Gegründet 1947 Mittwoch, 30. April 2025, Nr. 100
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben

»Unser« Potentialwachstum

Von Lucas Zeise
Lucas_Zeise_Logo.png

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat anlässlich seiner Frühjahrstagung das Wachstum der Weltwirtschaft im laufenden Jahr auf 2,8 Prozent geschätzt. Das ist ein halber Prozentpunkt weniger als die bereits mäßige Wachstumsrate des vergangenen Jahres von 3,3 Prozent. Es wäre außerdem das schwächste Wachstum der vergangenen 20 Jahre, sieht man vom tiefen Einbruch der Jahre 2009 (unmittelbar nach der großen Finanzkrise) und 2020 (dem ersten Jahr der Coronapandemie mit teilweise drastischen Lockdowns) ab.

Die Wachstumsprognosen des IWF wurden am Dienstag im Vergleich zu denen vom Januar vor allem für die USA sehr deutlich zurückgenommen – statt 2,7 Prozent Wachstum nur noch 1,8 Prozent. Auch die Prognose für das Wachstum Chinas wurde von 4,5 gegenüber dem Januarausblick auf nur noch vier Prozent reduziert. Nebenbei gesagt fiel in all diesem Pessimismus die geschätzte Wachstumsrate für Deutschland mit null Prozent wie erwartet sehr mäßig aus.

Das deckt sich mit dem, was der scheidende Wirtschaftsminister des Landes, ein gewisser Robert Habeck, zwei Tage nach der IWF-Prognose für das deutsche Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr vorhersagte. Im Januar, als Habeck auch schon nur noch scheidender Minister war, hatte er immerhin noch plus 0,3 Prozent angekündigt. Unter den großen Industrienationen dieser Welt ist damit »unser Land« schon das dritte Jahr in Folge Schlusslicht.

So die öden Kommentare der Wirtschaftspresse, denen man sich in diesem Fall nur anschließen kann. Habeck zeigte aber auch, dass er von den Referenten im Wirtschaftsministerium während seiner Amtszeit etwas gelernt hat – zum Beispiel den Begriff des Potentialwachstums –, und wies anhand von Schautafeln nach, dass sich dieses in »unserem« Land fürchterlich abgeschwächt hat, mittlerweile wohl sogar auf unter 0,5 Prozent jährlich geschrumpft sei.

Das Potentialwachstum ist eine geniale Erfindung antikeynesianischer Ökonomen und wird seit Jahrzehnten von staatstragenden Institutionen wie der Bundesbank und dem Sachverständigenrat zur Politikberatung eingesetzt. Man kann es, wie seine Verfechter zugeben, leider nicht – auch nicht im nachhinein – messen, was weder sie noch Herrn Habeck daran hindert, genaue Zahlen zu präsentieren und zu beklagen.

Auf Wikipedia lässt sich lesen: »Als Potentialwachstum versteht man in der Volkswirtschaftslehre die langfristige Veränderung des Bruttoinlandsprodukts bei einem normalen Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten.« Um das Potentialwachstum zu erhöhen, könnte, sollte man meinen, eine Regierung einfach Aufträge zum Beispiel zum Bau von Brücken oder Wohnhäusern vergeben.

Lieber nicht, sagen dazu die klugen Potentialvolkswirte. Denn wer weiß schon, ob die Baufirmen überhaupt die Kapazität haben? Wenn nicht, könnte das zu übernormaler Auslastung, höheren Preisen und – schlimmstes Szenario – sogar höheren Löhnen führen. Trotzdem faselt der wahrscheinlich künftige Kanzler Friedrich Merz davon, das darniederliegende Potentialwachstum mittels einer »Wirtschaftswende« auf sagenhafte zwei Prozent anzuheben.

Er hat, muss man wissen, eine Lücke in der Lehre vom Potenzialwachstum erblickt. Es handelt sich dabei um die Kriegsindustrie. Hier darf schnell und unbürokratisch gehandelt werden. Wenn das Potenzial zur Herstellung von Drohnen, Raketen und noch mehr Panzern nicht vorhanden ist, wird es eben geschaffen, egal welche Folgen das einschließt.

Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Aachen

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.