Der Begriff »Block«
Von Jürgen Schneider
Im Jahr 2008 schrieb der Kunstprofessor Beat Wyss in der Zeitschrift Monopol einen Text über Joseph Beuys mit der Überschrift »Der ewige Hitlerjunge«. In einer bewusst kunstvoll »gesponnenen« Biographie hatte Beuys dargelegt, er sei im März 1944 nach dem Absturz mit einem Ju-87-Kampfflieger über der Krim von Tartaren mit Filz und Fett gepflegt worden.
Wyss deutete den literarisierten Lebenslauf von Beuys als Beweis für dessen Unaufrichtigkeit und Nazizeitverdrängung. Wyss gehört zu jenen Interpreten, die Beuys eine Affinität zu reaktionären, völkischen oder faschistischen Ideologien nachsagen: Frank Gieseke und Albert Markert in ihrem Buch »Flieger, Filz und Vaterland« (1996), Hans Peter Riegel in seiner Beuys-Biographie (2013) und Ron Manheim in seinem Werk »Beim Wort genommen – Joseph Beuys und der Nationalsozialismus« (2021). Gerne wird auch die Beuyssche intensive Beschäftigung mit der Anthroposophie und deren Guru Rudolf Steiner als Beleg dafür genannt, dass Beuys »eine NS-Vergangenheit hatte« (ND). Vom Kasseler Bündnis gegen Antisemitismus wurde Beuys vor der Documenta 15 als »völkisch-anthroposophischer Ideologe« bezeichnet und damit der Auftakt zu deren Skandalisierung geliefert. Der Künstler Klaus Staeck überliefert, dass Beuys sich über die Steiner-Ideen lustig machte. Auf die Frage »Bist du ein Anthroposoph?« antwortete Beuys einst: »Nein, ich bin Niederrheiner.«
In der Region Niederrhein sind derzeit im Museum Schloss Moyland zwei Ausstellungen zu sehen, in denen der Frage nachgegangen wird, wie Joseph Beuys sich mit dem deutschen Faschismus und dem Holocaust auseinandersetzte. Die Stiftung Museum Schloss Moyland besitzt nicht nur einen umfangreichen Bestand an Werken des Künstlers, sondern verfügt auch über ein einzigartiges Archiv zu Joseph Beuys. Dieser Bestand an Sammlungs- und Archivgut bildet die Grundlage für die kritische Auseinandersetzung des Museums mit Beuys.
Im »Laborraum Joseph Beuys und der Nationalsozialismus« stehen fünf Themen im Fokus: Joseph Beuys Schulzeit in Kleve, seine Mitgliedschaft in der Hitlerjugend, seine Zeit als Soldat im Zweiten Weltkrieg, seine Teilnahme am Wettbewerb des Internationalen Auschwitz-Komitees zur Gestaltung eines Denkmals im ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau sowie die Unternehmung »Polentransport 1981«. In diesem Raum, der mehr Arbeits- als Ausstellungsraum sein soll, ist u. a. die Urkunde der Hitlerjugend zu sehen, mit der Beuys bescheinigt wird, dass er bei deren »Bannmeisterschaften« 1939 beim Kugelstoßen mit 9,56 Meter den dritten Rang belegte. In einem Brief vom 12. Mai 1941 sandte ihm sein Lehrer Dr. Schönzeler einen Abschiedsgruß zum Ausbildungsbeginn bei der Luftnachrichtenkompanie in Posen (Poznán). Der dortige Ausbilder von Beuys, der später als Tierfilmer bekannt gewordene Heinz Sielmann, schrieb an dessen Eltern, dass ihrem Sohn »in der Ausbildung alles zu klein, zu gering erschiene und er sich darauf freue, bald Gelegenheit zu haben, sich auch militärisch voll und ganz einsetzen zu können, wie es an der Front verlangt wird«.
