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Aus: Ausgabe vom 19.04.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Friedensbewegung

»Das darf keine Zukunftsperspektive sein«

Auch in Lingen im Emsland wird über Ostern für Frieden und gegen Aufrüstung demonstriert. Gespräch mit Jonas Kempe
Von Carmela Negrete
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Unterlüss, 6. Juni 2023: Rheinmetall-Fabrik für 155-Millimeter-Artilleriemunition

Am Sonnabend findet in Lingen ein Ostermarsch statt. Er richtet sich auch gegen die Pläne von Rheinmetall in Lingen. Worum geht es da genau?

Rheinmetall möchte in Lingen keine komplette Waffenfabrik bauen, sondern ein bestehendes Unternehmen übernehmen, das Komponenten herstellt. Konkret geht es um die Chemiefirma Hagedorn NC. Die gibt es schon seit Jahrzehnten.

Was genau wird dort produziert?

Hagedorn stellt ein Bindemittel her, das in der zivilen Industrie vielseitig eingesetzt wird, etwa in Druckfarben, Nagellacken oder Kunststoffen. Der Hauptabsatzmarkt sind also tatsächlich zivil genutzte Produkte.

Und was hat Rheinmetall jetzt damit vor?

Rheinmetall möchte die Produktion schrittweise auf militärische Zwecke umstellen. Nitrocellulose kann nämlich auch als Bestandteil von Treibladungspulver verwendet werden – also für Artilleriemunition. Damit würden auch in diesem Unternehmen zivile Produktionsprozesse zunehmend militarisiert. Rheinmetall hat am 7. April in einer Pressemitteilung die Übernahme angekündigt. Die Zustimmung des Kartellamts steht noch aus, aber die Verträge sind wohl schon unterschrieben. Der Ostermarsch war allerdings unabhängig davon bereits vorher geplant – jetzt ist der Protest dadurch nur noch aktueller geworden.

Wie wird das Vorhaben vor Ort aufgenommen?

Es gibt gemischte Reaktionen. Einige Menschen sind besorgt darüber, dass hier auf Kriegsproduktion gesetzt wird. Sie sehen darin eine gefährliche Abhängigkeit von der Rüstungskonjunktur. Andere begrüßen, dass ein großer Konzern Arbeitsplätze hält und wirtschaftliche Sicherheit verspricht. Aus unserer Sicht ist das aber zu kurz gedacht. Rheinmetall ist ein kapitalistisches Unternehmen, das durch Kriege Profite macht. Das darf keine Zukunftsperspektive für unsere Region sein.

Gab es Reaktionen auf die öffentliche Kritik?

Der CDU-Landtagsabgeordnete Christian Fühner hat meine Haltung als »kurzsichtig und verantwortungslos« bezeichnet. Er meint, wir würden die sicherheitspolitische Realität ignorieren und dass Deutschland unabhängiger von internationalen Lieferketten werden müsse – was angeblich durch Firmen wie Rheinmetall gewährleistet wird.

Wie ist es, in einer Stadt wie Lingen Menschen für Friedensproteste zu mobilisieren?

Es ist schon schwierig. Vor allem ist es eine Herausforderung, Menschen außerhalb des linken Spektrums zu erreichen. Wir treffen uns im alternativen Zentrum in Lingen, wo viele politisch interessierte Menschen aktiv sind. Aber wir sind auch auf Kirchen, Amnesty International, Pfadfindergruppen und andere Akteure zugegangen. Leider ist es oft nicht selbstverständlich, dass sich Gruppen offiziell hinter den Ostermarsch stellen.

Wer organisiert den Marsch konkret?

Wir sind sechs Hauptorganisatoren aus unterschiedlichen Gruppen. Offiziell unterstützt die Partei Die Linke im Emsland und in der Grafschaft Bentheim den Aufruf. Weitere Gruppen sind das Alternative Zentrum Lingen, die Marxistische Linke Emsland, die Falken Lingen und die SDAJ Lingen.

Wie stehen Sie zum Verhalten der Linkspartei bei der Bundesratsabstimmung über die Grundgesetzänderungen?

Wir sehen das sehr kritisch. Bei uns herrscht Einigkeit, dass das Verhalten im Bundesrat nicht mit unseren Grundwerten vereinbar ist. Vor allem, weil die Zustimmung der Linken gar nicht nötig gewesen wäre. Man hat sich da zu sehr an die Koalitionspartner angepasst. Das muss aufgearbeitet werden.

Wie nehmen Sie die Debatte in der Partei zum Thema Militarisierung wahr?

Die ist extrem wichtig, gerade weil viele junge Leute in die Partei eintreten. Bei uns ist die Mitgliederzahl im Kreisverband innerhalb eines Jahres von rund 30 auf über 160 gestiegen. Bei Treffen sitzen vor allem junge Menschen unter 30, viele mit wenig bis keiner Parteierfahrung. Deshalb ist politische Bildungsarbeit ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Es geht darum, sich kritisch mit dem Programm der Partei auseinanderzusetzen, es weiterzuentwickeln und lokal zu reflektieren.

Was ist dabei für Sie inhaltlich zentral?

Für mich ist klar: Kapitalismus und Krieg hängen eng zusammen. Wir als Linke müssen jeglicher Militarisierung der Gesellschaft entschieden entgegentreten. Rheinmetall mag kurzfristig wirtschaftlich attraktiv erscheinen – aber das ist keine Perspektive für die arbeitende Bevölkerung. Es ist auch bezeichnend, dass diese Militarisierungspläne mit dem 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges zusammenfallen.

Haben Sie den Eindruck, dass genug reflektiert wird, dass Deutschland wieder »kriegstüchtig« werden will?

Ehrlich gesagt: Es macht mir nicht nur Sorgen, es macht mir Angst. Die Summen, die jetzt in Aufrüstung gesteckt werden, die offene Sprache über »Kriegstüchtigkeit«, das Wiederaufleben von Debatten zur Wehrpflicht – das alles ist hochproblematisch. Für junge Menschen ist das belastend. Während Infrastruktur, Wohnraum und soziale Sicherheit vernachlässigt werden, steigen die Profite von Rüstungskonzernen. Das ist keine Zukunft, für die wir stehen wollen.

Jonas Kempe ist Student, Mitglied bei Die Linke und Mitorganisator des Ostermarschs in Lingen

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