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Aus: Ausgabe vom 22.04.2025, Seite 11 / Feuilleton
Neue Musik

Maler mit kompositorischen Mitteln

Zum Tod des Klangforschers Peter Ablinger
Von Florian Neuner
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Empfahl das Einüben antiautoritärer Etüden: Peter Ablinger (1959–2025)

Während in der bildenden Kunst schon seit geraumer Zeit die totale Entgrenzung regiert und in Museen und Galerien buchstäblich alles möglich ist, gibt der Musikbetrieb noch immer ein vergleichsweise konservatives Bild ab. »Wenn der taube Beethoven in einem Lachenmann-Konzert sitzen würde«, darauf wies Peter Ablinger einmal in einem Gespräch mit Rainer Nonnenmann hin, »könnte er nicht entscheiden, ob nicht vielleicht eine Sinfonie von ihm selber aufgeführt wird, weil sich da im Grunde so wenig verändert hat.« Zeit seines Lebens hat Ablinger nach Auswegen aus dieser Situation gesucht – nicht als Provokateur, sondern als ein beharrlich Forschender, der seinem Publikum Handreichungen geben wollte auf dem Weg zu einem anderen Hören.

Zunächst war der am 15. März 1959 in Schwanenstadt geborene Oberösterreicher, der 1982 nach Westberlin zog, ein Außenseiter des Musikbetriebs. Seine berühmten Notizbücher quollen über vor Ideen, die ihrer Verwirklichung harrten. Seit der Jahrtausendwende etwa setzte eine internationale Wahrnehmung ein, und als in Deutschland ein neuer Konzeptualismus ausgerufen wurde, waren einige doch erstaunt, dass Ablinger – im Selbstverständnis ein »Maler, der mit kompositorischen Mitteln arbeitet« – bereits seit Dezennien auf den vermeintlich neuen Pfaden unterwegs war. Ablingers umfangreiches Werkverzeichnis ist sytematisch organisiert, Zyklen wie »Weiss/weisslich«, eine Auseinandersetzung mit dem Rauschen, erfuhren ständige Erweiterungen. Da finden wir »Hinweisstücke« wie die Aufforderung, dem Rauschen eines Wasserfalls oder der Zentralheizung Aufmerksamkeit zu widmen oder Schneckengehäuse ans Ohr zu halten. Im oberösterreichischen Ulrichsberg hat Ablinger für seine »Landschaftsoper« 2009 ein Arboretum pflanzen lassen, um ganz bestimmte Arten des Baumrauschens zu generieren. Diese überraschende Wiederbelebung der Oper unter Einbezug der lokalen Bevölkerung, bei der die örtliche Blaskapelle ebenso mitwirkte wie ein Spezialensemble für Neue Musik, zählt neben der »Stadtoper« für Graz zu Ablingers ambitioniertesten Projekten.

Mit »akustischen Photographien« näherte sich Peter Ablinger seiner akustischen Umgebung und »übersetzte« sie in Musik. In seiner Reihe »Voices and Piano« sind bekannte Persönlichkeiten im O-Ton (darunter Bertolt Brecht und Mao Zedong) gleichzeitig mit ihrer Transformation in Klaviermusik zu hören. Eine Reihe von »unmöglichen Stücken« besteht aus knappen Notizen wie »Sprengung der A 9 Berlin–München«, und als »antiautoritäre Etüde« empfahl Ablinger, während eines Vortrags »Sprachmelodie und den Rhythmus des Sprechens zu verfolgen: Der Sinn des Gesprochenen verschwindet augenblicklich«.

In der Nacht zu Gründonnerstag ist Peter Ablinger im Alter von 66 Jahren gestorben. Die Neue Musik und ihr Betrieb können und werden nach seinen Interventionen nicht mehr dieselben sein.

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