Funktionäre warnen vor »Hängepartie«
Von Kristian Stemmler
Noch bis zum kommenden Dienstag läuft die Abstimmung der rund 358.000 SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag, auf den sich Union und SPD vor gut zwei Wochen geeinigt haben. Am Mittwoch soll das Ergebnis vorliegen. Für Juso-Chef Philipp Türmer wäre es kein Drama, sollte die Basis den Vertrag mit Mehrheit ablehnen. Niemand hindere Union und Sozialdemokraten daran, »sich noch mal neu zu verständigen«, erklärte Türmer am Freitag gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ): »Eine Staatskrise sehe ich da nicht.«
Zur Option von Neuwahlen im Falle einer Ablehnung des Koalitionsvertrags äußerte sich der Juso-Chef dagegen skeptisch. Für Neuwahlen gebe es »nicht ohne Grund hohe verfassungsrechtliche Hürden, die kann man nicht einfach so anordnen«. Bereits zu Beginn des Mitgliedervotums hatte Türmer erklärt, die SPD-Nachwuchsorganisation lehne den Koalitionsvertrag ab, etwa wegen der Beschlüsse zur Migrationspolitik und zum Bürgergeld. Er nannte zudem den für alle Maßnahmen im Koalitionsvertrag vereinbarten Finanzierungsvorbehalt »eine tickende Zeitbombe«. Der SPD-Jugendorganisation gehören rund zwölf Prozent der Parteimitglieder an.
Unabhängig vom Ausgang des Mitgliedervotums sieht der Juso-Vorsitzende angesichts des historisch schlechten Ergebnisses der SPD bei der Bundestagswahl – es reichte für 16,4 Prozent – und aktuell noch schlechterer Umfragewerte die Notwendigkeit einer Erneuerung. Es brauche eine »programmatische Neuausrichtung als Partei, die ohne Wenn und Aber die Interessen der Arbeitnehmer und Arbeiterinnen vertritt«, sagte Türmer der NOZ. Den Sozialdemokraten seien »die glaubhaften Visionen für eine solidarische und gerechtere Gesellschaft abhandengekommen«.
Gegenwind für Türmer kam von der einflussreichen, rechten SPD-Gruppe »Seeheimer Kreis«. Der Vorsitzende, der Bundestagsabgeordnete Dirk Wiese, appellierte an die Parteimitglieder, der Koalitionsvereinbarung zuzustimmen. Diese trage eine klare sozialdemokratische Handschrift, behauptete Wiese gegenüber der Rheinischen Post. Eine »politische Hängepartie« über Wochen und Monate könne das Land sich nicht leisten. Ähnlich äußerte sich die SPD-Politikerin Franziska Giffey, Berliner Wirtschaftssenatorin, am Freitag im ARD-»Morgenmagazin«. Der Koalitionsvertrag adressiere viele wichtige Themen der Sozialdemokraten, sie gehe von einer Zustimmung der Basis aus, erklärte die zuletzt abgewählte Regierende Bürgermeisterin Berlins.
Als vergleichsweise sicher gilt eine Zustimmung des Bundesausschusses der CDU zum Koalitionsvertrag. Die 160 Delegierten dieses Gremiums sollen am Montag über den Vertrag abstimmen. Laut Parteistatut ist der Bundesausschuss das zweithöchste Beschlussorgan der CDU nach dem Bundesparteitag. Erst Anfang Februar, drei Wochen vor der Wahl, wurde das Statut so geändert, dass nicht mehr der Parteitag, sondern der Bundesausschuss über einen Koalitionsvertrag entscheidet.
In der SPD wird unterdessen weiterhin über die künftige Führung diskutiert. Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig plädierte gegenüber dem Tagesspiegel (Freitag) für eine weitere Amtszeit von SPD-Chef Lars Klingbeil. Dieser habe die Unterstützung der Ministerpräsidenten für das Vorhaben, die SPD in Regierung, Bundestagsfraktion und Partei neu aufzustellen. Die SPD-Spitze soll auf einem Bundesparteitag Ende Juni in Berlin neu gewählt werden, ein halbes Jahr früher als ursprünglich geplant.
Zuvor hatte sich bereits der rheinland-pfälzische Regierungschef Alexander Schweitzer (SPD) für einen Verbleib Klingbeils an der Parteispitze ausgesprochen. Er plädiere aber auch für Veränderungen in der Führungsmannschaft, sagte Schweitzer der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Anders als Klingbeil hat die SPD-Kovorsitzende Saskia Esken keine Rückendeckung aus dem Kreis der SPD-Ministerpräsidenten. Sie hat zuletzt viel Kritik einstecken müssen, so auch aus ihrem eigenen Landesverband Baden-Württemberg.
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