Die Arbeit ruft
Von Thomas Behlert
Als es an die Wahl zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025 ging, überrumpelte die sächsische Stadt Chemnitz auch die »Königstreuen« aus Dresden mit ihrem »Antikonzept«. In Chemnitz prahlte man nicht mit Schönheit und kulturellen Hochburgen, sondern stellte die Arbeiterstadt selbst, das Hässliche, ein »Trotz alledem« in den Vordergrund. Markante Industriearchitektur kommt hier im Kulturbetrieb vor – der 53 Meter hohe Turm vom Wirkbau, die Bernhardsche Spinnerei, die Schönherrfabrik etc. Einige über 100 Jahre alte Betriebe hatten bis in die 1990er Jahre produziert, wurden dann freilich abgewickelt und stillgelegt. Mittlerweile sind die meisten der Fabrikgebäude saniert und für andere gewerbliche Nutzungen freigegeben.
Besonders erwähnenswert: die Gießerei der Gebrüder Escher an der Zwickauer Straße. 1990 konnte die Sprengung des Komplexes in letzter Minute verhindert werden. Später wurde das Gelände nach einem Entwurf von Peter Wermund saniert, die vier dekorativ gestalteten Blendbögen konnten erhalten werden. Inzwischen befindet sich in der ehemaligen Gießerei das Industriemuseum. Auf zwei Etagen kann der Besucher Zeugnisse der regionalen Industrie-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte betrachten.
Für das Kulturhauptstadtjahr hat man in Chemnitz gleich zwei Ausstellungen zum Thema Arbeit konzipiert. Wie sagte der »Schutzheilige« von Chemnitz, Karl Marx: »Die Arbeit ist ihrem Wesen nach die unfreie, unmenschliche, ungesellschaftliche, vom Privateigentum bedingt und das Privateigentum schaffende Tätigkeit.« Schon sind wir in der im Sommer 2025 startenden Ausstellung »Tales of Transformation« (25.6. bis 16.11.). Hier geht es um Chemnitz, Gabrowo, Łódź, Manchester, Mulhouse und Tampere, bekannte Industriestädte. Zu sehen sein werden allerlei Gegenstände, Bilder, Filmsequenzen, Schriftstücke. Thema sind nicht zuletzt prekäre Lebensverhältnisse des Proletariats, die Zerstörung von Mensch und Natur im Namen des Profits, schließlich der Zusammenbruch angesiedelter Industrien. An diesem Punkt, kann man sagen, wird die Neuerfindung der Städte, die Einbindung ihrer Industriegebäude ins tägliche Leben und in die Kultur notwendig.
Die zweite, noch bis zum 27. Juli laufende Ausstellung heißt »Fit. Eine sächsische Erfolgsgeschichte«. Vom VEB Fettchemie Karl-Marx-Stadt von 450 Personen im Dreischichtbetrieb hergestellt, deckte das Spülmittel 85 Prozent des Bedarfs in der DDR. Zu sehen gibt es Werbegrafiken, Verpackungen, Flaschen des 1954 erstmals verkauften Geschirreinigers. Gelb gefärbtes DDR-Fit, mit dem man noch fetzige Seifenblasen machen konnte, steht neben dem grünen Fit von heute.
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