Kniefixierung war unzulässig
Von Max Grigutsch
Knie im Nacken: Nicht nur in den USA gefährdet die Staatsgewalt Menschen mit dieser lebensgefährlichen Praxis. Am 17. November 2019 wurde der Schwarze Deutsche Zefanias M. am Berliner U-Bahnhof Hermannstraße bewusstlos in Folge einer mehrminütigen Kniefixierung durch einen Polizisten. Am Donnerstag vergangener Woche erzielte der Geschädigte in einem Zivilprozess einen Teilerfolg gegen das Land Berlin: Anklage stattgegeben, er erhält Schmerzensgeld. Allerdings gab die Richterin dem Kläger eine Teilschuld an der Gewalt gegen ihn. Die Kampagne »Polizei im Nacken – Kniefixierung verbieten« sprach am Montag in einer Pressemitteilung von einer »typischen Täter-Opfer-Umkehr«.
Im November 2019 hatte Sicherheitspersonal der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) die Polizei hinzugezogen, nachdem Zefanias M. für eine obdachlose Person eingetreten war, die von den Sicherheitsleuten in die Kälte geschickt werden sollte – »Zivilcourage« in den Augen der Kampagne. Daraufhin habe die Polizei »massive Gewalt gegen Zefanias« angewendet, heißt es in der Pressemitteilung. Trotz Handfesselung »drückte ein Polizist über mehrere Minuten sein Knie in Zefanias Nacken«, woraufhin dieser ohnmächtig wurde. Darauffolgende Strafverfahren gegen die beteiligten Beamten seien mehrfach eingestellt worden, auch M. sei angeklagt worden.
Erfolg hatte der Geschädigte schließlich mit seiner Klage auf Schmerzensgeld – teilweise. Das Gericht stufte zwar die Kniefixierung nach Fesselung mit Handschellen sowie die Dauer der Maßnahme als unverhältnismäßig ein, befand M. allerdings für mitschuldig; dieser habe die Beamten beleidigt, so Zeugenaussagen von Polizisten. Außerdem sehe das Gericht die Praxis der Kniefixierung generell nicht als unzulässig an, wie die Tageszeitung Taz am Donnerstag berichtete. Von einem Grundsatzurteil kann also nicht die Rede sein. Die »Polizei im Nacken«-Kampagne zielt darauf ab, die Maßnahme gänzlich zu verbieten. Sie bewertet die Kniefixierung als eine »lebensgefährliche Technik«.
Der Kläger hatte 10.000 Euro gefordert, erhalten soll er nach Angaben der Kampagne nur 3.000 Euro. Laut Richterin hätte dem Geschädigten aufgrund resultierender psychischer Probleme ein Schmerzensgeld von 4.500 Euro zugestanden; da M. aber mitschuldig gesprochen wurde, stehe ihm davon ein Drittel weniger zu, erklärte die Kampagne am Montag auf Nachfrage von junge Welt. Wie die Taz am Donnerstag erläuterte, müsse von dem Geld zudem ein Teil der Verfahrenskosten gezahlt werden, die sich der Kläger und das Land Berlin teilen. Zefanias M. nannte das Urteil gegenüber der Taz »äußerst ungerecht«. Ihm sei eine Teilschuld zugesprochen worden, obwohl aus den Beweismitteln klar hervorgehe, dass er von den Polizeibeamten angegriffen wurde. Er werde gegen die Entscheidung in Berufung gehen.
Die »Polizei im Nacken«-Kampagne sieht in dem Fall ein »gesamtgesellschaftliches Muster, in dem strukturell benachteiligte Menschen überproportional häufig von der Polizei ins Visier genommen werden und überproportional häufig von Polizeigewalt betroffen sind«, wie aus der Mitteilung von Montag hervorgeht. »Staatsanwält*innen und Richter*innen geben Polizist*innen meist Rückendeckung, so dass den Betroffenen Gerechtigkeit verwehrt bleibt«, so die Kampagne, die Polizeigewalt für ein »strukturelles, institutionenübergreifendes Problem in Deutschland« hält. Die Verantwortlichen bemängeln im konkreten Fall etwa, dass auf den polizeilich gesicherten Aufnahmen der Überwachungskameras die entscheidenden 15 Minuten fehlten, die sechs geladenen Polizeizeugen sich gegenseitig deckten und vom Anwalt des Landes Berlin »wohlwollend« befragt wurden, obwohl ihre Aussagen »wesentliche Widersprüche und selektive Erinnerungen« aufwiesen. An Beleidigungen von M. hätten die Beamten sich gut erinnern können, an die Polizeigewalt hingegen nicht. Die Kampagne begrüße zwar den Teilerfolg, aber »der Kampf um Gerechtigkeit geht weiter«.
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