Gewalt unter Lebensgefahr dokumentiert
Von Dieter Reinisch
Wir sitzen in einer Wohnung im Nordwesten von Wien. Souad Wheidi ist Direktorin des Observatory for Gender in Crisis (Beobachtungsstelle für Gender in Krisenzeiten) und Macherin des Dokumentarfilms »Transborder Rape« über sexualisierte Gewalt in Flüchtlingslagern im Süden Libyens. Sie ist nach Wien zu einer Konferenz der Vereinten Nationen gekommen, um über die Situation von Frauen, die auf der Flucht durch die Sahara entführt und sexuell ausgebeutet werden, zu sprechen. Ihre Ansichten zur politischen Lage in Libyen teilt sie nur im persönlichen Gespräch: »Darüber darfst du aber nichts schreiben, das ist zu gefährlich. Ich könnte dann meine Arbeit nicht mehr weitermachen, und vielleicht ermorden sie mich sogar«, bittet sie.
Die Frage, warum sie den Film gedreht hat, wiegelt sie ab: »Es geht hier nicht um mich, es geht um die Frauen. Lass uns über die Frauen sprechen.« Diese kämen über zwei Fluchtrouten nach Libyen: von Nigeria aus dem Süden und vom Osten aus Somalia, Eritrea, Äthiopien, Sudan und Südsudan. »Die meisten von ihnen wollen nicht nach Europa, sondern nach Saudi-Arabien und Dubai«, erzählt Wheidi. Die Schlepper versprächen, sie dorthin zu bringen. Statt dessen würden sie jedoch zumeist nach Libyen gebracht und verkauft. Vier Millionen undokumentierte Flüchtlinge gäbe es in dem Land: »Es kann seine südlichen Grenzen nicht kontrollieren.« Daher werden weite Teile Südlibyens von paramilitärischen Gruppen aus dem Sudan, aus Tschad und aus Niger kontrolliert: »Frauen fliehen vor der Al-Schabab-Miliz in Somalia und landen dann als Sklaven in den Lagern der Soldaten.« Der libysche Staat sei zu schwach, um dagegen etwas zu tun. Das Problem sei bekannt.
Manchmal werden Frauen doch von der Polizei befreit, oder sie werden freigelassen, weil ihre Familien Lösegeld zahlen: »Wir haben Kontakt in die Lager. Wir wissen, wo sie sind«, erzählt sie. Doch wie die Arbeit funktioniert, darüber schweigt sie, denn: »Dann fliegen wir auf.« Tausende Soldaten anderer Länder und islamistischer Milizen befänden sich im Süden Libyens: »Die wollen nur die Frauen haben, die Männer werden zumeist ermordet.« Es sei ein moderner Sklavenmarkt: »Alter spielt keine Rolle«, betont Wheidi. »Wenn sie dann nicht mehr benötigt werden, werden sie sie in die Wüste schicken.« Nahezu alle Frauen seien schwanger, wenn die Organisation, über die Wheidi im Dokumentarfilm berichtet, sie findet. Wenn es gelingt, Mädchen und Frauen aus den Lagern zu befreien, dann werden diese von den Behörden verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, da sie »illegale Einwanderer« seien.
»Ich war mehrmals in den Gefängnissen und habe mich mit den Frauen getroffen.« In Libyen wollen die Frauen nicht länger bleiben, wenn sie freigelassen werden. Doch auch in ihre Heimatländer, aus denen sie zuvor geflohen sind, können sie nicht zurück. Daher bliebe ihnen kein anderer Ausweg, als die lebensgefährliche Überfahrt in kleinen Booten über das Mittelmeer nach Europa zu wagen.
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Zwischen Leben und Tod
vom 25.04.2025