Rote Linien testen
Von Reinhard Lauterbach
Die SPD besteht darauf, dass eine Entscheidung über die mögliche Lieferung deutscher »Taurus«-Marschflugkörper an die Ukraine von der gesamten künftigen Koalition getroffen wird. Generalsekretär Matthias Miersch sagte, er rechne damit, dass der designierte Kanzler Friedrich Merz noch einmal »sehr deutlich abwägen« werde, wenn er erst einmal von den Geheimdiensten über die Gesamteinschätzung der Lage informiert worden sei. Die Entscheidung werde eine der gesamten Koalition sein. In deren Koalitionsvertrag wird das Thema nicht erwähnt, aber im Kabinett sitzen doppelt so viele Unionsminister wie Sozialdemokraten. Es zeichnet sich also das Szenario ab, dass die SPD überstimmt wird und nach außen weinenden Auges eine »Taurus«-Entscheidung von Merz mittragen wird, auch wenn sie positiv ausfallen sollte.
Auf anderem Gebiet ist offenbar Dänemark ebenfalls im Begriff, rote Linien Russlands auszutesten. Der dänische Fernsehsender TV 2 zitierte am Mittwoch Offiziere mit der Aussage, schon bald würden mehrere Teams der dänischen Armee zu Ausbildungszwecken in die Ukraine entsandt. Ziel sei es, von den ukrainischen Erfahrungen in der elektronischen und Drohnenkriegführung zu profitieren. Die Soldaten würden unbewaffnet entsandt, und die Ausbildungsstätten würden weit entfernt von der Front im Westen der Ukraine liegen. Was nichts daran ändert, dass die dänischen Trainees als menschliche Schutzschilde für die ukrainischen Militäreinrichtungen dienen würden, wo die Ausbildung stattfindet.
Der russische Botschafter in Dänemark, Wladimir Barbin, kritisierte, dass Dänemark mit einer solchen Entsendung immer tiefer in den ukrainischen Konflikt hineingerate und dass eine solche Ausbildungsmission die Versuche, eine politische Lösung zu finden, erschwere. Bisher waren westliche Soldaten, vor allem aus angelsächsischen Ländern, als Ausbilder auf ukrainischen Truppenübungsplätzen in der Ukraine tätig; der Großteil des westlichen Trainings für das ukrainische Militär fand aber auf NATO-Territorium statt. Russland hat angedroht, NATO-Truppen auf ukrainischem Gebiet als legitimes militärisches Ziel zu behandeln. Botschafter Barbin wies darauf hin, dass diese Drohung für das gesamte ukrainische Staatsgebiet gelte.
In der Ukraine verlängerte das Parlament in Kiew den Kriegszustand um weitere drei Monate bis Anfang August. Die Entscheidung folgte einem Antrag von Präsident Wolodimir Selenskij und fiel bei nur einer Gegenstimme fast einstimmig aus. Damit sind auch Neuwahlen, wie sie insbesondere die Trump-Administration mehrfach von der Ukraine gefordert hat, für diese Zeit ausgeschlossen. Am Dienstag hatte Selenskij den Militärgouverneur der Region Sumi entlassen. Er gab damit innenpolitischen Kritikern nach, die dem Beamten vorwarfen, durch eine Ordensverleihung mitten in der Großstadt Sumi den russischen Raketenangriff vom Sonntag provoziert und Zivilisten in Gefahr gebracht zu haben.
An der Front erzielt Russland weiterhin an verschiedenen Stellen Geländegewinne. Der österreichische Militärexperte Markus Reisner warnte davor, diese Erfolge zu unterschätzen. Gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung vom Montag sagte er, Russland sehe sich kurz vor dem Sieg – »wie die Sowjetunion im April 1945 auf den Seelower Höhen«. Wenn die ukrainische Front erst einmal an einer Stelle zusammenbreche, könne das Ende sehr schnell kommen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Wolf-Dietrich H. aus Chemnitz (17. April 2025 um 15:16 Uhr)Ich kann mich dunkel entsinnen, daß es schon Angriffe von Russland auf Objekte in der Ukraine gab, wo dann auch ausländisches Militärpersonal getroffen wurde. War der letzte Angriff nicht in Lwow? Oder bin ich da Fakenews aufgesessen? Von daher wäre der Vorstoß von Dänemark ja nichts unbedingt Neues. Wenn es denn so wäre, könnte es eben auch wieder zu Angriffen Russlands kommen und dann eben auch wieder zu Toten. Also nichts Neues an der Front, außer eben wieder Opfer...
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