubeginn 2013 auf 450 Millionen Euro erhöht. Stand jetzt schlagen die Kosten mit 720 Millionen Euro zu Buche. Ganz schön happig für nicht einmal drei Kilometer Asphalt.
Ebenso zweifelhaft ist weiterhin die Sinnhaftigkeit der Unternehmung. Mehr Straßen ziehen immer auch mehr Verkehr nach sich. Das wurde in etlichen Studien nachgewiesen. Aber als würden sich nicht schon heute riesige Blechlawinen durch die Hauptstadt schieben und die Luft verpesten, steigern die Stadtregenten das Chaos mit immer neuen Projekten. Während andere europäische Metropolen, wie etwa Paris und Barcelona, längst damit begonnen haben, ihre Innenstädte von Autos zu befreien, liefert Berlin seinen Bürgern Staus frei Haus. Freilich wird das Gegenteil behauptet: Durch den Ausbau der A 100 wolle man die Stadtstraßen in Neukölln und Treptow entlasten, heißt es seitens der Autobahngesellschaft. Außerdem sollten die östlichen Bezirke besser an das Autobahnnetz angebunden werden und der Flughafen BER schneller erreichbar sein.
Augenwischerei, meinen die Aktiven vom »Aktionsbündnis A 100 stoppen«. So sei bei der Planung für die Elsenbrücke eine Frequenz von »74.300 Fahrzeugen pro Tag« nach Fertigstellung prognostiziert worden, erklärte Sprecher Tobias Trommer bei besagtem Infoabend. Das seien 12.800 mehr als heute. Die Querung verbindet Treptow mit Friedrichshain, muss aber wegen Verschleiß bis 2028 komplett erneuert werden. Seit 2022 wird der Verkehr über ein Provisorium geführt, was täglich zu massiven Behinderungen führt. Abhilfe verspricht die vorgesehene Teileröffnung der neuen Brücke, das soll aber frühestens im Dezember passieren.
Wenn ab September noch mehr Autos über die neue A-100-Anschlussstelle am Treptower Park nachkommen, droht ein monatelanger Totalkollaps. Bezirkspolitiker fordern, die Eröffnung bis Jahresende aufzuschieben, um wenigstens das Schlimmste zu verhindern. Nicht mit der Senatsverwaltung, die setzt lieber auf »Augen zu und durch«. Sie hatte schon Mitte März angekündigt, die Ampelschaltungen so zu programmieren, dass das städtische Netz nicht überfordert werde. Dafür werde ein gewisser Rückstau auf der A 100 in Kauf genommen.
Trotz jahrzehntelanger Planung seien bis heute keine Busspuren eingerichtet worden, um wenigstens den öffentlichen Nahverkehr am Laufen zu halten, beklagte Trommer. »Wenn ich meine Kinder morgens zur Schule bringe, brauche ich gar nicht erst den Bus zu nehmen, weil der im Stau steht.« Jeder Meter mehr Autobahn werde die »Probleme verschärfen«. Tatsächlich plant das Bundesverkehrsministerium einen Bauabschnitt 17, ausgehend von Treptow über die Spree durch Friedrichshain Richtung Lichtenberg. Losgehen damit könnte es womöglich erst 2035, wie Ronald Normann von der Autobahn GmbH am Montag einräumte. Mit der Einweihung rechnet er nicht vor 2045. Die Kosten wurden zuletzt mit 1,8 Milliarden Euro beziffert. Bis in 20 Jahren dürfte sich die Summe vervielfacht haben.
Mit all dem Geld »können wir Straßen und Brücken retten – statt dessen bauen wir, während die bestehende Infrastruktur verfällt«, moniert das Aktionsbündnis. Mit nur 2,5 bis drei Milliarden Euro könnte nach einer Kalkulation des Landesrechnungshofs das gesamter Berliner Straßennetz instandgesetzt werden. »Es ist höchste Zeit, den Fokus auf umweltfreundliche, gerechte Mobilität zu legen, statt weiter in die Betonwüste A 100 zu investieren«, bekräftigte Trommer.
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