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Aus: Ausgabe vom 25.04.2025, Seite 8 / Ansichten

Infernofreunde des Tages: »Taurus«-Fans

Von Arnold Schölzel
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»Taurus«-Marschflugkörper

Der Bandera-Verehrer und im sonstigen Wahn Befehlshaber für Deutschland, der ukrainische Diplomat Andrij Melnyk, bestellte neulich beim zukünftigen Kanzler per Welt am Sonntag die aktuelle deutsche Wunderwaffe »Taurus« – und zwar mit Schmackes. Friedrich Merz, schrieb er in einem offenen Brief, solle am 6. Mai, also dem Tag seiner Wahl zum Bundeskanzler, im Bundestag die sofortige Lieferung von 150 Exemplaren des Marschflugkörpers verkünden und diese zügig durchsetzen. Melnyk ordnete an: »Man sollte diese Infernowaffen einfach liefern, ohne Wenn und Aber, um den schleichenden Vormarsch der Russen zu stoppen und die heutige Kriegsdynamik im Kern zu verändern.«

Melnyks Wunsch ist wie stets seiner deutschen Herde Befehl. Am Mittwoch abend saßen also bei ZDF-»Lanz« Lichtgestalten und besprachen, welche Trümmer sie als Sprengmeister mit Hilfe des »Taurus« in Russland hinterlassen können. So pries der Merz-Intimus Thorsten Frei (CDU) den »Taurus« fürs Zertrümmern der Krim-Brücke. Das Geschoss sei »etwas besser« als die entsprechenden Raketen der Engländer, Franzosen oder Amerikaner, denn man könne es »sehr konkret in einzelne Stockwerke …« – »In einen Pfeiler dieser Brücke«, unterbrach Lanz ihn. Frei darauf: »Dafür brauchen Sie aber auch mehr als einen Taurus.« Die unvermeidliche »Expertin« Claudia Major steuerte bei: »Taurus kann gehärtete Ziele treffen«, die britischen und französischen Raketen aber nicht, außerdem seien deren Vorräte erschöpft.

Den Vorsprung der Konkurrenz konnte Roderich Kiesewetter (CDU) nicht auf sich sitzen lassen. Er verlangte am Donnerstag im ARD-»Morgenmagazin«, mit der Ausbildung von Ukrainern am »Taurus« zu beginnen, damit der gegebenenfalls auch geliefert werden könne. Denn Fans deutscher Wunderwaffen wissen: Das Inferno findet nur bei anderen statt.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (25. April 2025 um 09:47 Uhr)
    Wie einst im Bastelkreis: Wunschzettel an den Weihnachtsmann – heute nicht mehr mit Buntstift gemalt, sondern in Talkshows diktiert und in Interviews hinausposaunt. Ganz oben auf der Liste: der »Taurus«. Der soll’s jetzt richten. Die kindliche Vorfreude auf das neue Spielzeug kennt keine Grenzen – man fabuliert von Brückenpfeilern und Etagenbeschuss, als wären es nur Bauklötze. Doch keine Erzieherin weit und breit, die zur Ordnung ruft. Kein warnendes Wort, das diese Spiele nicht im Sandkasten stattfinden, sondern mit echten Sprengköpfen, mit echtem Tod. Stattdessen sendet der medienpolitische Kindergarten im Dauerfeuer seine martialischen Märchen – frei von Verantwortung, frei von Realitätssinn. Willkommen im deutschen Diskurs, achtzig Jahre nach Kriegsende: infantilisiert, militarisiert – und brandgefährlich.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (25. April 2025 um 00:21 Uhr)
    Welche Gründe gab es, »Taurus« bisher nicht zu liefern und zum Einsatz zu bringen? 1. Herr Scholz ist ein Friedenskanzler. 2. Herr Scholz ist kein Friedenskanzler. Er lässt in der Wartephase die ukrainischen Piloten dafür von der Bundeswehr ausbilden. 3. Friedrich Merz ist am Ende der Schuldige, der die Folgen von »Taurus«-Lieferungen vielleicht nicht konkret überblickt. 4. Welcher Song von Tic Tac Toe fällt uns zum 30. von euch ein? Zur Kanzlerwahl?

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