Zentral sind die Dokumente und Entwürfe von Beuys aus den Jahren 1957 und 1958 für ein Denkmal in Auschwitz-Birkenau. In seinem Buch »Joseph Beuys – Kunst Kapital Revolution« (2021) sieht der Kunsthistoriker Philip Ursprung die Veränderung der Kunst von Beuys Ende der 50er Jahre als Resultat seiner Auseinandersetzung mit dem Holocaust anlässlich des Entwurfs für ein Auschwitz-Denkmal, wobei »der Holocaust kein Gegenstand (ist), auf den sich die Kunst von Beuys bezieht und von dem sie handelt, sondern vielmehr der Horizont, innerhalb dessen sie sich bewegt«. Beuys wandte sich bei seinem Entwurf für das Auschwitz-Denkmal, so Ursprung weiter, von den traditionellen Elementen der Monumentalskulptur ab: »Das Monolithische ersetzte er durch das Fragmentarische, das betont Dauerhafte durch das Vergängliche, das Geschlossene durch das Offene, das Harte durch das Weiche.«
Mehr als 60 Kunstwerke und Fotografien sind in der Ausstellung »Auschwitz und der Zweite Weltkrieg im Werk von Joseph Beuys« zu sehen. Den Hintergrund bildet die Überlegung, dass es notwendig sei, sich von der Fixierung auf die Biographie zu lösen und einen thematisch zugespitzten Einblick in Beuys’ künstlerisches Werk zu geben. Beuys hat sich seit den 40er Jahren immer wieder mit dem Krieg und insbesondere mit Auschwitz auseinandergesetzt. Dabei wechselte die Form seiner künstlerischen Auseinandersetzung von Zeichnungen, Malereien und Collagen zu Rauminstallationen und Aktionen. Ein ewiger Hitlerjunge hätte diese Werke wohl als »entartet« bezeichnet.
Ein Raum in Moyland gilt der Vitrine »Auschwitz Demonstration«, die Teil des »Block Beuys« im Hessischen Landesmuseum ist. Nachdem Ursprung die Elemente dieser Präsentation, die sich einer einfachen Deutung entziehen, einzeln gewürdigt hat, schreibt er: »Die Objekte in der Vitrine spannen ein Netz von Assoziationen auf. Sie deuten auf etwas hin – im Sinne des Demonstrierens und Aufzeigens –, ohne es zu definieren.« Und er fügt abschließend hinzu: »Ja, sogar im Begriff ›Block‹ hallte die Bezeichnung für die Baracke in einem Konzentrationslager nach.«
Die Bedeutung, die Beuys dieser in der Rezeption lange vernachlässigten Vitrine zumaß, zeigt sich daran, dass sie die einzige aus dem »Block Beuys« war, die Beuys 1979 in seine große Ausstellung im New Yorker Guggenheim-Museum integrierte.
Um 1963 wandte sich Beuys nicht zuletzt im Rahmen von Fluxus performativen Kunstformen zu und setzte sich weiter mit dem Zweiten Weltkrieg und Auschwitz auseinander. Während einer 24stündigen Aktion in Wuppertal am 5. Juni 1965 verwendete er zwei torartige Gebilde aus seinem Modell zum Entwurf für ein Auschwitz-Denkmal und hielt eine Tafel mit der Aufschrift »PAN XXX ttt« hoch. Dieser Notrufcode der Luft- und Seefahrt galt in der Wegbereitung der Bewegung von 1968 dem Zustand der vermeintlich heilen Welt des Wirtschaftswunderlandes BRD.
Als Teilnehmer der Ausstellung Hommage à Lidice unterstützte Beuys 1967 ein Projekt des Berliner Galeristen René Block. Lidice war 1942 nach dem Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor für Böhmen und Mähren samt seiner Bewohner vernichtet worden. 25 Jahre später erging ein Aufruf, die Gründung eines Museums in Lidice zu unterstützen. René Block gelang es, zwanzig damals noch unbekannte deutsche und österreichische Künstler dafür zu gewinnen. Neben Beuys beteiligten sich u. a. KP Brehmer, Palermo, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Gerhard Rühm und Wolf Vostell. Beuys’ Beitrag bestand aus einer alten Farbdose, aus der ein Knochen ragt.
»Polentransport 1981« nannte Beuys seine Überführung von 700 seiner Werke – überwiegend Multiples – ins Kunstmuseum der polnischen Stadt Łódź und erinnerte mit dem Titel seiner Aktion an die Transporte, die von den Nazis in die von ihnen errichteten Konzentrationslager durchgeführt worden waren. Der Direktor des Museums sah in der Aktion »ein Element der Wiedergutmachung des ehemaligen Soldaten im Zweiten Weltkrieg, der in Polen ausgebildet wurde«.
»Joseph Beuys und der Nationalsozialismus – Ein Laborraum« und »Auschwitz und der Zweite Weltkrieg im Werk von Joseph Beuys« im Museum Schloss Moyland, Am Schloss 4, 47551 Bedburg-Hau, bis 29. Juni 2025
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