»Matratzen wurden jahrelang nicht gewechselt«
Interview: Gitta Düperthal
Die Spargelsaison in Brandenburg startet in diesen Tagen. Um Saisonbeschäftigte in Brandenburg bei Problemen zu beraten oder sie über ihre Arbeitsrechte zu informieren, werden Sie auch dieses Jahr zu Feldern und zu Supermärkten fahren. Was ist zu erwarten?
In vergangenen Jahren hatten wir feststellen müssen: Mitunter entsprach die Unterbringung der Erntebeschäftigten weder gesetzlichen Richtlinien noch etwaigen Versprechungen, die Arbeitgeber vor deren Anreise machten. Problembetriebe sind bekannt. Einige hatten zu viele Menschen auf zu kleinem Raum untergebracht. Stellenweise gab es unhygienische Zustände: Matratzen wurden jahrelang nicht gewechselt, oder es gab Schimmel an Wänden, zu wenig sanitäre Anlagen oder unzureichende Kochgelegenheiten. Freilich wird sich einiges verbessert haben. Spargelbauern haben realisiert, dass sie etwas tun müssen, damit Arbeitnehmer zur Saisonarbeit nach Brandenburg kommen.
Mindestlohn wird gezahlt?
Ja, aber es geht um wichtige Details. Mitunter dokumentierten Betriebe die Anzahl der geleisteten Stunden nur unzureichend, obgleich sie dazu gesetzlich verpflichtet sind. Für Erntehelfer gab es in den Fällen keine nachvollziehbare Übersicht. Lief es schlecht, wurde von ihnen erwartet, sich selbst zu kümmern und zum Nachweis Unterlagen vorzulegen. Nach drei Monaten Saisonarbeit die Arbeitszeitliste genau zu prüfen, ist schwierig. Saisonarbeitern wurde auch schon mal mitgeteilt: Arbeitsverträge und Vereinbarungen seien im Büro anzuschauen. Wir fordern, sie auszuhändigen.
Kritik gab es auch wegen Geldbeträgen, die in unangemessener Höhe abgezogen wurden.
Mitunter war nicht nachvollziehbar, wofür genau welcher Betrag abgezogen wurde. Da wurden etwa diverse Beträge für Schutzhandschuhe berechnet, die der Arbeitgeber selber hätte zur Verfügung stellen müssen. Oder: zum Beispiel mehrere Euros für eine Mahlzeit mit drei Kartoffeln, Rührei und einer Gurke. Kurz vor der Abreise lässt sich all dies aber nicht diskutieren, zumal es Sprachbarrieren gibt.
Aus welchen Ländern kommen Saisonarbeiter?
In den Vorjahren kamen sie häufig aus Polen. Dort ist die wirtschaftliche Lage jetzt besser, die Feldarbeit in Deutschland dadurch unattraktiv geworden. Aktuell kommen mehr Beschäftigte aus Rumänien, vereinzelt auch aus Ländern wie Moldau oder Georgien.
Wie gestaltet sich Ihre Arbeit?
Unsere Aufgabe ist es, die Menschen über ihre Rechte und Pflichten zu informieren: über ihren Anspruch auf den Mindestlohn und in Deutschland geltende Standards. Wir beraten vertraulich. In Brandenburg sind wir gemeinsam mit der »Fairen Mobilität« und dem Netzwerk »Initiative Faire Landarbeit« unterwegs. Viele Saisonbeschäftigte kennen uns schon, weil die Anzahl des beratenden Personals leider sehr übersichtlich ist. Was es noch schwierig macht, in akuter Problemlage konkret zu helfen: Die Feldarbeiter wollen schnell wieder nach Hause fahren.
Klappt es dann überhaupt, diese Beschäftigten gewerkschaftlich bei der zuständigen IG BAU zu organisieren?
Die IG BAU hat ein Mitgliedschaftsmodell für Saisonbeschäftigte mit einem Jahr Mitgliedschaft. Als Mitglieder dort können sie Unterstützung und rechtlichen Beistand bekommen. Damit sich die Menschen, die öfter kommen, organisieren, müsste man ihnen erklären, welche Vorteile das für sie hätte. Unsere Beratungsstelle berät migrantische Nichtmitglieder. Finanziell unterstützt uns das brandenburgische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Energie und Klimaschutz.
Erwarten Sie von der künftigen Regierung verbesserte Regelungen für die Saisonarbeit?
Grundsätzlich wünschen wir uns für diese Beschäftigtengruppe mehr Sichtbarkeit und Anerkennung in der Gesellschaft, nicht nur zum Saisonbeginn. Es gilt wahrzunehmen, dass die Feldarbeiter uns mit der Spargel-, Erdbeer- oder Gurkenernte Essen auf den Teller bringen – in Deutschland und in Europa. Durch mehr Aufmerksamkeit kann Druck auf die Politik entstehen, damit mehr Kontrollen eingeführt werden, um Missstände zu beheben.
Magdalena Stawiana ist arbeitsrechtliche Beraterin der Fachstelle Migration und Gute Arbeit Brandenburg
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