Auf der schiefen Rennbahn
Von Ralf Wurzbacher
Ja, wo fahren sie denn, ja, fahren sie denn? Nun ja, Güterzüge fahren auf der ICE-Neubautrasse zwischen Wendlingen und Ulm eher selten, eigentlich nie. Immerhin behält die Deutsche Bahn (DB) den Durchblick. Gemäß Buchführung war in den zweieinhalb Jahren nach Fertigstellung bis dato nur ein einziger unterwegs, im Januar 2024. Weitere Bestellungen gebe es nicht, teilte ein Sprecher der Presse mit. Loriot lässt grüßen! Dabei ist es zum Heulen: Der Staatskonzern verpulvert munter Riesensummen – für Nonsens. Der 60 Kilometer lange Abschnitt, der fast zur Hälfte durch Tunnel führt, kostete knapp vier Milliarden Euro. Das Siegel der »Wirtschaftlichkeit« erhielt die Unternehmung nur unter der Bedingung, dass auch reichlich Frachtverkehr rollt. Geht aber nicht: Die Steigung ist zu steil.
Hätte man das nicht wissen müssen? Hat man ja. Zugelassen sind nur Züge mit einem Maximalgewicht von 1.000 Tonnen. Planmäßig sollten davon täglich 17 über die Gleise brettern. Wäre dem so, rentierte sich die Sache vielleicht, den so erreichbaren Nutzeneffekt hatten die Macher auf 750 Millionen Euro taxiert. Das Problem: »Diese leichten Güterzüge gibt es nicht und wird es wahrscheinlich auch nicht geben.« Gesagt hat das in der Vorwoche Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen) gegenüber Tagesschau.de. Er habe miterlebt, »wie die Strecke im Bundestag schöngerechnet wurde«. Schuld sind immer die anderen. Hermann war einmal »erbitterter« Gegner von »Stuttgart 21« (»S 21«), Wendlingen–Ulm ist Teil des Ganzen. Seit dem gescheiterten Volksentscheid vor bald 14 Jahren zieht er das Irrwitzprojekt gegen alle Widerstände durch.
»Die Neubaustrecke wurde überhaupt erst durch bewusstes Faktenleugnen und gezielten Betrug möglich«, erklärte Werner Sauerborn vom »Aktionsbündnis gegen S 21« am Freitag gegenüber jW. »Diese Methode soll bei weiteren ›S 21‹-Tunnelprojekten fortgesetzt werden, und es gibt Überlegungen, dafür den Schuldenfonds von 500 Milliarden Euro anzuzapfen.« Tatsächlich geriet die neue Trasse noch einmal steiler als die alte, die sie eigentlich hätte entlasten sollen – die Geislinger Steige. Darauf verkehren nach DB-Auskunft derzeit täglich noch immer bis zu 65 Güterzüge. Der moderne Bypass nebenan bleibt damit für immer eine Rennbahn für ICEs und »Deutschlands schnellsten Regionalverkehr«, wie es aus der DB-PR-Abteilung tönt. Für Reisende zwischen München und Nordrhein-Westfalen verkürze sich die Fahrzeit »um rund 15 Minuten«. Und das für bloß 3,99 Milliarden Euro.
Das sei ein »Musterbeispiel absurder, politisch motivierter Fehlallokation öffentlicher Mittel«, meint Tom Adler von »Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene«. Tunnel würden sinnvollerweise dort gebaut, wo Höhenzüge unterfahren werden sollen, um zu hohe Steigungen zu vermeiden. »Aber bei Wendlingen-Ulm vergrößert sich die Steigung sogar«, so Adler im jW-Gespräch. »Die Projektkritiker haben das von Anfang an als Teil der brachialen ›S 21‹-Durchsetzungsstrategie enttarnt, die gewaltsamen Wasserwerfereinsatz gegen friedliche Demonstranten mit anhaltend dreister Täuschung der Öffentlichkeit kombiniert.« Die Beschränktheit der Strecke sei nur ein Beispiel für »die vielen kurzen Beine der vielen Lügen rund um ›S 21‹«, befand Carl Waßmuth vom Bündnis »Bahn für alle«. Er hat gleichwohl noch Hoffnung, »dass der oberirdische Kopfbahnhof in Stuttgart zu retten ist«, wie er jW sagte. »Jetzt, wo wir wissen, dass die Berechnungen zum Tiefbahnhof auch in bezug auf Wendlingen–Ulm gefakt waren, haben die Verantwortlichen ein Kommunikationsproblem mehr.«
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Lothar Z. aus Hamburg (26. April 2025 um 22:38 Uhr)»Ja, wo fahren sie denn, ja, fahren sie denn?« Diese Sätze sollen auf den Sketch »Auf der Rennbahn« verweisen. (»Wo laufen sie denn, wo laufen sie denn hin?«) Die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Falsch aber ist die Anspielung: »Loriot lässt grüßen!« Denn Loriot hat zwar eine Zeichnung zu diesem Sketch gestaltet. Der Text aber stammt von Wilhelm Bendow. Der sollte nicht in Vergessenheit geraten. (»Rennbahngespräche«, mit Paul Morgan [1926]). Lothar Zieske, Hamburg
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Wolfgang S. aus Berlin-Mariendorf (26. April 2025 um 11:11 Uhr)Immer wieder ist im Zusammenhang mit der neuen Bundesregierung vom »Lügenverbot« und von einem »Wahrheitsministerium« die Rede, also Obrigkeitseinrichtungen, die sich dünken die Wahrheit zu kennen und die ihre Definition von Demokratie gegen die aus ihre Sicht Lügen und Desinformationen zu verteidigen, ja mit aller Macht gegen so was vorzugehen. Doch wie ist es wirklich? Eine Unmenge Lügen und Falschbehauptungen kommen aus der Regierung, weiteren Administrationen, den Parteien und Konzernen selbst, wie das am Beispiel der Bahn anschaulich in diesem Artikel nachgewiesen wird. Ziel ist es also, Menschen, die das entlarven, kritisieren, darüber publizieren zu kriminalisieren. Es war in dieser Zeitung schon zu lesen, dass einige fürchten, nicht mehr ihre Meinung sagen zu dürfen zu den 1.-Mai-Demos, dort am besten eine Liste mitzuführen der aktuell verbotenen Wörter, Sätze und Zeichen, denn diese Liste wird täglich länger.
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